29. März 2016

"Da fehlt jetzt noch ein Knall"

Interview geführt von

Bereits seit 13 Jahren lassen Sascha, Gernot und Szary ihre elektronischen Musikentwürfe unter dem Kofferwort "Moderat" (= Modeselektor + Apparat) aufeinander prallen. Das dritte, einfach nur "III" betitelte Album ist für uns Grund genug, die drei In-und-um-Berliner endlich mal vor das Diktiergerät zu zerren. Naja, zumindest Sebastian Szary, der für das "Mo" oder das "De" in Moderat steht, macht er doch eine Hälfte des Techno-Duos Modeselektor aus.

Direkt neben Sage Club und dem neuen Tresor, quasi in Rufweite der ehemaligen Bar 25 (a.k.a. Kater Holzig, a.k.a. Kater Blau), liegt das Hauptquartier von Monkeytown Records in idealer Berliner Clublage. Ein gusseisernes Tor schützt den Innenhof des charmanten, Mate-gelben Backsteingebäudes vor unliebsamen Genossen. Da aber zum Promotag für das erfolgversprechende dritte Album "III" sogar Journalisten gern gesehen sind, verschafft mir ein lautes Buzzern Eintritt.

Zwischen Häppchen und Fototerminen, stellt man mir Sebastian Szary vor, der seinen Vornamen mehr oder weniger abgelegt hat. In schwarzem Arbeitsoverall - der offene Reißverschluss entblößt krauses Brusthaar - sitzt Szary auch nach Dutzenden von Interviews am dritten Promotag interessiert vor mir. Bei Antworten, die sich um den spezifischen Sound seiner Band drehen, lehnt er sich nach vorne, um scheinbar durch das Diktiergerät direkt zum Publikum sprechen zu können.

Auch zum dritten Album wird wieder überall von Moderat als der "Berlin Techno Supergroup" zu lesen sein. Welcher Begriff stört dich davon persönlich am meisten?

Im Prinzip kommt es immer darauf an, aber mich stört schon der Begriff Supergroup am meisten. Andererseits ist das auch gar nicht so schlimm, denn es haben sich ja schon zwei extrem starke Acts zusammengeschlossen – aber als drei Personen.

Wir haben uns sozusagen von unseren Projekten getrennt, denn während wir Moderat sind, sind wir einfach Sascha, Gernot und Szary. Es geht dabei um Gewichtungen: Keine Modeselektor-Entscheidung soll wichtiger sein als eine Apparat-Entscheidung. Ob das dann eine Supergroup ist, entscheidet aber letztendlich der Fan.

Euer letztes Album "II" hat es auf Platz 10 der deutschen Albumcharts geschafft, die Single "Bad Kingdom" wurde mir damals allerorten um die Ohren gespielt. Kann ja gut sein, dass das noch einmal getoppt wird. Habt ihr eine besondere Erwartungshaltung gegenüber dem kommenden Albumrelease?

Natürlich freut man sich über so einen impact, aber wir haben es jetzt nicht darauf angelegt. Klar werden manche sagen, was habt ihr denn jetzt für poppige Songs geschrieben, beziehungsweise pop-orientierte Songs, denn das hängt auch mit der Struktur zusammen. Wir haben Songs und wir haben Tracks auf unserem Album. Ob das dann einen Hit-Charakter hat, entscheidet letztendlich auch der Hörer selbst.

Wie unterscheidet ihr zwischen Tracks und Songs?

Erstmal hat ein Song einfach den klassischen Aufbau aus Strophe, Verse, Bridge und so weiter. Diese Struktur wird dann aber in Moderat-Manier neu verpackt. Wir kommen aber eben auch aus dem DJ ... ich will es nicht Business nennen, aber ...

Umfeld?

Genau. Manche Sachen könnte man zum Beispiel besser in ein DJ-Set integrieren und manche sind eben einfach nur ein Song. Darin liegt sozusagen die Unterscheidung.

"Die Leute haben sich auf unseren Sound eingeschossen."

Was hat es mit der Moderat-Manier auf sich, mit der ihr an Songstrukturen herangeht?

Die Moderat-Manier definiert sich in erster Linie über den Sound, eigentlich seit Stunde null. Als wir mit dem ersten Album angefangen haben, hatten wir tatsächlich eine Definition dafür. Und zwar ist das so eine Art cinematic Sound. Stell dir vor, du sitzt in einem Kino und es läuft ein Film – den es natürlich noch nicht gibt – und du tauchst in die Leinwand ein. Du bist einfach richtig verschmolzen mit dem Film. Klar, es gibt auch schlechte Soundtracks oder Filme ganz ohne Soundtracks – das ist dann die hohe Kunst. Aber wir lieben eben Soundtracks.

Wie kam es denn eigentlich zu eurer Zusammenarbeit mit Sebastian Schipper, der "A New Error" ziemlich prominent in seinem Film "Victoria" untergebracht hat?

Das hat sich einfach so ergeben. Da kam dann die Anfrage an unser Label, was uns total gefreut hat. Aber viel lieber hätten wir, dass jemand zu dieser Platte einen Film dreht, also den Weg andersherum geht. So hätten wir dann den Sound beigesteuert, zu dem jemand erst noch einen Film drehen muss.

Wie sollte der aussehen, dieser Film?

Jute Frage! (lacht) Das wäre demjenigen dann freigestellt.

Bei dem Video zu "Reminder", der ersten Single des aktuellen Albums, fragt man sich, ob ihr da nicht eher an ein Videospiel gedacht habt.

Das Video sieht deshalb so aus, weil es ein Experiment ist. Die Idee dahinter war, in einer virtuellen Welt zu sein, wo es nur Texturen gibt.

Der Himmel, der Boden, das sieht alles nicht echt aus, wie aus einer anderen Welt. Noch besser merkt man das in der VR-Version. Da setzt du dir dann diese Brille auf und springst selbst über den Abgrund. Fehlt nur noch, dass man in so Gummibändern hängt.

Ihr habt ja eine lange Tour anberaumt, die euch durch ganz Europa und in die USA führt. Reagieren die Fans im Ausland eigentlich anders auf einen bestimmten Sound als hier in Deutschland?

Die Unterschiede merkt man in der Euphorie, aber mittlerweile zeigt sich, dass die Euphorie in Frankreich, England oder den USA und Kanada relativ gleich ist. Die Leute haben sich schon auf unseren spezifischen Sound eingeschossen. Manche kennen vielleicht den Hintergrund, aber viele wissen ja auch gar nicht, aus was für einer Ursuppe das alles entstanden ist. Viele haben Modeselektor erst durch Moderat kennengelernt – oder eben Apparat.

Außerdem gibt es da eine ziemlich große Altersspanne. Nimm zum Beispiel unseren Steuerberater und seine Tochter. Und das stimmt jetzt wirklich (lacht). Es gibt viele Kinder in der Spätpubertät, kurz vorm Erwachsensein, die total auf Moderat abgehen. Und trotzdem die Eltern genauso. (Süffisant) Eine Musik für alle Generationen ...

... und sogar für Steuerberater!

Genau, oder ... ja, nee, Steuerberater ist schon gut (lacht)! Vielleicht auch Kindergärtnerinnen.

"Wir sind ja auch nicht immer nur die Harten, die Hooligans."

Euren Sound machen ja seit Anfang an die Kontraste aus. Wie kriegt ihr diese Kontraste nach 13 Jahren gemeinsamer Musik noch so hin?
Schließlich rückt man in so einer langen Zeit zwangsläufig zusammen.

Ich glaube, dass hängt mit der Grunddefinition zusammen, die wir bisher auch nicht verloren haben. Außerdem gehen wir mit der Technik – und manchmal einen Schritt zurück. Dann holen wir uns nur für einen Song einen alten Synthie oder eine Drummachine, aber das bringt es dann in diesem Moment total. Das ist so eine "Technikentdeckungsaffinität", eben eine Lust.

Die Kontraste bestehen ja zu einem großen Teil aus den ruhigeren Stellen, den Songs, und den entgegengesetzten Teilen. So fängt das neue Album ja eher ruhig an, bevor der zweite Teil dann deutlich vertrackter und lauter ist.

... ja, und dann endet es wieder relativ leise. Nur, um dann wieder – also für den CD-Hörer jetzt oder Leute mit automatischem Plattenspieler – zurückzugehen zum ersten Song. Uns war sehr wichtig, dass man einen kompletten Loop hat.

Die Platte fängt ja an mit ... womit noch mal, "Eating Hooks", wa? ... und endet mit "Ethereal". Wir sagen ja einfach Eteral, richtig schön deutsch (lacht). Wir sind ja auch alle Ossis. Gäbs am Ende einen richtig lauten Song, würdest du dich ja auch fragen: "Und nu'?" Aber so lässt es sich wirklich direkt anknüpfen. Aber deine Frage war noch mal ...

... zu diesen Kontrasten/b>

...genau, die Kontraste. Da treffen eben nicht nur zwei, sondern drei Welten aufeinander, wenn man das auf die individuellen Personen dahinter bezieht. Wir teilen eine gemeinsame Vergangenheit, die Anfang der 90er stattfand – Techno und so – aber mittlerweile hat da jeder seine eigene Oase der Musik gefunden. Das ist dann teilweise sehr unterschiedlich, aber es ist nicht so, dass jeder nur seine Sachen durchboxt.

Außerdem kann Sascha natürlich auch einen krassen Beat bauen. Oder Gernot wäre zum Beispiel gern ein Organist in der Kirche, hat er mal gesagt. Eigentlich ist er eher der Drummer.

Bei mir sage ich immer: "Ich mach' das Stereo." Also dann so soundtrack-mäßig verpackt. Ich gehe nämlich gern in die Tiefe. Eigentlich können wir aber alle das gleiche – außer Vocals. Wobei Gernot und ich sogar mal gesungen haben. Das hört man aber nur ein bisschen.

War das jetzt das erste Mal für dieses Album?

Auf Platte ja, beim Vorgängeralbum habe ich live bei "Bad Kingdom" und "Damage Done" mitgesungen. Bei Modeselektor hatten wir das auch ein paar Mal, aber da natürlich mit total verunstalteten Stimmen. Wir haben mal einen Song mit PVT gemacht, bei dem der Sänger nicht immer dabei sein konnte. Da habe ich auch mal live gesungen, ging schon. Man muss sich nur trauen, denn man hat zwar immer Angst vor seiner Stimme, aber die kann tatsächlich ein geiles Instrument sein.

Gernot und ich gehen aber auch anders mit Stimmen um. Da wird dann schon mal richtig was weggeschnitten. Bei "The Fool" fehlen zum Beispiel ganze Textzeilen, aber das kam bei Sascha trotzdem total gut an. Es hat den Song zwar in ein anderes Licht gerückt, aber war gar nicht schlimm. Oft hören wir gar nicht auf Inhalte, sondern machen einfach mal.

Ist es denn tendenziell so, dass du und Gernot eher mal mit dem Beat gegen zu sanfte Stellen geht oder Sascha andersherum ...

(Energisch) das ist ganz verschieden! Sascha ist nicht immer nur der Softe (lacht). Wir sind aber auch nicht immer nur die Harten. Die Hooligans, sagt man ja (lacht). Veränderungen werden aber auch nicht immer abgesprochen. Wenn jemand eine Idee hat, verzieht er sich mit der Session für drei Stunden oder einen Tag, und macht einen Vorschlag. Der kann aber hart oder ganz weich sein. Wobei wir schon oft denken: "Da fehlt jetzt einfach noch ein Knall, da muss richtig reingehauen werden!"

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