22. Januar 2010

"Rammstein schreiben irrwitzige Texte"

Interview geführt von

Max Raabe über Auftritte in New Yorks Carnegie Hall, die Bedeutung seines ersten Soloalbums, Rammstein, Lady Gaga und eine Zusammenarbeit mit Graf Zeppelin.Natürlich: Max Raabe steigt nicht in einem dieser hochmodernen, nichtssagenden Allerweltsarchitektur-Hotels ab. Das Hamburger Gastwerk bietet da schon ein ganz anderes Umfeld, das besser mit den musikalischen Ambitionen des Berliners harmoniert. Hier handelt sich um ein altes städtisches Gaswerk, das vor dem Abriss bewahrt und architektonisch höchst eindrucksvoll umgewandelt wurde. Und so eine ganz besondere Atmosphäre aufweist, die elegantes Heute mit der Bewahrung des Gestern verbindet.

Die Suite des Künstlers hat eine meterhohe Decke, umrahmt von eingelassenem, altem Gebälk. Sich nach oben zusammenziehend, vermittelt sie einen fast kathedralenhaften Eindruck. Kollegen vom Stern bauen bei meinem Eintreten gerade ihr Equipment ab, Max Raabe begrüßt mich höflich und weist auf die Sitzecke: "Bitte nehmen Sie doch schon Platz, und nehmen Sie sich gern einen Keks". Elegant gewandet, mit Sakko, Krawatte und grauer Flanellhose, erinnert der Künstler in seinem Outfit an die Figur des Protagonisten aus F. Scott Fitzgeralds prägendem 20iger Jahre-Roman "Der große Gatsby".

Worin lag die Motivation, nach all den Jahren mit dem Palastorchester nun ein Solo-Album, nur mit Christoph Israel am Piano, einzuspielen?

Der Wunsch war, einmal eine Aufnahme zu machen, die sehr leise Töne besitzt. Leise singen zu können, ist für mich immer ein sehr großes Vergnügen. Ich habe unter diesem Aspekt dann Titel zusammengetragen, die zu einem solchen Vorhaben passen, und auch eine sensiblere Interpretationsform zulassen, als mitunter im Verbund mit dem Orchester. Darunter natürlich auch das eine oder andere humorvolle Stück, aber in erster Linie entdeckt man Aufnahmen, die eher frei sind von Sarkasmus, schwarzem Humor und der Doppeldeutigkeit, die viele andere Titel unseres Repertoires auszeichnen. Auf "Übers Meer" finden sich eher feinsinnige und sehr romantische Titel.

Der Großteil der vorliegenden Lieder stammen aus der Feder jüdischer Texter und Komponisten. Ist es Ihnen ein besonderes Anliegen, gerade deren Titel zu interpretieren?

Ich habe die Titel zunächst rein nach dem ausgesucht, was mir persönlich gefällt. Ganz einfach Texte und Musik, die ich sehr schätze. Ein rein musikalisches Vorgehen, bei dem sich erst hinterher herausstellte, wer nun genau diese Titel einst ersann. Nun ist es so, dass bereits seit Jahren viele meiner persönlichen Vorlieben auf eben diese Arbeiten jüdischer Landsleute zurückgehen. So war es naheliegend, in Bezug auf den Albumtitel "Übers Meer" dazu Stellung zu beziehen. Es war auch so, das viele der Lieder auch drüben in den Staaten sich zu großen Erfolgen entwickelten, und aufgrund der politischen Entwicklung diese Musiker ihren Liedern ebenfalls übers Meer hinterherzogen. Diese Tatsache und die Zeile "Wenn Der Wind Weht Über Das Meer" standen also quasi Pate für den eigentlichen, späteren Album-Titel.

Gerade ihr Umgang mit eigentlich vergessener Musik und den damit verbundenen politischen Dingen: sehen Sie sich in gewisser Weise deshalb auch als Kulturbotschafter des eigenen Landes?

Ich sehe mich - und uns - da gar nicht als womöglich hochtrabende Kulturbotschafter. An erster Stelle steht der Umgang mit Musik, die uns gefällt und anspricht. Und es damit künstlerisch zu schaffen. Ich bin Musiker und mache Musik, die mich glücklich macht, und bin daher auch der glücklichste Mensch, den man sich denken kann. Da spielt natürlich auch persönlicher Ehrgeiz eine Rolle: es ist doch der Traum eines jeden Musikers, außerhalb seines Landes mit seiner Arbeit Erfolg zu haben. Ich genieße es sehr, ins Ausland reisen zu können und weltweit auftreten zu können.

Man möchte gern als Europäer gerade in Amerika einmal spielen, ebenso, wie die amerikanischen Musiker scharf darauf sind, nach Europa zu kommen. Dass das mit dem Repertoire funktioniert, das wir da haben, ist eigentlich gleichermaßen verblüffend und großartig. Ich finde es einfach toll. Aber wenn man Musik machen und die Leute mitreißen kann, ist es eigentlich egal, auf welcher Seite des Atlantiks man spielt und das macht.

Ein besonderes Highlight ist dabei sicherlich die Eroberung der Carnegie Hall, was eine der schwierigsten Aufgaben für einen hiesigen Künstler darstellt ...

Es gab schon vorher Hiesige, aber im Bereich der Unterhaltungsmusik fällt mir da im Augenblick auch niemand ein. Es waren wunderbare, auszeichnende Augenblicke - im März dürfen wir mit dem Palastorchester dort erneut zu Gast sein.

"Ich mag es, Menschen zum Träumen zu bringen"

Als ausführenden Produzenten für die aktuelle Tour-DVD haben Sie mit Michael Ballhaus einen weltbekannten Kameramann gewonnen, der die Bilder in ein ganz besonderes Licht taucht. Wie ist es eigentlich dazu gekommen?

Wir hatten vor, einen Konzertmitschnitt zum Programm "Heute Nacht Oder Nie" zu machen, und während dieser Phase machte man uns mehr zufällig einmal bei einer Gelegenheit miteinander bekannt. Dabei erzählte ich ihm von unserem DVD-Projekt. Ich wusste, er gibt inzwischen nur noch Lesungen und unterrichtet an Filmhochschulen, hat allgemein wahnsinnig viel zu tun, aber dreht eben nicht mehr. Dennoch sprach ich ihn nach einiger Zeit an. "Ich weiß, dass Sie nicht mehr offiziell in der Filmbranche arbeiten. Aber ich muss Sie trotzdem einfach mal fragen, ob unsere Idee etwas für Sie wäre". Und er entgegnete ganz schnell: "Wissen Sie, das würde mich interessieren". So einfach war das eigentlich. Danach haben wir gemeinsam nach Terminen gesucht, und es begann eine sehr spannende Zeit. Ich freue mich noch heute, dass es ihn so gereizt hat, mit und für uns an dieser DVD zu arbeiten, denn sie ist durch ihn wirklich etwas sehr Besonderes geworden.

Beim Konzert taucht während des Songs "Dream A Little Dream Of Me" plötzlich ein Zeppelin im Konzertsaal auf, und schwebt über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Wer kam denn auf diese Idee?

Das war ich! (Lacht) Ich dachte im Vorfeld, es wäre doch sehr schön, wenn man während des Konzertablaufs einen sehr stillen Moment hat. Einen, der die Leute von der Bühne weglockt, und sie zum Nachblicken, zum Träumen verführt. Doch die Arbeit daran gestaltete sich wesentlich komplizierter, als ich zunächst vermutete. So einen Zeppelin zu finden, der ferngesteuert gelenkt wird, und möglichst auch keinen Lärm macht, das war ein schwieriges Unterfangen. Da haben wir einfach den Grafen Zeppelin angerufen - den heutigen Nachfahren natürlich. Der hat noch immer Ideen dafür und plant für die Zukunft, das Zeppelin-Fliegen mit Passagieren wieder zu etablieren. Er hat uns dann an eine Konstruktionsfirma verwiesen, die sich damit befasst, und die haben später das kleine Luftschiff für uns gebaut und zur Verfügung gestellt.

Das Palastorchester besteht in erster Linie aus langjährigen Stammmusikern, Umbesetzungen gibt es selten ...

... das stimmt, wir haben kaum Fluktuation ...

... bis auf die Dame an der Geige. Da ist Cecilia Crisafulli bereits die dritte Besetzung innerhalb von rund zehn Jahren. Woran liegt das?

An uns nicht! Im Gegenteil, wenn sie gehen, dann immer sehr traurig. Die damalige Geigerin Hanne Berger z.B. bekam ein Kind und hoffte zunächst, sie könne das mit der Orchester-Arbeit beides gut zusammenbringen. Aber es stellte sich rasch heraus, das dem nicht so war - die oft langen Trennungen von ihrem Kind wogen einfach zu schwer, und deshalb hat sie später schweren Herzens die Arbeit mit uns beendet.

Wie findet man möglichst rasch eine neue, adäquate Besetzung?

Wir haben dann ganz einfach annonciert, in den Musiker-Zeitungen und Zeitschriften. Danach haben wir die Kandidatinnen zum Vorspielen eingeladen, und gerade bei Cecilia klappte es auf Anhieb. Sie hatte sich sogar die Mühe gemacht, eigens fürs Vorspielen einige Titel aus unserem Repertoire einzustudieren, und es war sofort ein Draht da. Und auf Anhieb ein besonderer Kontakt zum Restorchester. Eine Menge anderer sehr guter Geigerinnen stellten sich ebenfalls vor, aber Cecilia hat uns auf Anhieb voll überzeugt.

Wenn man im Ausland auftritt, gerade mit einem vorwiegend deutschsprachigen Repertoire: wie unterscheiden sich da Aufnahme und Resonanz seitens des Publikums?

So manch Wortwitz in den Liedern geht da schon verloren, was sehr schade ist, weil ich ja gerade darauf sehr viel Wert lege. Dennoch funktioniert eigentlich wahnsinnig viel, eben über die Musik, den Gesang und das, was auf der Bühne stattfindet. Oder die Art, wie ich den jeweiligen Ton gestalte, all das fesselt das dortige Publikum. Aber vor den Liedern erläutere ich in Englisch immer in ein paar Worten, worum es geht, und das funktioniert immer recht gut.

"Das Eleganteste, was die Popmusik je hervorgebracht hat"

Ihre Musik bedient eine schon sehr spezielle Nische, die - heute! -hierzulande eigentlich kaum stattfindet ...

Oh, da gibt es doch z. B. Ulrich Tukur, doch im Kern stimmt es schon. Es ist natürlich auch etwas speziell, und so etwas, wie wir es machen, gibt es etwa in Amerika eigentlich auch nicht. In diesen Bereich fällt in England noch das Pasadena Roof Orchestra. Aber ich finde, dass diese Musik einfach in die Gegenwart gehört. Sie ist eine große Bereicherung, Ergänzung zu dem, was es so heutzutage an Unterhaltungsmusik gibt. Es hat in gewisser Weise auch mit dem Umgang mit Klassik zu tun, die zwar viel präsenter ist, allerdings auf einer anderen Seite und mit anderen Wertigkeits-Einschätzungen. In der Klassik gibt es all diese Schattungen, Barock, Renaissance und so weiter, und ähnlich vielfältig stellt sich auch der vergangene Bereich der U-Musik dar. Wir kümmern uns um diese Musik, weil sie einfach großartige Unterhaltung darstellt, mitsamt tollen Texten. Und sie ist das Eleganteste, was die Popmusik je hervorgebracht hat. Wir nehmen sie ernst wie Kompositionen von Schubert und Brahms, machen sie aber, um ein Publikum damit leicht zu unterhalten. Und das funktioniert - die Pointen zünden noch immer, genauso wie vor 70 oder 80 Jahren.

Gerade die Texte erscheinen mir, gerade wegen ihres Entstehungsdatums, als mitunter sehr gewagt und fürs damalige bürgerliche Weltbild hübsch unmoralisch.

Ja, die Textdichter dieser Schlager waren weitestgehend befreit von monarchistischer Zensur und konnten eigentlich machen, was sie wollten. Nur das Publikum hat entschieden, nicht der Zensor. Deshalb haben sie auch viel gewagt, und waren unter der scheinbar harmlosen Oberfläche schon sehr frech.

Kommen eigentlich auch jüngere Leute, die vielleicht mehr auf Rock oder Hip Hop stehen, zu Ihren Konzerten?

Ja! Wir haben ein gemischtes Publikum, natürlich die Älteren, die schon mal 102 sind oder so, aber auch Kinder, die gerade die begeistertsten Zuhörer und Zuschauer sind. Der eigentliche Grund aber ist: man kriegt das Publikum immer, egal, welcher Altersschicht, eben weil die Kompositionen so toll sind! Und ein Abend mit uns ist ja auch nicht nur Zuhören, sondern es gibt auch Musik zum Kucken. Man muss sie den Leuten eben ansprechend präsentieren, damit sie überhaupt einmal die Lust - und Gelegenheit - haben, davon einen Eindruck zu bekommen.

Was halten Sie denn von neuzeitlichen Künstlern wie Rammstein?

Ich mag sie! Sie haben oft irrwitzige Texte, und ich kann nicht verstehen, dass sie manchmal in eine gewisse Ecke gestellt wurden. Sie sind als Musiker sehr selbstironisch, sie haben einen zwar sehr eigentümlichen, dennoch wundervollen Witz, Bühnenpräsenz sowieso. Allgemein bin eigentlich ganz gut auf dem Laufenden, auch wenn ich nun nicht stapelweise CDs bei mir daheim habe. Doch ich bleibe z. B. gern mal bei MTV hängen, und schau' mir das bewusst an, wenn es mir denn gefällt.

Darunter auch Lady Gaga?

Also, ich muss gestehen, zu dieser Dame fällt mir jetzt im Moment gar kein Titel ein ... (schmunzelt). Doch allgemein, gerade, was zeitgemäße, hiesige Musik angeht - nicht Schlager, sondern den ganzen, weiten Pop-Bereich - finde ich stark. Da hat sich was entwickelt in den Jahren, was immer mehr an Bedeutung und Vielfalt gewinnt, und ich hoffe, das ist nur der Anfang. Die Ohren heute sind einfach wieder viel freier und offener als noch vor wenigen Jahren.

Max Raabe zeigt sich im nahen zeitlichen Umfeld unseres Interview-Termins als stark gefragt. Bereits wenige Stunden später tritt er in der NDR-Show Das! auf dem roten Sofa auf, am folgenden Abend beendet er als letzter Gast die Talkshow 3 nach 9 des Senders Radio Bremen.

Gesprächspartnerin ist Charlotte Roche, die in tiefen Feuchtgebieten herumdümpelt, was ihre Ankündigung zum aktuellen Alben-Titel angeht. Denn bei ihr verwandelt sich "Übers Meer" in "Ans Meer". Raabe verzieht dabei keine Miene.

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