30. März 2020

"Ich will einfach ein Typ sein"

Interview geführt von

Sechs Jahre nach der ersten EP ist es nun soweit: Mavi Phoenix veröffentlicht sein Debütalbum "Boys Toys". Die Entscheidung dazu hat einen sehr persönlichen Hintergrund. Seit Mitte 2019 lebt Mavi öffentlich als Mann. Welche Rolle die Stimme des musikalischen Alter Egos Boys Toys für Entdeckung und Ausdruck seiner Identität spielt, erklärt er im Interview.

Mavi Phoenix galt als vielversprechendste Newcomerin Österreichs, fühlte sich jedoch zunehmend unwohl in der ihr damit auferlegten Vorbildrolle als "Rapperin, Sängerin und Producerin im Hip Hop". Mitte 2019 nutzt sie das Musikvideo zum Song "Bullet In My Heart", um ihre Gender Dysphoria öffentlich zu machen. "Ich versuchte mein Leben lang, mein Geschlecht zu ignorieren und keine große Sache daraus zu machen", erklärt sie im Clip. "Aber das ist nicht mehr genug. Ich befinde mich auf der Suche nach mir selbst und wer ich sein möchte."

Die Suche endet wenige Monate später. Mavi lebt fortan als Mann. Mit der Single "Boys Toys". untermauert er seine Identität und spielt im zugehörigen Musikvideo verschiedene Formen von Maskulinität durch. Zugleich fungiert der Track als Flagship für sein langerwartetes Debütalbum, das Mavi ganz im Zeichen seiner Selbstfindung gestaltet. Unter dem Alter Ego Boys Toys führt er durch die verschiedenen Facetten und agiert dabei musikalisch mindestens so vielschichtig wie textlich. Trap, Pop, kontemporärer R'n'B, Hip Hop, sogar ein bisschen Punk – es war schon immer Abwechslungsreichtum und Eigensinn, der Mavis Musik ausmachte. Die Pronomen haben sich geändert, doch Mavi Phoenix ist immer noch Mavi Phoenix. Vielleicht mehr als je zuvor.

Wir haben uns zuletzt vor zwei Jahren gesprochen. Was hat sich seitdem für dich am meisten verändert?

Ich privat. Diese Transgender-Geschichte passierte innerhalb der letzten zwei Jahre. Für mich persönlich festgestellt habe ich das Ende 2018. Auch weil dieses Jahr – in dem auch wir uns unterhalten haben – öffentlich krass viel für mich war...

Damals wurde alles international.

Genau. Da habe ich gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt und ich so nicht weitermachen kann. Ich merkte, dass mich das irgendwie zerfrisst – dieses "Frau im Rap", "Rap als Frau", "Produzieren als Frau"... Ich bin keine Frau. Ich seh' mich selbst nicht so.

Dass du medial ungewollt in die Vorbildrolle als Frau im Rap gedrängt wurdest war also ein Auslöser für dein inneres Umdenken?

Es war nicht wirklich der Auslöser, glaube ich, aber es hat auf jeden Fall seinen Teil dazu beigetragen. Bevor ich für mich überhaupt gewagt habe, daran zu denken, trans zu sein, war mein Coping-Mechanismus, mein Geschlecht zu verdrängen. Also mir einfach zu denken, Geschlecht sei egal und es so weit wie möglich zu verdrängen, dass man eine Frau ist. Das ist natürlich schwierig, wenn man immerzu drüber redet und eigentlich alles, was man medial macht, sich daran aufhängt, dass man eine Frau ist. Ein bisschen Auslöser war das bestimmt. Aber vor allem war es mein Innenleben, ein Gefühl.

Gerade in den letzten Jahren wurde stärker versucht, Frauen in der Musik zu pushen und Aufmerksamkeit für zweifellos vorhandene Probleme zu schaffen. Findest du, das wird teilweise zu stark oder falsch fokussiert?

Ich finde das eigentlich voll gut. Aber teilweise haben weibliche Künstler das auch einfach nicht nötig. Vielleicht verliert man sogar die Lust, sich was anzuhören, weil man denkt, das wäre jetzt nur für die Quoten. Schwieriges Thema. Manchmal wirkt es in Magazinen und Medien, als würden sie es gar nicht wirklich feiern, sondern künstlich pushen, weil es halt um eine Frau geht. Das haben die Acts nicht nötig, meiner Meinung nach.

Auf "Boys Toys" nimmst du nun die andere Perspektive ein und forderst Männlichkeitsideale heraus – gerade im Musikvideo zum Titeltrack, wo du ganz verschiedene Rollen einnimmst. Was war dein Ansatz dabei?

Für mich ist Männlichkeit ein voll wichtiges Thema, auch meine eigene Männlichkeit. Dabei habe ich natürlich Komplexe – ich bin eben als Frau sozialisiert, als Mädchen erzogen worden. Das heißt, ich habe wahrscheinlich weniger Probleme als ein cis-Mann, meine Gefühle zu zeigen oder zu heulen. Ich hab' dadurch natürlich eine starke feminine Seite. Männlichkeit ist ein wichtiges Thema für mich, weil ich einerseits die meine ausleben muss, um mein Leben genießen zu können. Deshalb bin ich trans; weil ich fühle, dass ich ein Mann bin und keine Frau. Im Inneren – biologisch ist das natürlich eine andere Sache. Andererseits ist da die Faszination für Macho-Typen. Solche Typen, die man eigentlich scheiße findet – Rapper und so –, aber irgendwie ist man trotzdem fasziniert, weil man immer davon fasziniert ist, was man selber vielleicht nicht so inne hat. Ich guck mir den gern an, weil er so krass männlich ist – ‚männlich‘ in fetten Anführungszeichen. Das ist etwas, was ich nicht habe.

Eigentlich alles, was gemeinhin als männlich konnotiert wird, ist etwas Äußerliches. Woran macht man eigentlich fest, dass man sich als 'Mann' fühlt? Ich hab' gestern mal für mich drüber nachgedacht und mir ist tatsächlich nichts eingefallen, warum ich nun ein Mann und keine Frau sein sollte.

Ja voll. Man kann sich das glaube ich so schwer vorstellen. Ich hab' da auch viel mit Freunden und Familie drüber gesprochen, die dann auch meinten: "Warum musst du jetzt ein Mann sein? Warum nicht trotzdem eine Frau?" Das ist einfach so ein Gefühl, so eine Essenz... ich spüre einfach, dass ich ein Mann bin. Ich identifiziere mich mit Männern. Schwierig zu erklären. Es ist auch das Gefühl, dass man sich in einem anderen Körper wohler fühlen würde und sich unwohl fühlt mit allem, was irgendwie weiblich an einem selbst ist. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass mein Gehirn eher "männlich" ist. Dazu gibt es auch Studien. Ich bin gespannt, was da in den nächsten zehn Jahren rauskommt. Zum Beispiel, wie es sich ausprägt, wenn schon im Uterus zu viel Östrogen oder Testosteron ausgeschüttet wird. Da ist aber noch nichts bewiesen. Jedenfalls hatte ich schon immer das Gefühl, ein männliches Gehirn zu haben – was auch immer das heißt. Das spürt man wahrscheinlich auch erst, wenn man im falsch sozialisierten Körper, also im falschen Geschlecht steckt.

"Boys Toys ist der kleine Junge, der ich nie sein konnte"

Du hast für das Album die Figur "Boys Toys" erfunden. Wie steht diese Figur im Verhältnis zu Mavi?

Sehr eng. Das ist gewissermaßen der state of mind, in dem ich mich gerade befinde. Auf eine gewisse Art bin ich schon sehr kindlich. Boys Toys ist auch der kleine Junge, der ich bin bzw. der ich nie richtig sein konnte und der jetzt zum ersten Mal richtig Gehör findet und alles sagen kann, was er denkt. Das war wohl auch ein Mechanismus, um eine Stimme zu kreieren, mit der man Dinge sagen kann, die man mit seiner eigenen Stimme nicht sagen will oder nicht zu sagen traut. Es wird verfremdet, damit man Sachen besser aussprechen kann.

Wann ist diese Figur entstanden?

Erst vor ein paar Monaten. Beim Track "Boys Toys" fing ich an, so zu reden: "Hey, this is Boys Toys!" Ich wollte immer schon so ein Alter Ego schaffen – ein männliches. Auch schon bevor ich darüber nachgedacht hatte, das alles publik zu machen und zu sagen, dass ich transgender bin, und wohl auch privat noch gar nicht so weit war. Das zu kreieren war für mich eine Art Flucht. Irgendwie hat sich das dann übers ganze Album ausgebreitet und es entstand die Idee, ihn das Album durchzählen zu lassen.

War diese Figur der Grund, dass es letztlich ein Album wurde?

Ja, auf jeden Fall! Das ist der Glue, der alles zusammenhält.

Alle Songs des Albums sind demnach im letzten halben Jahr entstanden – seit "Bullet In My Heart"?

Ja voll. Wobei ich mir erst gar nicht sicher war, ob ich "Bullet" aufs Album packen soll. Schlussendlich habe ich mich dann doch dafür entschieden.

Du hast insgesamt sehr lange damit gewartet, ein Album herauszubringen.

Mir war nie so wichtig, ein Album zu haben. Irgendwann wurde der Wunsch dann doch laut, aber es war immer die Frage: "Was mach' ich da überhaupt? Was ist die Essenz von Mavi Phoenix?" Ich habe selbst auch gespürt, dass da in der Tiefe noch viel verborgen liegt – dass die Geschichte noch lange nicht erzählt ist. Aber ich konnte es lange nicht genau benennen. Dieses Transgender-Sein war dann ein Aha-Moment. Das hat viel für mich erklärt, in meinem Leben seit der Kindheit. Plötzlich war es schlüssig. Dann habe ich einfach Songs geschrieben und mein Management sagte: "Hey, jeder Song dreht sich irgendwie um das Thema. Willst du damit publik gehen? Weil die Fragen werden kommen." Da gab es schon sieben, acht Songs zu diesem Thema und mir wurde klar, dass ich ein Album machen möchte.

Hast du anders an den Tracks weitergearbeitet, als du wusstest, dass ein Album darauf werden sollte?

Ja. Als ich mir sicher war, dass ein Album kommen würde, das "Boys Toys" heißt, wurde es einfacher. "Family" und "Who I Am" waren die letzten Tracks, die wir dafür gemacht haben. Das diente dazu, es abzuschließen und runder zu machen und um Themen abzudecken, die noch nicht abgedeckt waren. Das war cool.

Wie bei deiner letzten EP hast du wieder mit mehreren Produzenten kollaboriert. Man könnte meinen, mit dem Konzept im Hintergrund wäre es einfacher gewesen, mit festem Team zu arbeiten.

Naja, vielleicht wirkt das wie mehr, als es eigentlich waren. Das Kernteam waren so wie immer ich und Alex The Flipper. Tracks wie "12 Inches", wo ich aus dem Nähkästchen erzähle, konnten glaube ich auch nur entstehen, weil wir beste Freunde sind und ich mich bei ihm im Studio traue, solche Wahrheiten auszusprechen. Alex war an jedem Track beteiligt. Bei vier, fünf Songs war noch zusätzlich jeweils ein anderer Produzent dabei. Aber das Kernteam waren immer wir beide.

Zwei Songs sind in Los Angeles entstanden, oder?

Genau, "Choose Your Fighter" ist in L.A. mit einem Produzenten namens NVDES entstanden. Auch ein super Typ. Sehr esoterisch angehaucht. Wir waren bei ihm zuhause in Silver Lake. Dort hat er seine Bude und sein Studio. War mega! Der Track ist einer meiner Favorites. Er hat Sachen herausgekehrt, die ich schon immer irgendwie inne hatte – dieses Punkige, so richtig rotzig und mit Draufhauen. Das liegt mir und mache ich gern. Aber in L.A. ist auch "Player" entstanden, woran nur Alex und ich gearbeitet haben.

"Choose Your Fighter" sticht stilistisch sehr heraus. Auch in der Vergangenheit hast du dich ja nie auf einen Stil festgelegt, sondern von Track zu Track sehr unterschiedlich agiert. Warum wolltest du auch auf dem Album keine klare rote Linie fahren?

Weil ich das so langweilig finde! Ein Album, auf dem alles gleich klingt, ist für mich kein geiles Album. Das ist die sichere Variante, wenn man als Künstler schon seinen Style gefunden hat und denkt: "Ja, das geht gut, dann mach' ich halt zwölf Tracks, die im Grunde eigentlich alle dieselben sind – nur ein bisschen unterschiedlich." Das ist für mich kein iconic Album. Ich wollte ein iconic Album machen, wo jeder Track das Potenzial hat, für irgendwen ein Lieblingssong zu sein. Aber es sollte auch nicht krampfhaft jeder Song anders sein müssen. Es ist easy und natürlich entstanden. Das ist einfach mein Style. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich meinen Sound noch nicht gefunden hab...

Ein eigener Sound ist schon trotzdem irgendwie da.

Das Gefühl habe ich nämlich auch. Es geht sich schon aus. Es ist nicht so, dass das jetzt überhaupt nicht auf einer Platte gemeinsam funktioniert. Ich hab’ schon das Gefühl, dass das Grundding oder vielleicht die Stimmung dieselbe ist.

"Insgesamt gab es sicher 50, 60 Songs"

Hast du diesmal auch wieder selbst mitproduziert?

Ich hab' mich mehr auf die Texte konzentriert als vorher, aber zum Beispiel bei "Family" habe ich alle Gitarren eingespielt, die man hört. Man denkt sich vielleicht eh: "Wer hat hier so scheiße Gitarre gespielt?" Das war ich. (lacht) Das Gitarrensolo am Schluss von "Player" ist auch von mir. Beim produzieren bin ich auch eigentlich immer dabei. Vocals produziere ich immer selbst, spiele einige Sachen ein, bin an den Arrangements beteiligt. Ich hab' eigentlich überall Producer-Credits.

Es wirkt, als wären einige Textpassagen sehr spontan entstanden. Bedeutet dass, das du zuerst die Beats suchst und erst dann textest?

Ja, vorher ist der Beat, das Gerüst da. Das spielt mir zum Beispiel Alex vor und dann komme ich mit dem Text um die Ecke.

Wie wählst du aus?

Ich bin schon sehr picky bei Beats. Sie müssen etwas in mir auslösen. Dann ist es cool.

Wie viel lag noch auf Halde?

Wir haben schon einiges gekickt. Es gab auch drei, vier Songs, die sehr "hittig" waren, sehr poppig. Wirklich jeder, dem wir sie vorgespielt haben, meinte: "Ey, das ist ein Hit!" Die haben wir alle rausgerückt, weil es nicht zum Thema passte. Das wär so whack gewesen, einen Track nur aufs Album zu packen, weil er eine hittige Hook hat. Das passt überhaupt nicht. Für mich war es bei dem Album wirklich sehr wichtig, dass es genau das abbildet, worum es geht und dass alles zusammen passt. Insgesamt gab es sicher 50, 60 "Song-Songs".

Das heißt, es werden bald wieder Singles kommen?

Es werden wieder Singles kommen, aber ich nicht die. Ich glaube, die sind jetzt für immer weg. Dafür ists jetzt zu spät. (lacht)

In "Boys Toys" gibts die schöne Line: "The whole scene wants me to babysit". Was meinst du damit?

Na, die ganze österreichische Hip-Hop-Szene will, dass ich ihnen zeige, wie's geht! Der Track ist ja so Hip Hop Flag, Ich-bin-geiler-mäßig. Nicki Minaj sagt in einem Track glaube ich auch – nicht, dass ich mich jetzt mit ihr vergleichen will – etwas à la "these rappers are my sons". Das fand ich nice. Darüberstehen und sagen, ihr könnt alle was von mir lernen. Das ist ziemlich Hip Hop, glaube ich. (lacht)

Fühlst du dich denn mittlerweile als Teil der Szene?

Nicht wirklich. Ich hab' immer noch meine Probleme mit Szenendenken. Ich finde wack, wenn jeder in seiner Szene abhängt, wo man so safe ist und alle einen feiern, aber man außerhalb der Bubble nicht weiterkommt. Ich hab' keinen Bock drauf, nur in Wien mein Ding zu machen und mir abzuholen, dass mich jeder cool findet, aber sonst nicht weiterzukommen. Das find' ich scheiße.

Wie sieht das denn in deiner Fanbase aus?

Ich glaube, viele kommen aus der linken LGBTQ-Szene. Nicht nur. Mittlerweile folgen mir so junge Burschen. Aber generell sehr links und sehr LGBTQ.

Wie stark war eigentlich der Gegenwind nach deinem Coming Out? Du meintest einmal, dass du als direkte Reaktion einige Follower verloren hast.

Ja voll. Es gab jetzt nicht so krass viele Hasskommentare, aber mehr als ich je vorher bekommen habe – vor allem Nachrichten. Und wie gesagt hab' ich auch Follower verloren. Aber besser die entfolgen mir und es ist Platz für Leute, die das akzeptieren, als andersrum.

Du rückst durch deine Identität und den offenen Umgang auf dem Album damit zwangsläufig wieder in eine Vorbildrolle. Wir hatten das Thema vorhin schon mal. Nervt dich das, weil dadurch die Musik vielleicht teilweise in den Hintergrund rückt, oder bist du froh, jetzt in dieser Situation zu sein?

Ein bisschen nervt es schon, denn ich bin ja nicht "gerne" trans. Es ist auch anstrengend für mich, darüber zu reden und ich kann nichts dran ändern...

Man sollte eigentlich nicht darüber reden müssen.

Genau, mein Traumszenario ist, dass ich irgendwann nicht mehr trans bin, sondern einfach männlich. Ich will kein Extra-Ding, ich will einfach ein Typ sein. Ich verzichte gern auf diesen Exoten-Transgender-Stempel.

Was war dein Lieblings-Toy als Kind?

Lego. Ich war voll Lego-Fanatiker. Ich hab es so geliebt, mir meine eigene Welt aufzubauen, etwas zu kreieren und damit zu spielen. Das war auf jeden Fall mein Lieblingsspielzeug. Und von früh an auch GameBoy, PlayStation und so. Ich war immer sehr digital beim Spielen. (lacht)

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