31. März 2020

"Pop hat sich grundlegend geändert"

Interview geführt von

Vier Jahre Pause zwischen dem Debütalbum und dem Nachfolger, das trauen sich nur wenige junge Musiker*innen. Wir sprechen mit Lapsley über ihre Rückkehr.

2016 war das Jahr der Holly Fletcher aus Liverpool. Die Kritiker überschlugen sich ob des neuen Wunderkinds der Elektronica. "Long Way Home" entwickelte sich zum Streaming-Hit und sogar in der Clubszene fand Lapsley dank der DJ Koze-Version von "Operator" Gehör. Die Welt war bereit und die Zukunft für die Britin rosarot. Doch auf einmal verschwand sie spurlos von der Bildfläche. Das junge Talent, damals gerade mal knapp 20, fühlte sich ausgebrannt, zog sich zurück, arbeitete mit Jugendlichen, machte eine Ausbildung zur Geburtshelferin und fand auf dem Weg sich selbst.

Mit "Through Water" erschien vor kurzem ihr zweites Album. Darauf findet man einfühlsam aufeinander abgestimmte Songs, die die unerträgliche Leichtigkeit des Seins thematisieren und den Prozess beschreiben, den Holly in den letzten Jahren duchlebte. Von einem unsicheren, unerfahrenen Mädchen ist sie zu einer stolzen, selbstbewussten Frau herangereift, die versteht, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ursprünglich sollte das Interview im schönen Berlin stattfinden, aber als die Corona-Krise anzieht, wird daraus ein Telefonat. Im schützenden Kokon der Häuslichkeit knackt die Leitung ein paar Mal, bevor eine sanfte, aber selbstsichere Stimme am anderen Ende ertönt. "Hi, hier ist Holly, schön mit dir zu sprechen!" Und so beginnt die Unterhaltung mit der Künstlerin, die vielen als Vorbild für Billie Eilish ist.

Holly, wir sollten uns eigentlich gerade in Berlin treffen, aber dann wurden die Corona-Reiserestriktionen beschlossen. Wie denkst du darüber in diesen Tagen?

Lapsley: Corona ist natürlich vor allem für Menschen aus Risikogruppen gefährlich. Es ist unser aller Pflicht, diejenigen bestmöglich zu schützen, die sich nicht selbst schützen können. Also wascht eure Hände und haltet die Hygienestandards ein.

Man muss wissen, UK hat kein so stabiles Gesundheitssystem wie Deutschland und ist daher noch mehr auf die Vernunft und Solidarität seiner Bürger angewiesen. Zeit für ein bisschen Galgenhumor.

Was ist schlimmer, der Brexit oder Corona?

Tja, Corona hat eine höhere Sterberate als der Brexit. Auch wenn beides eine Art Quarantäne ist.

Und beides hat einen immensen Einfluss auf die Musikindustrie.

Das ist leider sehr wahr. Sowohl die Corona-Krise als auch der Brexit macht das Leben für Musiker sehr schwer. Die Industrie wird an beidem zu knabbern haben. Wobei nun natürlich der Ausfall aller Veranstaltungen auf unbestimmte Zeit wirklich einen weitaus zerstörerischen Effekt haben wird.

Zum Glück warst du vor ein paar Wochen zumindest noch in Berlin und hattest offensichtlich eine Menge Spaß.

Ja, ich hatte eine fantastische Zeit dort. Es war der erste Tag meiner Tour und alles war perfekt.

2016 war ein verrücktes Jahr für dich, die Musikszene überhäufte dich mit Lobeshymnen. Danach wurde es plötzlich ruhig um dich. Hattest du keine Angst, dich auf dem Höhepunkt deiner Karriere zurückzuziehen? Du wusstest ja nicht, ob und wann es ein Comeback geben wird.

Es ging mir damals einfach nicht gut. Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich die Reißleine ziehen musste. Ich habe mir dann erstmal ein Jahr komplett für mich und mein Seelenheil genommen und das war die beste Entscheidung. Ich wollte wieder zu der kreativen Holly werden, die ich verloren hatte. Das ging nur über eine Auszeit. Es war ein sehr transformatives Jahr, in dem ich zu mir selbst gefunden und mir auch meine Kreativität zurück erkämpft habe. Im zweiten Jahr war ich dann eigentlich nur im Studio.

"Ich bin bereit für die Zukunft"

Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass es, auch wenn es eine notwendige Entscheidung war, sich aus allem herauszunehmen, vor allem eine mutige war. Ist der Druck nun umso größer, weil du so jung so berühmt geworden bist?

Es ist natürlich schon eine grandiose Sache, so jung bereits solche Erfolge feiern zu dürfen. Das muss man wahrnehmen und für sich nutzen. Ich hatte auch viel Unterstützung aus meinem Umfeld. Vielleicht hätte ich auch früher auf diese Menschen hören sollen, als sich abzeichnete, dass ich eine Pause brauche. Teil meiner Persönlichkeit ist aber nun mal meine Starrköpfigkeit, die, gepaart mit dem Anspruch, niemanden hängen zu lassen, die Dinge unnötig verzögert haben. Ich stelle aber gleichermaßen fest, dass sich der Dialog im Bezug auf Künstler und deren geistige Gesundheit wirklich verändert hat. Es ist heutzutage einfacher, über diese Angelegenheiten zu sprechen, ohne verurteilt zu werden. Das ist sehr gut und sehr viel wert.

Auf deinem Youtube Channel hast du 75.000 Follower, "My Love Was Like The Rain" sammelte über 500.000 Streams innerhalb von vier Monaten und "Womxn" erreichte im ersten Monat 65.000 Views. Es scheint fast, als hätte die Welt nur darauf gewartet, dass du endlich zurück kommst. Bist du von dem Zuspruch überwältigt?

Das Feedback ist sehr nett und positiv. Man weiß ja nie, wie es ausgeht, wenn man so lange weg war. Die EP war ein leises Vorfühlen und ich blicke jetzt voller Vorfreude auf das, was mit dem Release der neuen Platte noch kommen wird. Ich bin bereit für die Zukunft.

Kam die Kreativität mit einem Schlag zurück oder war das ein Prozess der langsamen Annäherung zurück zur Kunst?

Ich kam tatsächlich an einen Punkt, an dem ich dem Komponieren einfach nicht mehr aus dem Weg gehen konnte. Irgendwann war ich selbstbewusst genug, um wieder ins Studio zu gehen und meinen Weg zurück in den ganzen Prozess zu finden. Wahrscheinlich auch, weil Schreiben so ein fundamentaler Teil ist wie ich mich ausdrücke. Es geht nicht nur darum, etwas auf den Markt zu werfen und Alben zu verkaufen. Musik ist für mich eine sehr persönliche Sache.

"Der Ausdruck Womxn ist inklusiver"

Was hat dich denn in deiner Kreativität und in deinem Selbstbewusstsein gestärkt?

Sport! Ich schwimme echt viel. Auch Routine ist wichtig. Mir die Zeit nehmen, meine Freunde zu sehen. Ich bin auch super gerne draußen. Wandern ist klasse. Es sind die vielen Kleinigkeiten, die mir guttun.

Sport. Immer ist Sport. Jetzt im Hausarrest natürlich nicht ganz so gut umsetzbar. Endlich Nichtschwimmer, würde Dendemann sagen. Aber nach der Krise dann ...

Schwimmen und Wasser sind ja essentielle Bestandteile deines Albums, was sich bereits im Titel "Through Water" widerspiegelt. Auffällig sind auch Samples von Wassergeräuschen, vor allem im Track "Leeds-Liverpool Canal" und auch im Video zu "My Love Was Like The Rain" befindet man sich in einer Schwimmhalle. Ist Wasser das Element, dem du dich am nächsten fühlst?

Als ich das Album aufgenommen hatte, suchte ich nach einem Titel oder eine Phrase, die zusammenfasst, um was es geht. Für mich ist die Kernaussage des Albums die Ehrlichkeit, ein junger Mensch zu sein. Das beinhaltet die Höhen und Tiefen und ich denke, Wasser ist eine Metapher für Dualität. Es gibt Wasser, das super sicher und ruhig ist, auf der anderen Seite aber auch Gewässer, die das genaue Gegenteil sind, also gefährlich, dunkel und zerstörerisch. Es sind eben nicht immer die sanften Wogen, die einen umspielen, sondern auch die tosende See, die einen apokalyptisch zu überrollen droht. Wasser steht aber auch für Unendlichkeit und konstante Bewegung. Ich habe schon eine seltsame Obsession mit Wasser. Vielleicht schwimme ich deshalb so gerne.

Man sagt ja auch, das Leben ist ein Fluss, der fließen muss. Beim Hören des Albums entsteht auch der Eindruck einer fließenden, organischen Form von Musik. Die Songs scheinen ineinander überzugehen und ergeben am Ende ein stimmiges, rundes Klangkonzept.

Du hast eine besondere Schreibweise für "Womxn" gewählt.

Ja, das kommt aus der LGBTQ-Szene, deren Teil ich bin. Ich finde den Ausdruck inklusiver als das klassische "Woman", denn "Womxn" schließt eben auch Non-Cis-Frauen mit ein. Ich wünsche mir, dass dieser Begriff an Reichweite gewinnt.

Du engagierst dich sehr für ein gleichberechtigtes Miteinander und warst auch am Weltfrauentag auf Demos. Hast du den Eindruck, als wären wir gerade an einem neuen Peak des Feminismus und des Konzepts der Anti-Gender Bewegung?

Auf jeden Fall, sogar massiv. Es begann mit Gesprächen und Dialogen und die Tatsache, dass darüber immer noch gesprochen werden muss zeigt, dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegt. Aber der Anfang ist gemacht.

Auch in der Musikindustrie wird das Ungleichgewicht zwischen Männern, Frauen und Diversen kritisch beäugt. Immer mehr Stimmen werden laut, die sich für eine ausgewogene und vielfältige Musiklandschaft aussprechen. Das fängt damit an, dass man zumindest weiß, dass Popmusik mehr ist als seichte Unterhaltung, dargeboten von Männern.

Die Definition von Pop hat sich ohnehin grundlegend geändert. In den letzten zehn Jahren ist alles elektronischer und inklusiver geworden, was toll ist. Ich für meinen Teil kann mich nicht dazu durchringen, meine Musik zu labeln. Ich verstehe mich als genreübergreifend.

Aber gerade in der elektronischen Musik gibt es immer noch viel mehr Männer als Frauen. Glaubst du, Frauen trauen sich einfach nicht alle technischen Möglichkeiten auszuschöpfen?

Naja, Frauen werden auch nicht gerade dazu ermutigt, sich damit auseinanderzusetzen. Man muss vielleicht damit anfangen, Spotlights auf Frauen in technischen Jobs zu setzen und ihnen noch mehr das Gefühl geben, dass sie vor nichts Angst haben müssen, schon gar nicht vor der technischen Komponente. Außerdem müsste man es ihnen vielleicht auch einfach mal zeigen, anstatt dass Männer sie erst gar nichts ausprobieren lassen. Ist ja schön, wenn Männer da Spaß dran haben - aber Frauen eben auch. Wissen sie nur oft nicht.

Du hast anscheinend viel Spaß daran, ich denke da an die ganzen Throat-Modeling-Effekte auf deinem Album, wie ich sie zuletzt bei Agnes Obel gehört habe, die ja aus einer ganz anderen Richtung kommt. Passiert sowas direkt bei der Preproduction oder setzt du dich erst ans Klavier und arbeitest das später aus?

Das ist tatsächlich eine Mischung aus beiden Herangehensweisen. Meistens sitze ich am Keyboard, das direkt mit dem PC verbunden ist. Im Verlauf entwickelt sich dann instinktiv eine Richtung, in die der Song gehen soll. Natürlich beeinflussen auch äußere Umstände den Outcome. Musik, die man gerade hört, Situationen, in denen man sich befindet, Gedanken, die man hat. Die Cocteau Twins waren sehr präsent während ich das Album schrieb.

Lass uns abschließend noch über deine Texte sprechen. Gerade "My Love Was Like The Rain" kommt so leichtfüßig daher, aber der Text ist nicht gerade das, was man von einem Lovesong erwartet. Bittersüß ist der Tenor, der sich durch deine Lyrik zieht. Nehmen wir mal die Zeile "Remember when you said / My love was like a rose / not the sweet bloom / but the pain as it scratches your hand". Nicht gerade charmant ...

Natürlich ist das ein bisschen dramatisch, aber Liebe ist eben nicht einseitig, es gibt nicht nur die schönen Momente, es gehören auch viele dunkle Stunden dazu. Das wollte ich speziell in diesem Song beleuchten. Abermals ist hier die Ehrlichkeit der Trumpf, den ich ausspiele. Die Texte entstehen gleichzeitig zur Musik. Das Grundgerüst habe ich in zwei, drei Stunden. Der Rest dauert ewig. Manchmal Jahre.

Dieses Album hast du nur mit Hilfe eines einzigen Produzenten, Theo Brown, aufgenommen. Du hattest also im Vergleich zum Vorgänger von Anfang an die volle Kontrolle.

Richtig. Anstatt in anderer Leute Studios zu gehen, habe ich jemanden in mein Studio geholt. Das war das Richtige, denn jetzt habe ich auch viel mehr Vertrauen in mich als Texterin und Produzentin, als ich es noch vor ein paar Jahren hatte. Klar, jetzt bin ich auch älter und erfahrener. Jetzt brauche ich niemanden mehr, der mir zeigt, wie der Hase läuft oder mir künstlerische Entscheidungen abnehmen will. Das kann ich ganz alleine.

Lapsley plant neue Auftritte nach der Corona-Krise. Es lohnt sich, der Ruf eines fantastischen Live-Erlebnisses eilt der jungen Britin voraus. Wer möchte, kann sie bis dahin mit dem Kauf ihres neuen Albums oder Merchandise unterstützen. Wer noch mehr Gutes tun möchte, dem sei der Erwerb einer "Womxn"-Jutetatsche ans Herz gelegt, dessen Erlös an Mermaids geht, eine Organisation, die Transgender-Familien unterstützt.

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