laut.de-Kritik

Immer diese Tonlage, als wäre gerade ein Welpe gestorben!

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Viele Leute kennen diese eine Person, die – egal, wann man sie über die Jahre trifft – immer jetzt gerade durch die schlimmste Lebenskrise, den furchtbarsten Break-Up oder die toxischste Freundschaft geht. Und sollte man diese Erfahrung noch nicht gemacht haben, dann gibt es sie jetzt im Media Markt zu kaufen. Man mag sich nicht von der Berlin-Chic-Ästhetik oder dem Poetry Slam-Vibe verwirren lassen, im Herzen ist diese LEA ein waschechter Emo. Ihre Musik geht immer an jede Schmerzgrenze der Aufrichtigkeit und das Melodrama hagelt immer mindestens auf 11 von 10 auf der Richterskala. Aber so viel Weltschmerz hier auch seinen ehrlichen Ausdruck finden mag, waren Emos nicht auch schon mal unterhaltsamer?

"Fluss" ist ein erschöpfendes Album. Das liegt vor allem daran, dass LEA als Performer nur einen einzigen Trick kennt. In bester Manier ihres GZSZ-Cores geht es zwar abwechselnd um Liebe und Schmerz, Glück und Trauer, Licht und Schatten, Hoffnung in der Angstiness, aber mal all den Promo-Broschüren-Blödsinn beiseite; diese Frau klingt, wenn sie singt, immer so, als hätte gerade ihr Freund mit ihr Schluss gemacht.

Und hey, manchmal hat diese Tonlage ja auch ihren Platz. In den besten Fällen strahlt sie genuin Wärme und Einfühlungsvermögen aus. Der Pre-Chorus auf "Gewitter" klingt entwaffnend ernst, die Refrains auf Titeltrack "Fluss" und "Sag Nicht Sorry" bringen solide Melodie mit, wenn man auf diesen Modus Pop steht, kommen hier solide Performances zusammen. Piano-Balladen, eben, muss man mögen, aber sie hat den Skill als Sängerin. Ein wirkliches Highlight bildet der Song "Dicke Socken", in dem sie ihre Beziehung und ihre Liebe zu ihren Eltern reflektiert. Bravo, zuckersüß, bitte mehr davon. Nicht nur, weil es das Album thematisch ein bisschen aufbricht, sondern auch, weil sie endlich sowohl detailliert und eindringlich erzählt.

Oft gelingt ihr das nämlich nicht gleichzeitig. Also, angenommen, wir kommen überhaupt erst über die auf dem Album marodierenden Plattitüden heraus. Meine Güte, Sachen wie "ich weine einen Fluss aus Tränen" schreibt man in einer angsty vier-Uhr-morgens-Tagebuch-Session vielleicht ja mal auf, aber hätte nicht irgendwer im Studio sie aufhalten können, die uralt abgedroschene Phrase "ich trage schwarz, bis es was Dunkleres gibt" für einen ganzen Refrain auszuschlachten? Man kann nicht cool klingen, während man auf Facebook-Tanten-Level nachdenkliche Sprüche mit Bildern singt, als wären sie Erkenntnisse von alter Weisheit.

Schlimmer aber, als die paar Momente, in denen sie textlich plump wird, ist das immerwährende und Seelen verzehrende Herumgeeier beim Versuch, nicht plump zu werden. So viele Songs versuchen sich an Beobachtungen von Details und Erzählungen. Zum Beispiel "Sommer", auf dem sie im Refrain bedeutungsschwanger "ich weiß noch ganz genau, auf deiner Hand stand meine Nummer / wir hab'n geknutscht in deinem Zimmer / bis zum Ende dieses Sommers" singt. Auch der Part ist voll mit völlig irrelevanten, mondänen und belanglosen Details, die dieser mondänen und belanglosen Geschichte absolut nichts hinzufügen. Girl, du hattest als Teenager mal einen Boyfriend, dann habt ihr rumgemacht, dann habt ihr euch nicht mehr gesehen. Wozu muss man da jetzt die Tonlage auspacken, als wäre gerade ein Welpe gestorben? Wie wichtig ihr diese Story ist, merkt man dann auch, dass sie die Schmonzette prompt geschmackvoll für ein rührseliges Capital Bra-Feature verramscht hat.

Vielleicht macht das aber den Knackpunkt: LEA singt sehr viel darüber, dass sie Nächte durchmacht, die letzte am Tresen ist, das Leben genießt, im Park, im Urlaub, in Berlin. Nach "Fluss" fällt es aber ernsthaft schwer, sich diese Frau mit etwas anderem vorzustellen, als mit verheulten Augen. Selbst die schönen Dinge, über die sie singt, besingt sie so melodramatisch und aufgewühlt. Aber war dieser Sommer mit dem Boyfriend nicht nett? Ist es nicht schön, Leute zu lieben? Warum kommt dieses Album nicht eine Sekunde aus dem Saft, um mal all die Lebensfreude, die ihm doch scheinbar zugrunde liegt, auch einmal auszudrücken? Nix da - wenn LEA singt, dann ist grundsätzlich alles immer schlimm und trist und traurig. Diese Frau hat kein Brett, aber mindestens drei Sepia-Filter vorm Kopp.

Die einzigen Momente genuiner Variation bekommen wir auf "Küsse Wie Gift", auf dem sie sich mit Label-Kollegin Luna für eine feurige Break-Up-Ballade zusammentut. Es ist ein mittelschweres Desaster. Luna mag die technisch schwächere Sängerin der beiden sein, aber Jesus, immerhin glaubt man dieser Frau die Pampigkeit. LEA klingt beim Versuch, ein Ausrufezeichen und einen Warnruf an einen wacken Typen auszusprechen, als würde sie sich in echt nicht trauen, eine Service-Hotline anzurufen. Ach ja, und auf dem Casper zitierenden Song "Schwarz" kommt Casper vorbei, um einen so hochnotpeinlich beschissenen Part einzurappen, dass es fast schon albern ist. Dieser Typ konnte doch mal texten, oder? "Ich weiß, ich bin viel zu viel für dich / Ein perfekter Sturm, der durch dich fegt, bis nichts mehr übrig ist, typisch ich", rappt er, scheinbar nicht bemerkend, wie sehr er dabei klingt, als hätte er komplett den Kopf im Arsch. "Postkarten aus dem Upside Down / Wo sich Langzeit-Grau schwarz eintaucht", schließt er an. Deep, Bruder, schätze ich? Wenn wir uns ihn als Stand-In für all die männlichen Charaktere in LEAs Leben vorstellen sollen, dann verstehe ich jetzt, warum sie nonstop so depressiv klingt.

Es wäre ja die eine Sache, ein komplett depressives Pop-Album aufzunehmen. Das wäre ja eigentlich ganz cool. "Fluss" klingt unglaublich deprimierend, aber auch nach mehrmaligem Hören lässt sich schwer festmachen, warum eigentlich. Wir bekommen einen wilden Strauß an inkohärenten Break-Up-Balladen, Songs über Liebe, Freundschaft, Streit und das Leben. Aber LEAs Attitüde dabei bleibt so anstrengend monoton. Song für Song das selbe andächtige, viel zu gewollt tiefschürfende Geseier über Sachen, die diesen Ton selten gebraucht hätten. Bitte, ein Brotkrumen Witz, ein bisschen Humor, ein klein bisschen Self-Awareness, irgendetwas! Es gibt sie zwar, die guten Momente darin, die kompetent ausgelegten Hooklines, die textlichen Stellen der schön eingefangenen Aufrichtigkeit. Aber sie gehen unter in einer Springflut an völlig übermannendem Melodrama, die alle Nuancen, Grautöne und Sensibilitäten dem Erdboden gleich macht. Für so viel Intensität und so viel Drama gerät "Fluss" wirklich erschreckend wenig unterhaltsam.

Trackliste

  1. 1. Fluss
  2. 2. Parfum
  3. 3. Swimmingpool
  4. 4. Küsse Wie Gift (feat. Luna)
  5. 5. Sommer
  6. 6. Gewitter
  7. 7. 4-Zimmer-Wohnung
  8. 8. Wenn Du Mich Lässt
  9. 9. L & A (feat. Antje Schomaker)
  10. 10. Sag Nicht Sorry
  11. 11. Tausendmal
  12. 12. Fast
  13. 13. Dicke Socken
  14. 14. Schwarz (feat. Casper)
  15. 15. Parfum - Piano Sessions
  16. 16. Swimmingpool - Piano Sessions
  17. 17. 4-Zimmer-Wohnung - Piano Sessions
  18. 18. Sag Nicht Sorry - Piano Sessions

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