laut.de-Kritik

Gesicht auf den Rücken gedreht und moshen, bis die Haarwurzel bricht.

Review von

Keine Ahnung, woran es liegt: Die Zeitabstände zwischen Kreator-Scheiben kommen mir immer deutlich kürzer vor, als sie tatsächlich sind. Das großartige "Hordes Of Chaos" liegt schon wieder drei Jahre zurück! Dabei erscheint mir die Scheibe dermaßen präsent, als wäre gerade einmal ein gutes Jahr vergangen.

Das Quartett legt nun aber "Phantom Antichrist" nach. Die Basics haben Kreator erneut allesamt in einer Live-Situation im Studio aufgenommen. Dieses Mal ging es allerdings zu Jens Bogren nach Schweden. Laut Aussage von Mille war der Mann hauptsächlich dazu da, um sämtliche cheesigen Parts zu entfernen - beziehungsweise denen gleich vorzubeugen.

Mit diesem Statement im Hinterkopf klingt das Intro "Mars Mantra" um so erstaunlicher, tönen einem doch zu akustischen Gitarren sanfte "Lalalala"-Gesänge entgegen. War da 'n Yogi-Tee zu viel in der Tasse? Nicht wirklich.

Der Titeltrack bricht schon nach wenigen Sekunden in die vermeintliche Harmonie herein und rückt alles wieder gerade - oder auch nicht. "Phantom Antichrist" dreht einem das Gesicht um 180 Grad nach hinten und zwingt einen dennoch, in dieser Position zu moshen, bis die Haarwurzel bricht. Falls die Bezeichnung 'Nackenbrecher' jemals auf einen Song zutraf, dann auf diesen.

Bereits hier fällt aber auf, dass Kreator bei den Melodien noch einen drauf gelegt haben und mit höchst epischen Elementen arbeiten. Bestes Beispiel hierfür liefert eben der Refrain des Titeltracks oder "The Few, The Proud, The Broken", das eine merkliche Amon Amarth-Schlagseite verzeichnet.

Die Soloarbeit von Sami war schon immer äußerst melodiös, doch auch Mille scheint in dieser Beziehung schwer an sich gearbeitet zu haben. Das äußert sich vor allem in klassischen doppelten Gitarrenläufen der Marke Maiden/Priest.

Geht "Death To The World" noch als typischer brachialer Thrasher durch, weist das stampfende "From Flood Into Fire" schon in eine ganz andere Richtung. Wollte man böse sein, man könnte hier durchaus mit dem Cheesy-Vorwurf kommen: Es klingt schon sehr nach klassischem Metal, der nicht ohne Kreator-Trademarks auskommt (wie auch, bei Milles Stimme), lädt einen vielleicht doch zu sehr zum Schunkeln ein.

Zwar gibt es noch einen kurzfristigen Powerboost, doch spätestens beim finalen "Until Our Paths Cross Again" fragt man sich ernsthaft, ob man das als Kreator-Fan in dieser Form braucht. Gefühlsmäßig bewegt man sich hier irgendwo zwischen Grand Magus und 'ner folkigen Blind Guardian-Nummer, was den Bogen vielleicht ein wenig überspannt.

Nach den beiden letzten reinrassigen Thrash-Alben steht den Essenern wohl der Sinn nach Abwechslung. Diese findet man auf der Scheibe zur Genüge. Meist kommt die Thrash-Kante dabei nicht zu kurz. Aber "Civilization Collapse" oder "United In Hate" hätten auch ohne die ausgesprochen melodischen Refrains funktioniert.

Bei genauerer Betrachtung macht aber nur das gehäufte Auftreten dieser Elemente stutzig. Lässt man die letzten drei Kreator-Scheiben im Shuffle-Modus durchlaufen, zeigt sich zu keiner Zeit ein eklatanter Stilbruch. Damit wird "Phantom Antichrist" für die Fans der letzten Scheiben zwar nicht den ersten Platz in der Historie belegen, zum Außenseiter wird das Album aber mit Sicherheit auch nicht.

Trackliste

  1. 1. Mars Mantra + Phantom Antichrist
  2. 2. Death To The World
  3. 3. From Flood Into Fire
  4. 4. Civilisation Collapse
  5. 5. United In Hate
  6. 6. The Few, The Proud, The Broken
  7. 7. Your Heaven My Hell
  8. 8. Victory Will Come
  9. 9. Until Our Paths Cross Again

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11 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    So, jetzt hab ichs mir auch mal gekauft und zur Genüge gehört ...
    Ja, vier Sterne gehen schon in Ordnung. "Phantom Antichrist" hat zwar wirklich keine Songs, die schlechter als die Gesamtwertung sind, aber zum absoluten Überhammer reicht's bei mir (noch?) nicht. Mir fehlen teilweise ein bisschen die richtig thrashig-harten Sachen wie "War Curse" oder "All Of The Same Blood", aber andererseits hat man dafür ja schon genug reinrassige Thrash-Alben auf den Markt geworfen. Wirklich cheesy wird's meiner Meinung nach nichtmal beim Opener, auch wenn "From Flood Into Fire" schon je nach Stimmung ein bisschen am Muskelbepackter-halbnackter-Mann-schwingt-Keule-Image kratzt, aber übermäßig stören tut mich das auch nicht.
    Schön ist auf jeden Fall, dass sich die Band auch auf dem 13. Album noch weiterentwickelt.

  • Vor 11 Jahren

    Für mich ihr bestes Album seit "Coma of Souls", gerade wegen den etwas ausgefeilteren Melodien! Da wird trotz den wirklich ziemlich pathetischen Songs "From Flood Into Fire" und "Until Our Paths Cross Again" auch kein Bogen überspannt, ganz im Gegenteil: Das steht Kreator doch ganz gut zu Gesicht. Zumal Fans sich sowieso schon des öfteren Experimente der Band gefallen lassen mussten, sowohl in die Industrial Metal wie in die Gothic Metal Richtung (naja, Möchtegern-Gothic Metal zumindest), die allesamt schlechter waren als die Spielereien mit Power Metal und Konsorten auf "Phantom Antichrist"... Also alles im grünen Bereich.