laut.de-Kritik

Das Fenster zu einer Tonkunst, die Gedanken auf Reisen schickt.

Review von

Es begab sich an einem kalten Freitagmorgen im Januar, als ich im Home Office in die für Hamburg typisch grauen Wolkenfelder blickte, dass mein Gemütszustand dem einer Winterdepression nahe kam. Ich fühlte mich nicht in der inneren Balance. Um mich abzulenken, öffnete ich YouTube, und der Algorithmus schlug mir "A Love International" vor, die zu dieser Zeit neue Single von Khruangbin.

Die Band empfand ich immer als sehr angenehme Hintergrundbeschallung auf exzellentem Niveau. Was dieser Song jedoch in mir auslösen würde, war nicht zu antizipieren. Ein über vier Minuten sich entblätterndes, hoch emotionales Geflecht umarmte meine missmutige Befindlichkeit und spendete mir Trost. Wie die Gitarre zunächst federleicht und kokett neben Schlagzeug und Bass gleitet, um mit zunehmender Spieldauer verlangender und sehnsüchtiger zu klagen, während subtil eingesetzter Gesang und Streicher dazu erklingen, verdient größten Respekt. Als ich kurz darauf in einem Berliner Café einen Kardamom-Espresso schlürfte und meine Ohren ebenjenes Lied im Hintergrund registrierten, wurde mir gewiss, dass es etwas Besonderes für mich darstellt.

Zwei Monate später heißt es nun "A La Sala" für mich, um die Review für das neue Album des Trios aus Houston zu schreiben. Erwähnte Vorabsingle bleibt in ihrer Emotionalität die Ausnahme, weil sich die Band insgesamt etwas zurücknimmt und mystische Melodien in ruhiger Umgebung spielt. "Fifteen Fifty-Three" gibt hier passend den sanften und nachdenklichen Einstieg, bei dem einem zu Beginn beinahe das Gefühl beschleicht, dass Gitarrist Mark Speer noch kurz sein Instrument einstimmt. Zusammen mit Bassistin Laura Lee ertönt ein trauriger Diskurs. Das luftige "May Ninth" knüpft daran an mit butterweichem Gesang und weckt Assoziationen an Air, obgleich stringentere Rhythmen für mehr Zug sorgen.

Khruangbin erschaffen weiterhin exotische Klanglandschaften dank inhärenter Internationalität, ohne affektiert zu sein. Sie spielen in ihrer eigenen speziellen, etwas anderen Nische oder wie es Mark sagt: "Ich habe vor langer Zeit etwas gelesen, das Miles Davis zugeschrieben wird. Er sagte: 'Wenn sie schnell spielen, spielst du langsam. Wenn sie langsam spielen, spielst du schnell.' Und das ist definitiv die Art und Weise, wie ich die Musik betrachte: Folgt nicht den Trends. Und wenn dies der Trend ist, dann mach etwas anderes."

Ihre Coolness weht durch das ganze Album und zeigt sich in mannigfaltigen Ausführungen, wie beispielsweise im Sepia-Filter gehaltenen "Ada Jean", das wie ein Agentenfilm in einer orientalisch angehauchten Stadt klingt. Im unwiderstehlichen, mit westafrikanischen Einflüssen gespickten "Pon Pón" streuen sie eingehauchte Lyrics ein, im lässigen "Todavía Viva" verbinden sie Synthesizer-Streicher mit G-Funk-Elementen, clever gesetzten Brüchen und einer wunderbaren Melange am Ende. Robusten Funk-Shuffle gibt es ebenfalls in "Hold Me Up (Thank You)" samt sparsam genutzter Cowbell.

Ihre Musik trägt stets etwas Cineastisches, das unsere Kreativität anregt. In der rockigen Miniatur "Juegos Y Nubes" versetzt es uns in einen Spaghetti-Western mit gelungenem Tempo-Wechselspiel, und im melancholischen "Three From Two" beobachten wir einen einsamen Cowboy, der auf seinem treuen Ross durch die weite Prärie galoppiert.

Schlagzeuger Daniel Johnson hält den hallenden Bass und die windige Gitarre gekonnt im Zaum und gibt dem Projekt ein elegantes Fundament, doch an drei Stellen legt er seine Drumsticks zur Seite. Im zittrigen und versatzstückartigen "Farolim De Felgueiras" (übrigens der Name des Leuchtturms von Porto) hört man eine Person hin und herlaufen, darüber Marks tänzelnde Melodien, die einen mysteriösen Vibe versprühen. "Caja De La Sala" beherbergt ein wehmütig-intimes Duett zwischen Moog-Synthesizer und Gitarre, das mit einem Zirpen der Zikaden sein Ende findet.

Ebenjene Insekten sind es auch, die "A La Sala" beschließen im einlullenden, an eine Spieluhr erinnernden "Les Petits Gris", bei dem ein Klavier die Bühne betritt umrandet von Vogelgezwitscher. Wenn man das Album im Loop hört, verbinden die Zikaden das Ende und den Anfang, ergeben somit eine vorzügliche Schlaufe. Durch die etlichen Field Recordings etabliert sich ein lebendiger und auch im positivsten Sinne beiläufiger Charme ins Album, der das Fenster zum Träumen sowie Schwelgen weit aufreißt und den Frühling begrüßt. Khruangbins Musik lässt sich nur assoziativ beschreiben, man muss sie erleben. Tonkunst, die Gedanken auf Reisen schickt.

Trackliste

  1. 1. Fifteen Fifty-Three
  2. 2. May Ninth
  3. 3. Ada Jean
  4. 4. Farolim De Felgueiras
  5. 5. Pon Pón
  6. 6. Todavía Viva
  7. 7. Juegos Y Nubes
  8. 8. Hold Me Up (Thank You)
  9. 9. Caja De La Sala
  10. 10. Three From Two
  11. 11. A Love International
  12. 12. Les Petits Gris

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor 19 Tagen

    Im ersten Durchgang fehlen mir (bis auf Pon Pon) über die Albumlänge die sehr prägnanten Hooks wie in Pelota, Friday Morning oder meinem Lieblingssong der Truppe, Time. (welchen man auf der Live at Radio City Music Hall Veröffentlichung aus dem letzten Jahr in einer ziemlich geilen Liveversion hören kann. Bei Spotify in der Diskographie mal ganz nach unten scrollen, da gibts insgesammt vier Live Releases, drei davon zusammen mit anderen Bands, unter anderem Men I Trust)

    Ansonsten wieder großer Genuß, sich per Playtaste an die Strandbar nach Hawaii verlegen zu lassen.