laut.de-Kritik

Ein Ekstäschen für den Festival-Moshpit.

Review von

Johannes Eisners lyrisches Ich hat es schwer. Es muss durch die Konzerthallen touren, während die Freundin zu Hause wartet: "Fahr los, obwohl ich krank bin, für die Gage und fürs Team." Das Versprechen, sich an Weihnachten wiederzusehen? "Alles Nur Gelogen". Klingt das nach einem Grund für den zweiten Johannes, Herrn Gottwald am Keyboard, eine todtraurige Melodie anzustimmen, die Eisner mit Falsettgesang ergänzt? Nicht für Kaffkiez. Denn die Band möchte – unabhängig vom Songtext des Openers – wieder auf die großen Festivalbühnen der Republik. "Ekstase" ist das erklärte Ziel, Uptempo-Ohrwürmer müssen her, um jeden Preis. Also grölt Eisner mit gewohnt tiefer Stimme zu locker-flockigen Keyboardklängen die Zeilen "Und das ist alles nur gelogen. / Es ist nichts mehr, wie es war".

Zwei Dinge verdeutlicht bereits der Opener des kaffkiezschen Zweitlings: Die Band – und das ist zweifellos als Kompliment zu verstehen – kann Ohrwürmer schreiben. Doch gleichzeitig legt sie so großen Wert auf die Eingängigkeit und Mitsingkompatibilität ihrer Songs, dass die in den Promotexten auffällig häufig attestierte Authentizität zumeist bloße Behauptung bleibt. Was sind offensichtlich semi-autobiografisch gefärbte Strophen wie jene von "Alles Nur Gelogen" wert, wenn sie nur als Vehikel dienen, um die Teens und Twens mit anschließenden Refrainphrasen auf Konzerten zum Pogen zu bringen?

Mit "Die Sonne Scheint", "Mut", "Schrei Es Raus", "Ich Lüge" und "Galaxis" folgen fünf weitere Songs, in denen ein melancholischer Text auf Uptempo, ein fröhliches Riff und eine eingängige Hook trifft. Ist ja nichts Neues, mag der popmusikalisch bewanderte Optimist sagen, so unterschiedliche Künstler wie Herbert Grönemeyer oder Placebo frönen dieser Kombination schließlich seit Jahrzehnten. Doch während Grönemeyer beim Verfassen seiner Lyrics bereits vielfach Eloquenz und Kreativität bewies und Brian Molko seit jeher erschreckend glaubwürdig über seelische Abgründe singt, greift man im Hause Kaffkiez spätestens in den Refrains auf Kalendersprüche zurück.

In "Die Sonne Scheint" treffen liebeskummerige Zeilen wie "Dir geht's besser, während in mir was zerbricht" auf fröhliche Keyboardakkorde, eine nicht minder fröhliche E- und eine Akustikgitarre. Und in "Schrei Es Raus" bildet "mentaler Dauerschmerz" das lyrische Mittel zum Zweck, dem Refrain: "Und ich lass es raus, schrei es laut / Lass uns tanzen geh'n!" Aus dem Leben gegriffene Texte? Wenn ja, dann aus dem Leben gelangweilter Millennials, die ein bisschen Langweile vor dem wöchentlichen Gang in den Club mit mentalem Dauerschmerz verwechseln. Angesichts so mancher Formulierungen Eisners – "Zum Ersten Mal Nice" findet er seine Situation im gleichnamigen Song, aus einem "fucking System" bricht der Halbtagspunk in einem anderen aus – drängt sich die Interpretation auf, dass er verbal den Berufsjugendlichen raushängen lässt, um die noch jüngere Generation Z anzusprechen.

Auch in "Ich Lüge" berichtet Eisner in den Strophen über Probleme, die andere gerne hätten. "Lückenlos im Lebenslauf, für die Nachbarn viel zu nett", sei der Protagonist. "Grad mal Anfang 20, schon 'n Master im Gepäck." Ein toller Hecht? Wäre das lyrische Ich gerne. Doch es retuschiert seine Fotos auf Tinder. Potzblitz! "Ey ja, und trotzdem schläft hier keiner mehr bei mir." Das also ist (mal wieder) des Pudels respektive der Melancholie Kern! Es kommt, was kommen muss: der Mitgrölrefrain mit langgezogenen Vokalen, mit dem die selbsternannte Indie-Band auch auf dem Ballermann nicht weiter auffallen würde. "Doch ich bin am Ende lieber Single und allein, bleib, wer ich bin, anstatt ein Lügner zu sein", reimt sich Eisner später noch zusammen. Der Text ist einmal mehr zweitrangig, Kausalität sehen die Kaffkiez-Jungs offenbar als stark überbewertet an.

Die notorische Vierviertelseligkeit fast aller Songs lässt den Musikern wenig Raum zur Entfaltung. Mehr instrumentelle Ausbrüche aus dem ewiggleichen Schema wie das Bass-Outro Benedikt Vodermaiers am Ende von "Die Sonne Scheint" – hätten für mehr dringend benötigte Abwechslung gesorgt. In der Albummitte liefern Kaffkiez ihren bis dato besten Song ab. Die Ballade "Sommer Mit Dir" überrascht mit geschmackvollen elektronischen Sounds, Groove und der Abwesenheit eines weiteren die Strophen konterkarierenden Heile-Welt-Refrains. Johannes Eisner singt unprätentiös und glaubwürdig über Liebeskummer – und empfiehlt sich für ein etwaiges kommendes Soloalbum, in dem er seine Stärken außerhalb des offensichtlich allzu engen Kaffkiez-Korsetts besser ausspielen könnte.

An Songs wie "Ihr Seid Zuhaus", eine Ode an die Freunde, ist lyrisch wenig auszusetzen. Wann immer Kaffkiez sich jedoch – wie in "Mitte 20", "Zeit" oder im abschließenden "Galaxis" – sozialkritisch geben, verheben sie sich gewaltig. Themen wie Artensterben, Social-Media-Narzissmus und AfD-Wähler frühstücken sie in "Galaxis" mit den Zeilen "Der halbe scheiß Planet stirbt aus / Es explodiert, komm mach noch schnell 'n TikTok draus" und "Doch während ich hier mit der Wut und der Verzweiflung ring, wird 'n Nazi Bürgermeister" ab. Im Refrain haben Kaffkiez – man ahnte es – einen recht unorthodoxen, aber einfachen Lösungsvorschlag für diese Probleme parat: "Komm mit, lass den Scheiß hier hinter dir! / Wir finden einen Ort und lassen dann die Liebe regier'n." Der besungene Ort befindet sich nicht auf Mutter Erde, Eisner fordert uns auf, diese hinter uns zu lassen und keinen "Blick zurück zum Planeten" zu werfen. Zum Schluss stimmen Kaffkiez einmal mehr einen penetranten Mitgrölchor an.

Den Timeslot zwischen Madsen und den Sportfreunden dürften die Jungs für die nächsten Jahre sicher haben. Husch, husch, ab in den Moshpit! Zeit fürs Ekstäschen!

Trackliste

  1. 1. Alles Nur Gelogen
  2. 2. Mitte 20
  3. 3. Die Sonne Scheint
  4. 4. Zum Ersten Mal Nice
  5. 5. Mut
  6. 6. Sommer Mit Dir
  7. 7. Scooter
  8. 8. Ihr Seid Zuhaus
  9. 9. Wie Du Lachst
  10. 10. Schrei Es Raus
  11. 11. Zeit
  12. 12. Ich Lüge
  13. 13. Galaxis

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LAUT.DE-PORTRÄT Kaffkiez

Der Bandname erklärt sich schnell: Die Gründungsmitglieder Johannes 'Gotti' Gottwald und Johannes 'Eisna' Eisner stammen aus der oberbayrischen Provinz.

2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 2 Monaten

    Musik für Annika und Finn-Luca, die einmal im Jahr auf dem Southside-Festival aber so richtig die Sau rauslassen, bevor es wieder ans Lehramts-Studium geht.

    • Vor 2 Monaten

      damn people and their (shuffles cards) names, and damn people and their (shuffles cards) education! :mad:

    • Vor 2 Monaten

      und damn people, die auf Festivals Spaß haben! Auch das ist dem Dudebro nicht genehm.

      Bottom line: Lösch dich. Hätte schon nach dem Heidi Klum-Kommentar passieren dürfen.

    • Vor 2 Monaten

      Mit dem Kommentar habe ich eigentlich mehr Kritik an der Musik selbst als den typischen Konsumenten davon üben wollen. Anika und Finn-Luca dürfen gern so gebildet sein wie sie wollen und auf Festivals auf diese Musik abgehen. Dass sie klar mit genau dieser bestimmten Zielgruppe im Sinn geschrieben worden ist und daher wenig authentisch wirkt, wird ja auch in der Rezi thematisiert. Der Heidi-Klum-Kommentar ist lediglich eine zitierte Farid-Bang-Line aus Kanax in Paris, keine Ahnung ob du das wusstest oder nicht.

      Bottom line: Vielleicht nicht jeden Scheiß hier so bierernst nehmen, dass man sich eine Stunde nach Absetzen des Originalkommentars immer noch so sehr getriggert fühlt, dass man nochmal nachsetzen muss. "Musik für"-Kommentare gehören doch hier seit Äonen zum guten Ton.

    • Vor 2 Monaten

      Das heißt Ionen.

      Ob der Kommentar original von dir stammte oder nicht, spielt ja keine Rolle. Muss man ja trotzdem nicht (re)posten, oder?