8. Juni 2011

"Wo ist Finnland, wenn es um Fußball geht?"

Interview geführt von

Am 17. Juni erschien das neue Album der schwedischen Todes-Metaller. Wie immer gibt es gewisse Veränderungen im Vergleich zu der letzten Platte.Darüber hinaus war vor allem der Austritt von Bandgründer Jesper Strömblad für viele Fans ein Schock. Genauso wie für die Band. Björn Gelotte stand Rede und Antwort. Stets extrem freundlich, sympathisch und voller Rededrang, präsentierte sich der Gitarrist am Telefon.

Hey Björn, alles klar?

Hey, ja mir geht es soweit gut. Ich habe meine Jüngste gerade von der Tageskrippe abgeholt. Auf die sollte ich hin und wieder mal ein Auge werfen.

Lass uns ein wenig über eure neue Platte "Sounds Of A Playground Fading" reden. Warum habt ihr einen solchen Titel gewählt?

Nun, es ist auch der Titel von einem der Songs, in dem es ums Großwerden geht. Also mental, nicht körperlich. Es geht darum, zu realisieren, dass einen nicht alles umgibt. In so etwas wie einer Blase zu leben haben wir hinter uns gelassen und gemerkt, dass es auch ohne jemanden weitergehen wird. Das Album wirft auch ein paar Fragen auf, wie es laufen würde, wenn es einen nicht mehr gibt. Aber nicht auf eine dunkle Art und Weise, sondern eher wie ein Realitäts-Check.

Mir ist vor allem ein Song aufgefallen, der sich stark von den üblichen In Flames-Songs unterscheidet: "The Attic". Keine Riffs, keine harten Drums, im Prinzip ist das kein Metal-Song.

"The Attic" war eigentlich kein Song. Ich spielte ein bisschen auf der Gitarre und wollte was schreiben, das man so als Übergang zwischen zwei Tracks benutzen könnte. Aber als es Anders hörte, meinte er, nene lass uns da einen Song draus machen. Es entstand aus einer Laune heraus. Und es ist großartig, Songs wie diesen auf einem Album zu haben, weil es mehr Dynamik reinbringt. Es gibt den restlichen Titeln mehr Raum zum Atmen und Entfalten. Und es ist richtig gut geworden.

Ich habe noch nie einen so ruhigen Song auf euren Alben gehört. Mir gefällt er irgendwie.

Ja, das geht uns genauso. Meistens haben wir richtige Songs geschrieben, bei denen es dann eben ruhigere Parts gab. Aber so einen kompletten Song zu schreiben, haben wir zuvor tatsächlich noch nie getan.

In euren fast wöchentlich erscheinenden Videoschnipseln zum Making-Of vom neuen Album hast du mal gemeint, dass ihr mehr Zeit für die Lyrics verwendet habt als sonst. Arbeitet ihr alle daran oder ist das hauptsächlich die Aufgabe von Anders Fridén?

Anders schreibt schon die meisten Lyrics. Aber wir besprechen sie dann alle zusammen und bringen sie in die richtige Stimmung. Er denkt sie sich aus und wir reden dann darüber. Aber er ist wirklich gut, in dem was er tut, da gibt es auch nichts daran zu rütteln.

Nach dem Abgang von Jesper Strömblad ist jetzt Niclas Engelin an der zweiten Gitarre. War er bei den Aufnahmen beteiligt?

Nein. Er hat weder gespielt noch irgendwas geschrieben. Ich habe mit ihm darüber gesprochen und ihm gesagt, dass ich das alleine machen möchte, nachdem Jesper aufgehört hatte. Ich wollte es alleine versuchen und er konnte es absolut verstehen. Er meinte, dass er genau das Gleiche tun würde. Es ist richtig cool, dass er hinter uns steht, und er ist wirklich interessiert an dem was wir tun. Er will die Musik verstehen und das ist saucool!

Soll er beim nächsten Album dann eine größere Rolle spielen?

Man kann nie wissen. Wir wollten es dieses Mal alleine schreiben. Aber ich fände es schön, wenn er in Zukunft eine größere Rolle einnimmt. Aber natürlich nur, wenn er das will!

Warum seid ihr von Nuclear Blast zu Century Media gewechselt?

Aus unterschiedlichen Gründen: Mit Nuclear Blast haben wir schon seit einer Ewigkeit gearbeitet und es war eine großartige Zusammenarbeit. Aber manchmal ist es einfach an der Zeit, etwas zu verändern, auch wenn es gerade bequem ist. Wir wollten mit jemandem zusammenarbeiten, der weltoffen ist und auch neue Medien ausprobieren will. Ich denke, dass die Century-Jungs wirklich offen sind für neue Dinge. Ich mag diese Herangehensweise. Es geht nicht um den Gehaltsscheck sondern darum, die Musik an den Mann zu bringen. Das mag ich besonders.

Also ist Nuclear Blast old-school?

Ich will keinen Scheiß über die erzählen. Darum geht es mir gar nicht. Ich sage nur, dass es für uns an der Zeit war einen Schritt zu machen. Und vielleicht hatten sie einfach nicht die gleiche Vorstellung wie wir. Ich denke, es war die richtige Zeit um weiterzugehen.

Ihr hattet mal so etwas wie ein Produktions-Team, H.O.R.D.E., indem du mit Jesper und Daniel Svensson gespielt hast. Gibt es das noch? Produziert ihr noch gemeinsam?

Wir haben seit einer ganzen Weile nichts mehr getan. Mittlerweile haben wir so wenig Zeit zur Verfügung, weil wir ständig auf Tour sind und das Album aufgenommen werden musste. Außerdem eröffne ich mit Peter ein Restaurant. Du siehst, wir sind echt busy im Moment. Aber das macht richtig Spaß und das werden wir auch nicht aufgeben. Das wollen wir in Zukunft wieder mal angehen.

"Ich bekam so viel Unterstützung und Hilfe von den anderen Jungs"

Habt ihr auch für andere Bands etwas produziert oder wie kann man sich das vorstellen?

Ja, haben wir auch getan, aber schon hauptsächlich für uns. Jesper und ich spielten damals ne Menge Video-Spiele. Und für die Clans, in denen wir zockten, haben wir eben just for fun ein paar Hymnen geschrieben und so Zeugs.

Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne ein wenig über Jesper sprechen. Er war die ganzen Jahre ständig mit euch unterwegs, hat die Alben geschrieben und hat ja sogar die Band gegründet. Wir war es, ohne ihn zu produzieren?

Am Anfang, als wir über seine Sucht redeten und er aus der Band austreten wollte, war es so "Ok, das hätten wir nicht gedacht". Aber es war nichts wirklich Neues, außerdem habe ich es verstanden. Ich war also mental gewissermaßen darauf vorbereitet. Aber ich konnte noch nicht die ganze Bedeutung erkennen. Weil ganz plötzlich musste ich mir überlegen, wie wir das neue Album schreiben sollten. Sollten wir es selber tun? Sollten wir es mit ihm schreiben oder sollte es jemand anders für uns machen? Darüber musste ich erst einmal eine Weile nachdenken. Als ich mich dann dazu entschied, es alleine zu machen, hörte sich das richtig an. Also habe ich angefangen und drauflos gearbeitet. Und als es dann zu den Aufnahmen kam, wir waren bereits bei der Vorproduktion, dachte ich nicht mehr so viel daran. Ich bekam so viel Unterstützung und Hilfe von den anderen Jungs, besonders von Anders, dass es kein Problem war das Album aufzunehmen. Es funktionierte eigentlich alles wie gewohnt, nur eben ohne Jesper.

Haltet ihr noch Kontakt zu Jesper oder geht ihr nach seinem Ausstieg getrennte Wege?

Wir hören eigentlich fast jeden Tag voneinander. Und wenn nicht täglich, dann eben jeden zweiten Tag. Oder wir ziehen uns zusammen einen Film rein oder gehen gemeinsam etwas zu essen. Wir sind beste Freunde und das schon seit über 20 Jahren!

Wie geht es ihm denn?

Es ist ein ständiges Auf und Ab. Diese Krankheit (Alkoholsucht – Anmerkung d. Red.) ist eine fucking bitch, verstehst?! Es ist nicht leicht, sie loszuwerden, es ist sogar verdammt schwer. Man muss kontinuierlich daran arbeiten. Das tut er auch, aber es braucht einfach seine Zeit, sowie die Hilfe von Freunden. Wir versuchen ihn abzulenken und uns auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Wir sind füreinander da, aber es ist wahrlich nicht einfach...

(Schwedisches Babygebrabbel im Hintergrund)

Sag der Kleinen einen Gruß aus Deutschland!

(Lacht) Alles klar, werde ich.

Seht ihr euch innerhalb der Band eher als Arbeitskollegen oder seid ihr tatsächlich richtige Freunde?

Ich würde es mit einer Familie vergleichen! Wenn wir auf Tour sind, sitzen wir ständig auf einem Haufen und kommen super miteinander aus. Sonst treffen wir uns auch in unserer Freizeit oder telefonieren. Ich liebe die Jungs einfach, das sind meine engsten und besten Freunde. Das ist auch nichts Außergewöhnliches, weil wir so vieles gemeinsam haben. Außerdem haben wir so viel zusammen erlebt und auf die Beine gestellt. Deshalb kennen wir uns auch so gut. Ich vergleiche sie eigentlich mit vier Brüdern. Obwohl ich schon vier Brüder habe. Das sind dann eben sozusagen vier Extra-Brüder! Aber anders würde es auch gar nicht funktionieren, denke ich. Wenn in der Band keine gute Stimmung herrscht, kommt auch nichts Positives dabei heraus.

Hast du jemals einen Gedanken daran verschwendet, aufzuhören?

Gar nicht, nein! Ich bin der Erste, der sagt, dass er ein absoluter Glückspilz ist. Ich meine, es ist einfach der Hammer, genau das zu tun, was man liebt. Wir nennen das nicht mal Arbeit. Es ist ein Hobby. Das ist etwas, das wir lieben. Ich kann damit meine Rechnungen bezahlen und das ist einfach nur fantastisch. Ich will es also auf keinen Fall beenden. Aber falls wir eines Tages nicht mehr damit glücklich sind, mit dem was wir tun, dann ist es an der Zeit, etwas anderes zu machen. Aber wir sind immer noch glücklich damit und das seit mehr als 15 Jahren!

Kommt man bei all dem Tour-, Interview- und Albumstress eigentlich noch zum Musikhören? Welche Bands hörst du so in der letzten Zeit?

Ich bin old-school was das angeht. Für mich ist es nicht einfach, neue Musik zu finden. Ich krieg eine Menge Musik von Anders. Er hört einfach alles! Er ist super-aufgeschlossen und das hilft mir dann auch neue Musik zu finden. Ich stehe voll auf Muse. Die mag ich wirklich. Das letzte Album war einfach nur phänomenal. Das gefällt mir extrem gut.

"Wir machen einfach das, was wir wollen und wie wir es wollen."

Stolperst du auch hin und wieder mal über eine Metalcore-Platte? Was hältst du davon?

In erster Linie ist Metalcore nichts, was sich eine Band oder Musiker ausgedacht haben. Die Bezeichnung ist nur für Journalisten, die zu faul sind zu erklären, was es tatsächlich ist.

Dankeschön!

Ernsthaft, das ist eine Tatsache. Das passierte auch, als Grunge aufkam oder Thrash- und Death-Metal. Es ist einfach neu und es muss deshalb nicht unbedingt schlecht sein. Als Metal das erste Mal aufkam, war das Geschrei groß, dass das alles zerstört, was gut für die Musik ist. Aber ich mein, kuck es Dir jetzt an, 40 oder 50 Jahre später. Es ist Wahnsinn, wie groß das Genre geworden ist. Nur eine Genre-Bezeichnung zu nennen und es dann zu hassen, ist zu einfach. Das gleiche passierte auch mit Nu Metal. Niemand in einer Band würde sagen "wir spielen jetzt Nu Metal". Sie würden sagen "wir spielen Metal". Und ein fauler Reporter nennt es dann der Einfachheit halber Nu Metal!

Wie würdest du die Entwicklung vom Genre Metal beschreiben? In den letzten Jahren kam wenig Neues. Man kann nicht mehr härter, schneller oder brutaler spielen. Selbst langsamer gehts kaum mehr. Sämtliche Höhepunkte scheinen erreicht zu sein. Wie siehst du das als Musiker?

Ich verstehe was du meinst. Aber in der Musik geht es um Entwicklung. Das ist, was Musik ausmacht. Das ist es auch, was es heißt, ein Musiker zu sein. Man bekommt seine Eindrücke, seine Inspirationen und versucht dann damit etwas zu tun. Und das bedeutet auch, dass sich Musik verändern wird. Und dann geht es natürlich um deinen Geschmack. Aber Geschmack ist was ganz anderes. Das muss nichts mit der tatsächlichen Musik zu tun haben. Da geht es darum, was dir gefällt. Das ist aber kein Teil von der Musik. Ob du es magst oder nicht ist irgendwo irrelevant. Trotzdem wird sich die Musik verändern.

Wie reagierst du auf all die Kritik von den Fans, die vor allem eure älteren Alben "Clayman" oder "Colony" mögen und die neuen nicht so?

Ich reagiere gar nicht. Es ist nicht mein Ding zu urteilen. Manche Leute denken, dass sie in der Position sind, uns zu sagen, was wir tun sollen. Das wird niemals passieren. Wenn wir alle fünf glücklich mit einem Song sind, dann ist es ein In Flames-Song. Und er wird keinem Label oder Fans vorgeführt, bevor wir ihn veröffentlichen. Wenn wir ihn mögen, dann passt das. Ob sich das nun mehr nach unseren alten Sachen anhört oder nach den neueren, spielt dabei keine Rolle. Also eigentlich reagiere ich gar nicht.

Das ist so ähnlich wie mit Ronnie James Dio. Ich bin ein riesiger Dio-Fan. Und ich gebe ganz ehrlich zu, dass ich vor allem auf seine zwei ersten Platten stehe. Weil das die Zeitspanne ist, in der ich es erlebte und es verstanden habe. Ich habe es geliebt. Aber ich habe vollen Respekt davor, was er später getan hat. Er wollte etwas Neues, etwas für ihn interessantes machen. Und das ist auch, wie es sein sollte und auch in den meisten Fällen ist. Es gibt wenige Bands, die das Gleiche immer und immer wieder tun und dabei noch Spaß haben. AC/DC oder Motörhead sind solche Bands, die einfach damit weitermachen, was sie schon immer getan haben. Aber wir waren nie daran interessiert, genau das Gleiche noch einmal zu machen. Ich denke, um so mehr wir auf Tour sind, desto mehr lernen wir auch und dass Dynamik extrem wichtig für uns ist. Manche Leute mögen das nicht und es steht ihnen frei, es nicht zu mögen. Das ist tatsächlich OK. Schlussendlich kümmert mich das dann auch nicht wirklich.

Überhörst du die Kritik dann einfach?

Njaaa ... Ne, so würde ich das nicht sagen. Ich checke unsere Facebook-Seite hin und wieder und wenn jemand was hassen will, dann soll er das tun.

Beeinflussen euch die Fans in irgendeiner Art und Weise in dem was ihr tut? Oder macht ihr einfach, was euch gefällt und sich richtig anfühlt?

Fans beeinflussen uns in keiner Hinsicht. Wir machen einfach das, was wir wollen und wie wir es wollen. Der Grund, warum wir das so handhaben ist der, dass wir die Songs wahrscheinlich Tausende Male spielen werden. Also ist es absolut notwendig, dass uns die Songs umhauen und wir sie geil finden. Wenn wir etwas tun würden, was zwar uns nicht gefällt aber dafür jemand anderem, wäre unsere Live-Show beschissen.

Was hältst du eigentlich vom Eurovision Songcontest? Hierzulande war das eine große Nummer, weil es eben in Deutschland über die Bühne ging. Da habe ich mich gefragt, ob ein Musiker wie du, der seit über 15 Jahren Metal spielt, dem Ganzen folgt oder es ihm am Arsch vorbei geht.

Ich habe drei Töchter! (Lacht) Die zwei ältesten finden diesen schwedischen Typen, wie auch immer der heißt, ganz klasse. Also musste ich mir natürlich auch den Song anhören. Es ist jetzt nicht total uninteressant für mich. Die Musik ist sehr ... (stöhnt, ringt nach Worten) ... Es geht halt um easy listening. Und in dem Fall, schätze ich, hat Schweden einen ganz guten Job gemacht. Ich habe es nicht verfolgt und auch nicht gesehen, aber halt meine Kids, und die haben mir dann alles erzählt.

Ok, eine letzte Frage habe ich noch für dich: Ein Freund von mir ist Finne und der erzählte mir, dass Schweden und Finnen immer so ein wenig im Wettstreit liegen, wobei Finnland oft als kleiner Bruder wegkommt. Aus Schweden kommt eine Menge Musik, Klamotten und ihr hattet sogar mal eigene Automarken. Aber jetzt hat euch erst kürzlich Finnland im Eis-Hockey besiegt...

(Lacht) Wenn ich ein größerer Eis-Hockey-Fan wäre, wäre ich angepisst. Aber das gleicht sich aus. Es ist super-beeindruckend wie Finnland die Hockey-Weltmeisterschaft gewonnen hat. Es sind aber immer entweder Schweden, Finnland, U.S.A., Kanada und manchmal Tschechien, die um Gold spielen. Finnland war dieses Mal einfach besser. Das ist eine Tatsache!

Aber es ist echt interessant wie viel Finnland zu bieten hat. Ich liebe es dort Festivals zu spielen. Die Finnen sind richtig großartig, wenn es um Musik oder Festivals geht! Die sind absolut aufgeschlossen. Sogar in den normalen Charts sind finnische oder auch schwedische Metal-Bands vertreten. Das sehe ich in Deutschland nicht, es sei denn es geht um Rammstein. Die Finnen haben wirklich einen coolen Draht zur Musik, sie sind supertalentiert und spielen auch supergut. Ich bin ein riesiger Fan von dem, was die dort treiben. Die Konkurrenz aus dem Osten schläft nicht und Schweden tut sich schwer daran, mit Finnland zu konkurrieren.

Dann warst du also nicht am Boden zerstört, als euch Finnland den zweiten Platz bescherte?

Gar nicht. Ich bin ein Fußball-Fan. Und wo ist Finnland, wenn es um Fußball geht?

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT In Flames

1990 hat Jesper Strömblad die Schnauze voll und verlässt die Band Ceremonial Oath, in der er bis dahin zusammen mit Anders Fridén (Ex-Dark Tranquillity) …

Noch keine Kommentare