laut.de-Kritik

Kunze, nenn' das Biest beim Namen!

Review von

Heinz Rudolf Kunze hat etwas von Staub. Man wischt und wischt und wischt und kaum dreht man sich um, liegt schon wieder ein neues Album da. Mittlerweile ist es das 31. Werk, Live-Alben und Nebenprojekte nicht mitgezählt. Platten, in deren Schaufenster Trends und mögliche Entwicklungen kurz aus der Ferne hineinschauen, um dann zügig an diese:m wohl deutscheste:n Musiker:in von allen vorbei zu ziehen. 44 Jahre, in denen sich die Welt auf den Kopf stellte, mehrfach durchgeschüttelt wurde, sich erbrach und neu erfand, während im Lande Kunze erstaunlich wenig geschah.

Auch "Angebot Und Nachfrage" rüttelt musikalisch an nichts. Man bekommt netten Kunze-Deutsch-Pop-Rock, der sich auf die Stärken des Liedermachers konzentriert und die Schwächen weitgehend außen vor lässt. Wer den Sound bisher mochte, wird sich hier schnell zu Hause fühlen. Wer damit noch nie etwas anfangen konnte, sollte auch diesen Longplayer getrost meiden. Unspektakulär, weil sich Kunze nichts mehr beweisen muss, und netterweise unterlässt er den Versuch, sich bei schlageresken Fernsehformaten anzubiedern.

Man nennt so etwas wohl ein gut abgehangenes Alterswerk. Im Grunde wohl das Beste, was man über ein HRK-Album im Jahr 2025 schreiben kann. Mit sechzehn Songs zuzüglich einer neuen schrecklichen "Dein Ist Mein Ganzes Herz"-Version im Duett mit Annett Louisan, über die wir ab jetzt besser den Mantel des Schweigens ausbreiten, gerät das Album allerdings deutlich zu lang.

Textlich versucht sich der Sänger stellenweise wütend zu geben und packt in "Die Angst Geht Um" zum ersten Mal "die Keule aus". Laut dem von Arno Köster verfassten Pressetext soll sich der Song stilistisch stark am Heavy Metal orientieren. Wahrscheinlich liegt Köster immer noch schallend lachend auf dem Fußboden, weil er es geschafft hat, diese völlig unpassende Genrezuschreibung in einen Kunze-Text zu schmuggeln. Nennen wir es der Höflichkeit halber einfach Hard Rock.

In dieser "Man darf ja gar nichts mehr sagen"-Hymne gibt Kunze die ach so radikalsten Binsenweisheiten von sich: "Alle sehen die Probleme / Dieses Scheitern ins Extreme / Keiner wagt sie anzusprechen / Keiner will daran zerbrechen". Doch was fehlt? Genau: die Nennung der Probleme. Worum geht es ihm eigentlich? Um den Klimawandel? Den Gazakrieg? Die Ukraine? Das böse Gendern? Trump? Migration? Rechtspopulismus? Pizza Hawaii? Kreuzkümmel? Alles nebenbei wirklich Dinge, über die momentan wirklich so gar nicht und nie gesprochen wird. Oder meint er am Ende doch Prostatakrebsvorsorge?

Man könnte darüber diskutieren, ob man Kunzes Meinung teilt, wenn er denn eine hätte. Doch außerhalb des vagen "Man darf ja gar nichts mehr" bleibt da schlicht nichts. Seine Kritik wirkt so scharfkantig und nachhaltig wie eine Seifenblase. Kunze, nenn' das Biest beim Namen!

Der Songwriter und seine Hörer:innen (manchmal hilft geschlechtergerechte Sprache nicht nur, sondern macht sogar noch extra Spaß) können sich mit einem kollektiven "Da hat er recht!" auf die Schultern klopfen. Egal, aus welcher politischen Ecke sie kommen. Wenn ein Song nichts Konkretes sagt, findet sich jeder darin wieder. Ein unangenehmer Song, für den alleine es in der Wertung einen Punkt Abzug gibt. So.

"Sie Sind Migranten" zeigt zumindest sehr deutlich, welches Thema der in einem Flüchtlingsheim geborene Sänger, der sich in der Vergangenheit schon oft für Geflüchtete einsetzte, nicht meint: "Sie halten uns den Spiegel vor / Und unser Blick ist blind / Der Spiegel der uns deutlich zeigt / Wie fremd wir selbst uns sind." Beruhigend.

"Besuch Mich Marie" beginnt mit einem üblen 1980er-Keyboard, gelingt dann aber wirklich gut. Ein Moment, in dem Sprache und Musik perfekt ineinander greifen und einen mitreißenden Moment bilden. "Das Was Niemals War" trumpft mit Side-Guitar auf. Im wohl gelungensten Song "Ich bin tot" widmet sich Kunze ohne Effekthascherei dem unausweichlichen Ende. Eine spröde Ballade, die ohne Pathos Fragen über unser Leben und unsere Hinterlassenschaften stellt.

Dass jeder Todesfall in einem Krieg einer zu viel ist, sollte eigentlich unbestrittener Konsens unter allen klar denkenden Menschen sein. Unzählige Liedermacher:innen haben sich diesem Thema bereits gewidmet. Ausgerechnet Kunze, der so oft von anderen wie auch von sich selbst für seinen Umgang mit Sprache gelobt wird, findet in "Jeder Tote Einer Zuviel" Worte, die überraschend holprig und naiv wirken. Sein Refrain in "Jeder Tote Einer Zu Viel" klingt fast so schlicht, als stamme er von eine:r Schüler:in, die er ohne seine Musikkarriere vielleicht selbst einmal in der siebten Klasse unterrichtet hätte: "Jeder Tote einer zu viel / Und zwar auf allen Seiten / Das darf kein Mensch bestreiten."

Im fröhlich-hopsenden "Freundlichkeit" singt Kunze ein Hohelied auf das Tubby-Schmusen: "Freundlichkeit im Umgang miteinander / Freundlichkeit hilft, andere zu verstehen." Dies wäre wirklich eine schöne neue Welt. Doch nur zwei Lieder später ("Du Musst Dich Irren") kontert er sich selbst mit der Zeile: "Die Trotteltruppe im Regierungsviertel." Nicht, dass ich ihm da widersprechen würde, aber sonderlich freundlich klingt das nicht. Aber man fühlt sich eben nicht immer gleich. An einem Tag ist man Kirchentag, am nächsten dann sauer.

In "Was Bin Ich Wert" fragt sich Kunze, ob er in seinem Leben für die richtigen Werte gekämpft hat. Versteht man geschlechtergerechte Sprache als einen Mantel, unter dem alle Schutz und Sichtbarkeit finden sollten, fällt die Antwort auf diese Frage eindeutig aus. Durch seinen offenen Einsatz gegen das Gendern, lautet sie: Nein. So bleibt sein eigener schicker Mantel vielleicht unversehrt, doch er lässt andere ausgegrenzt im Kalten stehen.

Für "Angebot Und Nachfrage" springt sicher niemand begeistert vom Sofa auf. Ausgerechnet textlich will es nicht immer funktionieren. Manche Bilder sitzen tief, andere wirken vertraut, überstrapaziert, manche sogar platt. Aber das Handwerk sitzt und macht die Platte zu einer seiner stärkeren Leistungen der letzten Jahrzehnte.

Trackliste

  1. 1. Besuch Mich Marie
  2. 2. Das Was Niemals War
  3. 3. Die Angst Geht Um
  4. 4. Dann Fängt Die Liebe An
  5. 5. Was Bin Ich Wert
  6. 6. Sie Sind Migranten
  7. 7. Mehr Von Dir
  8. 8. Jeder Tote Einer Zuviel
  9. 9. Einen Andern Menschen Lieben
  10. 10. Wehrlos
  11. 11. Wir Sind Wir
  12. 12. Ich Bin Tot
  13. 13. Freundlichkeit
  14. 14. Irgendwo
  15. 15. Du Musst Dich Irren
  16. 16. Wozu Hat Man Kinder
  17. 17. Dein Ist Mein Ganzes Herz (Duett 2025) Mit Annett Louisan

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5 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 5 Tagen

    "Dein Ist Mein Ganzes Herz"-Version im Duett mit Annett Louisan

    :conk:

  • Vor 4 Tagen

    Ich habe ihn kürzlich das erste Mal live gesehen und war anfangs erschrocken, wie alt er mittlerweile aussieht. Musikalisch hat er‘s aber noch drauf.

    Seine Alben: Mehr Masse als Klasse und qualitativ über die Zeit gesehen wie ein Aktienkurs: Mitte der Achtziger steil hoch, dann etwas runter, Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger wieder nach oben (seine beste Phase), dann stetig bergab und für lange Zeit unten, bevor es erst 2019 mit „Der Wahrheit die Ehre“ wieder besser wurde. Seitdem aber leider wieder auf dem absteigenden Ast, darum kann ich auch die 2 Sterne nachvollziehen. Die passen allerdings nicht ganz zum Resümee des Autors: „Aber das Handwerk sitzt und macht die Platte zu einer seiner stärkeren Leistungen der letzten Jahrzehnte.“

    • Vor 3 Tagen

      Bei besagtem Konzert hat er sich übrigens ziemlich deutlich pro Israel ausgesprochen und islamistische Regimes scharf kritisiert, was zur Folge hatte, dass einige Zuschauer die Ränge verlassen haben. Da hat er also „das Biest beim Namen“ genannt. Wirkte trotzdem ziemlich unreflektiert/ undifferenziert.

  • Vor 4 Tagen

    Seine Studioalben sind halt spätestens seit Anfang der 2000er produktionstechnisch absolut glattgebügelt und anspruchslos, mit starkem Hang hin zum Schlager. Textlich mehrheitlich belanglos und/oder stümperhaft. Dabei inszeniert sich HRK selbst und sein Schaffen stets als das genaue Gegenteil.

  • Vor 4 Tagen

    Als ob es irgendeinen Grund gäbe, dass ein talentloser Schreiberling sich darüber erhebt welche Meinung ein Künstler, der seit über 40 Jahren großartige Texte schreibt, zur Gendersprache hat. Nicht, dass er sich nur wichtiger nimmt als er ist, nein, er wähnt sich auch auf der richtigen Seite des Butterbrots. Erkläre ihm jemand den Wert von Sprache und im speziellen die Funktion von Sprache als Herrschaftsinstrument. Möge es ihm einleuchten!

    • Vor 4 Tagen

      Lösch, dich du rechtsoffener Bildungsverlierer und geh Lindemanns Penis lutschen.

    • Vor 4 Tagen

      mabra70 Vor 2 Jahren

      @CoPilot
      Ich denke die Sache wird die historische Stellung von Rammstein im Musikkosmos letztlich noch befördern.
      Ich bin kein Rammstein-Fan aber sie sind mit Abstand die kreativ außergewöhnlichste Band die es in den 20-30 Jahren in Deutschland gab.

      :lol:

    • Vor 4 Tagen

      Ich kenne einige Leute, die Lindemanns Lyrik im Deutsch-LK behandelt haben. Deren Lehrer meinte sogar, dass die Abiturs-Kommission damals erwogen hatte, einen Rammstein-Song als Wahlaufgabe mit aufzunehmen, kombiniert mit einem Gedicht von Goethe und einer kurzen Passage aus Schopenhauers Aphorismen. Eine Frage dabei wäre auch gewesen, wie sich die Berliner und Frankfurter Alltags-Kultur ästhetisch vergleichen und unterscheiden lassen in der späten Weimarer Republik und wie dies von Rammstein repliziert wurde und von Goethe hätte umgesetzt werden können - demnach musste man auch etwas kreativ werden. Dies zeigt auch nochmal den Stellenwert Lindemanns in der hiesigen Kulturlandschaft und dass das deutsche Bildungssystem seine versteckten Roh-Diamanten immer noch in sich trägt.

  • Vor einem Tag

    Das "Biest", um das es im ANGST-Song geht, ist - wenig überraschend - Angst. Und es wird nicht nur im Titel, sondern auch im Text so beinahe schon inflationär beim Namen genannt, dass der Rezensent vermutlich einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Kunze beschreibt hier ein gesellschaftliches Klima, das er deutlich missbilligt ("Die Angst ist dumm"), bei dem er es sich aber dankenswerterweise auch nicht so einfach macht, bloß mit dem Finger vorwurfsvoll in eine bestimmte Richtung zu zeigen. Was ihn für Manche offenbar schon in Verdacht bringt, mit dem "falschen" Lager zu sympathisieren. Allein daran wird deutlich, wie völlig unerheblich es letztlich ist, um welche konkreten "Probleme" es jeweils geht. Der Song ist eben gerade KEINE "Man darf ja gar nichts mehr sagen"-Hymne, sondern ein Weckruf zum Thema gefühlte Meinungsfreiheit, um die es aktuellen Umfragen zufolge ja tatsächlich zunehmend schlechter bestellt ist.

    • Vor 23 Stunden

      ich denke du kannst in deutschland immer sagen deine meinung aber du musst verstehen das andere haben bessere meinung als du

    • Vor 22 Stunden

      In Deutschland haben wir ja gute Strukturen, um Probleme zu lösen, daher wäre es ja schon gut und pragmatisch, würde Kunze uns an den konkreten Issues teilhaben lassen - nur wer spricht, dem kann auch geholfen werden. So könnte jeder in seinem Alltag etwas verändern. Für alle, für die Kunzes Angst-Lyrik zu schwammig ist, empfehle ich das Album "Mensch" von Herbert Grönemeyer ;).

    • Vor 5 Stunden

      Dieser Kommentar wurde vor 5 Stunden durch den Autor entfernt.

    • Vor 5 Stunden

      @Lost7 Bei Grönemeyer würde mir in dem Zusammenhang zuerst das CHAOS-Album einfallen. In "Grönland" ist vieles zur damaligen Stimmungslage formuliert, was bis heute nachwirkt, aber konkretere Lösungsvorschläge als "komm, wir greifen nach den sternen / stück für stück, nach und nach / ich erzähl dir mein geheimnis / und auch mehr, wenn du mich fragst" hatte auch er nicht anzubieten. Geholfen hat es bekanntlich nicht. (Gute) Lieder sind halt keine Ratgeber-Literatur.