laut.de-Kritik

Die Punkrock-Maschinen rattern mit Volldampf voraus.

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Der Titelsong scheppert zum Auftakt so richtig. Ein schneidiges Riff gepaart mit einer Highspeed-Schlagzeug-Arie schreit den Hörern auf "Revolution Radio" direkt in die Fresse, ehe die Stimme von Billy Joe Armstrong das ausgebrochene Biest gewohnt eingängig zähmt. Danach nicht zu harter Punkrock-Poppunk, eine eingängige, aber nicht zu eingängige Melodie. Und ein provokanter, aber nicht zu provokanter Text: "We will be seen but not be heard/ We are the songs of the disturbed".

Die perfekt polierten Punkrock-Maschinen rattern mit Volldampf, die politische Botschaft wird obendrein serviert. Wir denken an "American Idiot" und schlussfolgern selbstsicher: Das Teil ist ein Hit ...

Heute sind Green Day eine der größten Bands der Welt. Sie stehen auf einer Stufe mit Coldplay oder U2, inklusive Rock and Roll Hall Of Fame und Touren durch Stadions oder mindestens als Festivalheadliner.

Yep, "Dookie" war ein Ami-Punkrock-Album vom Allerfeinsten, Meilenstein und so weiter, aber spätestens ab "American Idiot" wurde sich selbst erfunden, dass es nur so kracht. Konzeptalbum hier, Album Dreifaltigkeit da, dazwischen meterdicke Schichten Politik und Diskurs, aber immer noch Radio-tauglich, episch und hymnisch.

Wenn man so will, sind Green Day wie dieser eine Punkrock-Kumpel, der in der siebten Klasse mit dem Kiffen anfängt, fast von der Schule fliegt und der sich dann später, wenn es so langsam Richtung Abi geht, nicht nur ein bisschen zusammenrafft, sondern urplötzlich zum strebsamsten und langweiligsten aller Schüler mutiert. Aber klaro, der Studienplatz in Wirtschaftswissenschaften gibt ihm recht. Was aber kann man von diesen Typen beim Klassentreffen einige Jahre später erwarten?

Das Album beginnt mit "Somewhere Now", einer wirklich uninspirierten Gitarrenballade, die über eine Minute und 50 Sekunden urlangweilig vor sich hin dudelt. Dann gibt es zwei kräftige Riffanschläge, die den ein oder anderen weggenickten Punkrockrentner aus dem Reich der Träume reißt. Die zweite Hälfte des Song präsentiert sich dann durchaus abwechslungsreich, inklusive einem retardierenden Uhu-Uhu-Moment, der zum Ende noch einmal in einem gezähmten Gitarrensturm herumfährt, in welchem sich auch Schlagzeuger Tre Cool absolut positiv auf sich aufmerksam macht. Wirklich vom Hocker reißt dieser Auftakt aber nicht.

Glücklicherweise folgt mit "Bang Bang" jenes Songbrett, welches Billy Joe Armstrong zuletzt als "den aggressivsten Song, den wir je hatten" ankündigte. Oha! Ob die Aussage wirklich der Wahrheit entspricht, lässt sich im Angesicht von zwölf prall gefüllten Green Day-Alben nur unbefriedigend beantworten, aber "Bang Bang" geht ohne Frage ziemlich nach vorne und unterstreicht, dass Armstrong und seine Kumpanen durchaus noch Magenknurren verspüren. Keine übertriebene Gesten, keine Kunst-Konzept-Geschwurbel, sondern saubere Gitarren, ordentliches Tempo und ein konkreter, mehrdeutiger und medienkritischer Textauf: "I wanna be a celebrity martyr/ The leading man in my own private drama". Schon jetzt wird deutlich: Reduktion steht Green Day ziemlich gut.

Und natürlich muss diese Platte in diesen Zeiten von dieser Band politisch sein. "Teach your children well/ From the bottom of the well/ Oh Lord have mercy on my soul/Hear the children sing/ For the sick and suffering/ The city on damage control/ This is how we..." Wie auch der Titeltrack referiert "Say Goodbye" auf die anhaltenden politischen Problemzonen in den USA. Armstrong nimmt Bezug auf Ferguson, wo es wochenlang zu Straßenschlachten kam und die Kleinstadt Flint in Michigan, wo seit Jahren das Trinkwasser vergiftet ist – ohne Aussicht auf Besserung. Verpackt wird die Botschaft, die hier glücklicherweise zurückgenommen und paraphrasiert in Erscheinung tritt, in den wohl stärksten Song der Platte. Im Hintergrund wird der bandeigene Klassiker "Holiday" gesamplet, zerstückelt und in tausend Stücke püriert, im Vordergrund tanzen total verzerrte Loops im Kreis.

Leider gelingt diese unprätentiöse Herangehensweise nicht immer: "Forever Now" entfaltet sich als knapp sieben Minuten lange Rock-Oper mit allem was dazu gehört. Aber warum? Die überambitionierte Kompositionen nimmt dem Album zum Ende hin komplett seinen angenehmen Rhythmus und Vibe und lädt dem Album tonnenschwere Sandsäcke auf. Ähnlich gestaltet es sich mit dem Konzept-Musical "Still Breathing", das die Geschichte eines sterbenden Junkies, eines spielsüchtigen Gamblers und eines angeschossenen Soldaten vereint. "Live Aid", ick hör dir trapsen... Immerhin weiß Armstrong wohl selbst um die Misere und erklärte dem Rolling Stone fast entschuldigend. "Es ist ein ziemlich schwerer Song. Manchmal versuche ich es zu vermeiden, zu schwer zu sein. Aber dann überwältigt es mich einfach..." Lieber Billy, bitte zügel dich das nächste Mal.

Am Ende wirkt "Revolution Radio" wie eine souveräne und solide Platte. Die angekündigte Revolution bleibt aber aus – und das ist gut so. Green Day machen einen merklich entspannteren Eindruck, die Scheibe selbst klingt persönlicher und ehrlicher. Sie stellt eben nicht einen weitere fremdschämigen Bemühung dar, ein zeitloses Meisterwerk zu erschaffen, wie es die Band auf der total überladenen "Uno"-"Dos"-"Tré"-Triologie oder mit ihrer in drei Akte unterteilten Platte "21st Century Breakdown" krampfhaft versuchte.

Besonders viel zu meckern gibt es dabei nicht, aber auch nicht besonders viel zu loben – es gibt weder waschechte Ausreißer oder Überraschungen nach oben, noch nach unten. Und auch wenn die zweite Hälfte ein wenig abfällt, erscheint "Revolution Radio" wie aus einem Gus und rauscht sauber durch die Anlage. Das hat seine Gründe: Die Band hat zu keinem Zeitpunkt die eigene Legacy, sondern ihren Status Quo vor den gesellschaftlichen Trümmerfeldern der Gegenwart im Blick. Dieser Umstand erdet das Trio merklich, das phasenweise mit bloßen Händen nach den eigenen Wurzeln gräbt.

Trackliste

  1. 1. Somewhere Now
  2. 2. Bang Bang
  3. 3. Revolution Radio
  4. 4. Say Goodbye
  5. 5. Still Breathing
  6. 6. Bouncing Off the Wall
  7. 7. Outlaws
  8. 8. Youngblood
  9. 9. Too Dumb to Die
  10. 10. Troubled Times
  11. 11. Forever Now
  12. 12. Ordinary World

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11 Kommentare mit 17 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Nach den Vorabsingles "Bang Bang" und "Revolution Radio" war ich ja schon richtig heiß auf das Album. Endlich wieder "alle Regler auf 10"-Punk. Leider sind das dann doch nur die Singles. Beim ersten Einlegen war ich erst mal etwas grummelig. Akustikgitarre als Opener? Bitte nicht... Der Song wird sich dann aber doch noch zum durchschnittlichen Green Day Song, der vom Sound sehr an 21st Century Breakdown erinnert. Nichts besonderes, ganz okay, schnell weiter. Denn dann geben mir schon erwähnte Singles das was ich will: lauten unkomplizierten Rock, der extrem Tempo hat und auch beim zehnten Hören noch zieht. "Say Goodvye" ist dann eine der großen Überraschungen des Albums. Wenn auch weniger Punk als Pop doch sehr gelungen. Mit "Outlaws" zieht dann für mich aber wieder etwas die Eintönigkeit ein, das klingt einfach zu sehr nach Poprock. "Bouncing off the Walls" geht ähnlich unaufregend vorbei ohne großen Eindruck zu machen. "Still Breathing" ist auch wieder sehr poppig und klingt mehr nach Coldplay, Teenagedrama und Tumblrgirl, denn nach Punk,ist aber doch ungemein catchy. Eigentlich will ich ihn ja nicht mögen, aber der Song geht doch verdammt gut in's Ohr. "Youngblood" und "Too dumb to die" sind zwat laut, aber irgendwie auch wieder zu glatt. Man hört sie durch und hat sie schon wieder vergessen. "Troubled Times" habe ich nicht verstanden. Passt irgendwie nicht zum Rest der Platte. "Forever Now" ist nochmal ein kleiner Lichtblick am Ende des Tunnels: Sehr straight und mit Anklängen an Dookie. Aber für viel mehr als ein wenig Nostalgie reicht es dann doch nicht und hinten raus zieht es sich denn irgendwann etwas. Die Platte endet dann wie sie beginnt: Mit Akustik. Positiv aufgefallen sind mir auch die Texte, die Green Days kritisches Gespür für Zeitgeist und Politik beweisen.
    Wer das Album kauft, bekommt vielleicht etwas zu sauber durchproduzierte 50 Minuten Green Day. Den harten punkigen Sound der Singles, zieht es leider nicht durch. Kein Meilenstein aber in Ordnoung und mit ein paar Brechern für die anstehende Live-Tour. Solide 3/5, keine unbedingte Kaufempfehlung, aber auch kein Schrott.

  • Vor 7 Jahren

    Seitdem Green Day offenkundig das Power Pop und Pop-Punk Genre bedienen, und mehr Wert auf Eingängigkeit und Melodien legen, ist die Qualität gesunken. Kein Zufall, denn es hat schon immer bessere Bands in diesem Metier gegeben - und wird es auch immer.

  • Vor 7 Jahren

    Habe "Bang Bang" gehört und finde die Produktion zu laut, zu wenig dynamisch und zu eintönig. Durch das Aussteuern und Komprimieren aller verzerrten Gitarren auf konstante -0,0 dB hört man die Gitarre/Amp-Kombi überhaupt nicht mehr raus. Und die Bassdrum kickt nur deshalb so rabiat, weil sie durch irgendso 'nen Psychoakustik-Generator kurzzeitig Platz geschaffen bekommt und der Bass kurz leise gezogen wird. Diese Tendenz "GD als treibende Kraft im Loudness-War" war auf den letzten Alben schon zu bemerken, aber diesmal ist es so auffällig, dass es mich wirklich beim Hören stört. Ansonsten tut es mir bei jeder VÖ nach "American Idiot" weh, wenn GD wieder ein bisschen mehr das "absolute Helden meiner Jugend"-Denkmal zerstören. Ich fand die "American Idiot" ganz gut, es wäre mir aber lieber gewesen, wenn man danach den auf der "Warning" eingeschlagenen, stärker songorientierten Kurs weiter gefahren wäre. Es scheint, als wäre ich in den vergangenen 16 Jahren irgendwie erwachsener geworden, GD sind immernoch wie so ein politisierter 19Jähriger unterwegs, der kein Verständnis für die größeren Zusammenhänge hat.

    • Vor 7 Jahren

      Mir tun nach 2-3 Songs die Ohren weh. Eigentlich kein schlechtes Album. Aber wegen Loudness War für mich auf der guten Anlage leider nicht hörbar. Schade ... mal wieder.

    • Vor 7 Jahren

      Muss Dir leider voll zustimmen, h4bicht (ich hoffe übrigens, dass auch Du flink mit dem Hawk bist!). Das mit der Kompression hat 21CB noch um einiges schlechter gemacht, die einzelnen Songs waren zwar schon vom Songwriting her Mist (nicht eine coole Melodie und da wo es Ansätze dazu gibt wie bei !Viva La Gloria! und 21 Guns ist es verhunzt durch diese Stadion-Schnulz-Athmosphäre; Know Your Enemy ist übrigens eine Frechheit!). Bei AI war noch mehr Dynamik in der Produktion (war aber glaube ich auch noch der gleiche Produzent wie bei den meisten von den früheren Alben), die Songs waren spannender (einige von Mikes besten Basslines) und eingängiger.

      Warning hätte man nicht so vergessen sollen und vielleicht dessen Sound mit AI und dem Oldschool Kerplunk/Dookie Sound "vermählen" können (na ja, das wäre ja irgendwie Nimrod