laut.de-Kritik

Die Abteilung Attacke steht ihnen besser.

Review von

Bratzender Dance-Punk und die stimmliche wie optische Ausnahmeerscheinung der Beth Ditto setzten die Karriere des US-Trios The Gossip in den Nullerjahren in die Spur. Nach zwei weiteren Alben hatte sich vieles Liebgewonnene verselbständigt: Der Rock hatte sich in Electro-Pop verwandelt und die Sängerin in eine Mode- und Queer-Ikone, für die Musik kein notwendiges Vehikel mehr darstellte.

Als 2017 noch mal ein Album erschien, geschah dies konsequenterweise unter ihrem eigenen Namen. Heute hat man fast vergessen, mit welcher Wucht "Standing In The Way Of Control" im Noughties-Indie-Zirkus zwischen den Killers und Mando Diao detonierte. Dass uns "Real Power" in Teilen an diese Zeiten zurückerinnert, ist eine gute Nachricht.

Das nervöse Schlagzeug und der fette Bass des Titeltracks, von Rick Rubin auf Hochglanz poliert, ist eine direkte Fortführung der letzten gemeinsamen Kooperation, dem wohl größten Gossip-Hit "Heavy Cross" von 2009. Die sparsam nach Nile-Rodgers-Vorbild gesetzten Funk-Licks und der Oktavbass bieten immer noch die beste Bühne für das Powerorgan Dittos, die im Text ihren Stolz über den "Summer Of Rage" in Portland artikuliert. In ihrer von Ex-Präsident Trump als Desaster verunglimpften Heimat ging im ersten Lockdown die weiße Mittelschicht gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straße und machte die liberale Stadt an der Westküste zur Protesthochburg der Black Lives Matter-Bewegung.

Dass es Ditto wieder ernst ist mit der Musik, spürt man schon im Opener: "Every beat of my heart / is a merciful act of God" singt sie zu stakkatohaften Drums, als müsste das Bild der marschierenden Protestdemo noch klarer in Musik übersetzt werden. Mit 43 Jahren hat sich Ditto freilich vom medial eingefrorenen Bild der kämpferischen Feministin entfernt. In Interviews weist sie ihre offensichtliche Pionierrolle für Body Positivity sogar gerne von sich, "fett" sei für sie halt nie ein Schimpfwort gewesen. Frauenverachtende Mainstream-Formate wie "Germany's Next Topmodel" waren daher gar nicht ihr Maßstab, sondern die Punkrock-Szene.

Der fühlt sich Ditto selbstverständlich nach wie vor verbunden. Die Schamlosigkeit, mit der sie einst übergewichtige Frauen für alle sichtbar machte, hatte man bis zum Video zum entsprechend angriffslustigen "Crazy Again" auch schon wieder vergessen: Dort sieht man die Amerikanerin in Unterwäsche auf einer völlig verratzten Toilette beim Urinieren zu.

"Real Power" ist dennoch keine völlige Rückkehr zu den Gossip-Roots. "Don't Be Afraid" schlägt Brücken zu Dittos elektronischem Soloalbum und dem Gossip-Schlussakkord "A Joyful Noise". Auch das blasse "Light It Up" und das extrem behäbige und obendrein grenzwertig betextete "Peace And Quiet" ("Happiness is everything / wait and see (...) Let me spell it for ya, R-E-S-P-E-C-T, L-O-V-E") verstärken den Eindruck, dass das Trio in der Abteilung Attacke einfach besser aufgehoben ist.

Groovebetonte Stücke wie "Edge Of The Sun" und das Album-Highlight "Give It Up For Love" profitieren dagegen enorm von den reduzierten Arrangements und der satten Rubin-Produktion - vom nicht mehr für möglich gehaltenen Comeback der Cowbell ganz zu schweigen. Im Midtempo "Turn The Card Slowly" gelingt die Balance zwischen Sanftheit und Intensität. Der Song über Dittos in die Brüche gegangene Ehe mit ihrer Jugendliebe lässt sich auch auf Gossip ummünzen, die sich 2016 auflösten. Für die Sängerin war es schwer nachvollziehbar, dass es Drummer Nathan Howdeshell zurück in den Bible Belt zu den schärfsten Abtreibungsgegnern zog, um dort als wiedergeborener Christ zu leben.

Die lange Freundschaft zu Howdeshell war es schließlich, die den Kontakt 2019 wieder ermöglichte und nun zum Comebackalbum führte. "You need a change, so make a change / We'll figure out something", heißt es in "Tough", einem weiteren Song, in dem Ditto ihre Wunden leckt. Gossip are back - und sie machen es besser als vermutet. Es wäre tatsächlich tragisch gewesen, wenn man Beth Dittos besondere Stimme heute immer noch ausschließlich auf Platten aus den Nullerjahren hätte suchen müssen.

Trackliste

  1. 1. Act Of God
  2. 2. Real Power
  3. 3. Don't Be Afraid
  4. 4. Crazy Again
  5. 5. Edge Of The Sun
  6. 6. Give It Up For Love
  7. 7. Turn The Card Slowly
  8. 8. Tell Me Something
  9. 9. Light It Up
  10. 10. Tough
  11. 11. Peace And Quiet

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