15. Juni 2020

"Ich möchte nicht auf einer Welle mitreiten"

Interview geführt von

"Germany First" heißt der erste Anspielpunkt auf Germanys erstem Album seit 2007. Der macht deutlich, dass der Mindener Rapper trotz jahrelanger Abwesenheit die Kunst des Battleraps nicht verlernt hat. "Der Innere Kreis" lautet der Titel seiner erst zweiten Soloplatte, und das, obwohl Germany mehr als zwei Dekaden Hip Hop auf dem Buckel hat.

Gemeinsam mit Lord Scan und Italo Reno bildete Germany ab 1996 das Trio Der Klan, das für authentischen Rap aus Minden stand. Um die Jahrtausendwende trennten sich die Wege, und Italo Reno und Germany signten als Duo bei Curse' damaligem Label Alles Real Records. Für ihr Debütalbum "Hart Aber Herzlich" sicherten sich die beiden 2004 unter anderem Features von Kool Savas und Olli Banjo. 2007 folgte je ein Soloalbum der beiden. Danach war Schluss mit Rap. Bis 2020.

Germany ist wieder da und hat noch Einiges zu sagen. Auch wenn auf der Platte nur sein Name steht, betont er bei unserem entspannten Telefonat mehrfach, das Album sei im Kollektiv entstanden und wäre ohne die anderen Mindener Jungs nicht möglich gewesen.

2007 ist dein einziges Soloalbum "Die Stunde Der Wahrheit" erschienen. Im letzten Song "Over Now" heißt es dort: "Schon bald kommt Album zwei, weil Germany fleißig schreibt." Aus dem "bald" sind 13 Jahre geworden. Wieso hast du solange auf dich warten lassen?

Es gab mehrere Gründe. Ich habe mich eine ganze Zeit lang in einer nicht so einfachen privaten Situation befunden. Dann wurde mein Sohn geboren. Das hat die Musik für mich in ein ganz anderes Licht gerückt, sie war plötzlich nicht mehr meine Priorität Nummer eins. Ich war dann voll auf dem Family-Film und wollte einfach meine Zeit genießen. Zusätzlich war ich auch ein bisschen abgeturnt von der Musik. Vielleicht brauchte ich es einfach, einige Jahre gar keine Musik zu machen.

Du sagst auf deinem neuen Album "Der Innere Kreis", dass du "nicht von der Musik essen" musst. Du hast deine Brötchen in den letzten Jahren also woanders verdient?

Genau. Ich arbeite in einer Firma in Minden.

Was war letztendlich der ausschlaggebende Punkt für die Platte?

In mir war dieses Gefühl, dass ich noch nicht fertig mit Rap bin. Dann habe ich mir Gedanken gemacht und mit Reno gesprochen. Er hat gesagt: Ja, komm, machen wir eine Platte. Der Ursprungsgedanke war zunächst, ein Klan-Album zu bringen. Das hat sich dann letztendlich nicht ergeben. Dann wollten wir ein Italo Reno & Germany-Album daraus machen. Aber Reno hat in seinem Job super viel zu tun, und dann hat sich auch das gezogen. Ich wollte dann einfach nicht mehr länger warten und habe angefangen. Trotzdem war der ganze Prozess sehr locker. Ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich das völlig entspannt mache und mich da gar nicht stressen lasse. Ich bin dann zu den Hitnapperz gegangen und habe gesagt: Grundvoraussetzung für die Platte ist, dass wir von vorne bis hinten alles alleine machen. Man kann den Produktionsprozess mit Fußballern vergleichen, die ab und zu mittwochs nochmal zocken gehen. Wenn einige von denen mal drei Wochen im Urlaub sind, dann wird halt zwischendrin nicht gezockt. Das ist auch kein Problem.

Du sagst, ihr habt alles selbst gemacht. Wie sehr musstest du dich in aktuelle Prozesse des Musikbusiness reinarbeiten?

Mit den ganzen Streaming-Plattformen und den dazugehörigen Abläufen kannte ich mich gar nicht aus. Aber auch wenn auf der Platte "Germany" draufsteht, bin das ja nicht nur ich. Das sind vor allem die Hitnapperz, ohne die hätte ich das nicht gemacht. Die Jungs sind das tragende Gerüst. Die haben mir die Dinger zugeschustert, die ich haben wollte, haben für meine Visionen und Gedanken die passenden Beats kreiert. Ich habe noch nie so entspannt Musik gemacht. Dazu kommen in jedem Fall auch die anderen Mindener Rapper, die auf der Platte sind. All diese Jungs kennen sich mit der Materie aus. Ich haben von denen sehr viel Support bekommen.

"Ich habe neun Jahre lang keinen Reim geschrieben"

Rap hat sich enorm verändert, du dürftest dich verändert haben: Mit welchen inhaltlichen Gedanken bist du an das Album rangegangen?

Ich wusste von Anfang an, was für eine Platte ich machen will. Mir war klar, dass ich keine Platte mache, um auf der aktuellen Welle mitzureiten, in der Hoffnung, dass sich dadurch vielleicht irgendetwas Größeres ergibt. Leute, die mich kennen, wissen genau, dass das auf dem Album einfach ich bin. Ich habe das gemacht, was ich bei jeder Rapplatte so machen würde. Wir haben ein paar Bretter aufs Maul, wir haben was fürs Herz, wir haben ein bisschen was Hoffnungsvolles. Ich habe neun Jahre lang keinen Reim geschrieben. Das heißt aber nicht, dass ich nicht reife. Ich habe mehr als mein halbes Leben gerappt. Wenn du schwimmen kannst, kannst du auch nach langer Schwimmpause immer noch schwimmen. Du kommst nach einer gewissen Zeit wieder rein. Ich glaube, ich klinge jetzt einfach reifer und abgeklärter.

Mit "Großer Weserbogen" hast du einen Posse-Track mit 15 anderen Rappern aus Minden auf der Platte. Ist das der innere Kreis?

Genau. Der innere Kreis sind so die Jungs, die du auf der Platte hörst. Viele von denen kannte ich vorher noch gar nicht, aber ich wusste, die machen auch genau das, was wir geil finden, sind dabei aber nochmal 15 Jahre jünger. Ich finde es wichtig, dass man sich gegenseitig supportet, weil wir eigentlich alle dasselbe machen. Deswegen habe ich gesagt, ich will so einen Posse-Track, wo alle drauf sind. Wir sind Minden und setzen das auch wieder auf die Karte. Zum inneren Kreis gehören aber auch meine Schwester, die auf der Platte singt, und mein Bruder, der mit einem Rap-Part vertreten ist. Für mich ist einfach wichtig, Danke zu sagen und etwas zu teilen.

Wie aktiv hast du die Rapszene in den letzten 13 Jahren verfolgt?

Ich verfolge schon noch so ein paar Namen. Wenn Savas was bringt, höre ich mir das an. Oder Olli Banjo. Ich feiere Morlockk Dilemma. Ich bin nicht der übertrieben krasse Fan von Autotune oder Trap. Ich gönne jedem den Erfolg, aber für mich klingt das alles gleich. Früher wusstest du einfach, wenn ein Beat anfing, ob es ein Ding von Premo, Lord Finesse, oder Dr. Dre ist. Es gab Markenzeichen und ein Klangbild, wo du einfach wusstest, wofür es steht. Heutzutage klingt alles gleich. Aber es funktioniert eben, und das ist auch in Ordnung.

Im Track "Am Anfang War Der Verse" wie auch in einigen anderen Songs beschäftigst du dich mit deiner Identifikation mit Rap. Womit identifizieren sich deutsche Rapper heutzutage, wenn sie anfangen zu rappen?

Du hörst es ja in deren Musik, welche Werte sie haben und was sie teilweise verkörpern wollen. Die heutigen Rapper sind Millionäre durch den Scheiß, und das ist doch auch cool. Ich will gar nicht haten. Die Zeiten ändern sich einfach, und ich bin vielleicht auch kleben geblieben, auf meinem Film. Den fahre ich einfach weiter und damit bin ich zufrieden.

Auf einen Namen, den du eben aufgezählt hast, möchte ich noch einmal zu sprechen kommen: Kool Savas. Ihr habt damals einige Features mit ihm gehabt, du warst auch mit ihm auf Tour. Wie hast du seine Entwicklung verfolgt und besteht da noch Kontakt?

Wir haben jetzt keinen Kontakt in dem Sinne, dass wir uns super oft schreiben. Aber ich habe nur Liebe für den Mann. Er war einer von denen, der uns von Anfang an nur Liebe gegeben hat. Dabei ging es nie um Geld oder sonst irgendetwas. Wir haben einfach für das gleiche Ding gestanden. Er hat mich immer gepusht, zum Beispiel, indem er mich oft eingeladen hat, auf Songs von ihm zu rappen. Alles, was er hat, hat er definitiv mehr als verdient. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen.

"Wer sieht schon mal einen richtig geilen Sonnenaufgang um vier Uhr morgens?"

Auf deinem Instagram-Profil sieht man, dass du gerne angelst. Was gibt dir das?

Diese Verbindung zu Fischen und zum Angeln habe ich quasi in die Wiege gelegt bekommen. Mein Opa hatte immer Aquarien, und mein Onkel hat immer geangelt. Mittlerweile mache ich das immer intensiver und bin sehr tief in der Materie drin. Es dreht sich bei mir aber nicht immer nur darum, einen Fisch zu fangen, sondern auch einfach mal draußen in der Natur zu sein. Wer sieht schon mal einen richtig geilen Sonnenaufgang um vier Uhr morgens, weil man mit einem Boot aufs Wasser rausfährt? Die Ruhe ist einfach ein Traum. Kann ich jedem nur empfehlen.

Mal abgesehen davon, dass es wegen Corona gerade nicht möglich ist: Sind in Zukunft Live-Auftritte von dir geplant?

Ich habe bisher gar keine Anfragen bekommen. Ich habe mir aber auch keinerlei Gedanken gemacht, ob ich mit der Platte Geld verdiene oder Auftritte spiele. Ich möchte nicht auf einer Welle mitreiten, nur weil es im Rap gerade so richtig läuft. Ich hatte einfach Lust, eine Platte zu machen – aus Liebe an der Sache.

Nach der Platte ist vor der nächsten Platte: Müssen wir wieder 13 Jahre warten?

Ich sag es mal so: Ich werde definitiv keine Solo-Ausritte mehr machen. Aber die anderen Jungs aus Minden planen auch Sachen, und da werde ich für das ein oder andere Feature auf jeden Fall nochmal mit draufspringen. Wir haben auch noch Songs von 2004/2005 rumliegen, die wir noch releasen könnten. Aber mal schauen. Ab und an wird man in Zukunft schon noch etwas von mir hören.

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