22. Juni 2011

"Mein Koffer ist mein Zuhause"

Interview geführt von

Frank Turner ist selten daheim. Wenn er mal Zuhause ist, will er eigentlich schnell wieder weg. Dennoch hat der britische Songwriter sehr oft Heimweh.Sein neuestes Album dreht sich vor allem um diese Thematik: Heimat, Touren, England. Am Telefon unterhalten wir uns außerdem über seine Tatoos und seinen Kumpel Chuck Ragan. Frank wirkt etwas müde, bleibt aber immer freundlich, höflich und lustig.

Dein Album heißt "England Keep My Bones". Darauf sind wirklich sehr viele Songs, die sich auf dein Heimatland beziehen. Kommt das daher, dass du so oft auf Tour und so selten daheim bist?

Ja. Weil ich so wenig Zeit in England verbringe, denke ich abstrakter und philosophischer über meine Kultur und wo ich herkomme nach. Außerdem bekomme ich ab und an Heimweh. Ich bin ja in England aufgewachsen. Es ist echt verrückt, wenn du jung bist, denkst du dir: Oh Mann, ist das scheiße hier. Aber wenn du andauernd in anderen Ländern unterwegs bist, vermisst du es. Die englische Landschaft und solche Sachen. Also: Ja. Diese Besessenheit als ich die Platte aufgenommen habe, kommt vom vielen Touren.

Was bedeutet denn Heimat für dich?

Lacht Also ... Auf der einen Seite würde ich England als meine Heimat bezeichnen. Aber ich habe eigentlich für eine lange Zeit schon nirgendwo gelebt. Also ich habe kein Zimmer. Aber wenn ich zurück nach England fliege, in Heathrow ankomme, dann ein englisches Frühstück in einem Cafe esse und mir ein Kricket-Spiel im Fernsehen anschaue, das ist Heimat für mich. Auf der anderen Seite ist mein Koffer mein Zuhause. Und ich hab mich daran gewöhnt.

Es wirkt ein wenig so, als ob du dich nicht entscheiden könntest, wo du sein willst.

Ich denke das ist ein Teil von mir, der ewig im Konflikt mit sich selbst steht. Ich bekomme Heimweh, wenn ich weg bin. Sitze ich allerdings länger als vier Tage daheim rum, geh ich die Wände hoch und sehne mich danach, wieder unterwegs zu sein. Also ja. Das hab ich für mich noch nicht so richtig herausgefunden. Aber das ist auch wie ein Motor für mich, der mich dazu bringt, in Bewegung zu bleiben, weg zu gehen und Dinge auszuprobieren.

Meinst du, du wirst dich irgendwann niederlassen?

Ich habe gelernt, nicht darüber zu spekulieren, was ich in zehn Jahren mache. Also: Wer weiß? Im Moment will ich mich auf keinen Fall irgendwo niederlassen. Ich bin sehr glücklich damit, ständig unterwegs zu sein. Aber wer weiß, was ich sage, wenn ich 40 bin. Du kannst mich dann gerne wieder fragen.

Alles klar, werde ich tun. Aber kommen wir doch noch mal auf deine Musik zurück. Du hast immer schon viele unterschiedliche Stile auf deinen Platten untergebracht. Auf der neuen besonders: dieser A-Capella-Song, dann verschiedene folkige Tracks und auch ein richtig hartes Punk Lied. Wie entsteht so etwas bei dir? Erst im Studio oder denkst du dir: Hey ich will einen Punkrock-Song schreiben?

Bei mir passiert recht wenig Studio. Eher davor. Ich hab ohnehin keinen Plan, was im Studio immer passiert. Ich versuche einfach, etwas zu schreiben, das ich für einen guten Song halte. Ich find es sehr interessant und spaßig, verschiedene Stilrichtungen und so auszuprobieren. Manchmal arbeite ich an etwas, das laut und ärgerlich ist, und manchmal will ich sehr leise spielen. Aber ich setzte mich niemals hin und sage: Diesen Morgen werde ich ein Punk-Lied schreiben. Die Ideen kommen einfach und ich versuche, sie in einem möglichst natürlichen Weg passieren zu lassen.

Interessant ist, dass deine Platten immer wie aus einem Guss wirken, obwohl du viele verschiedene Stile hast. Wie machst du das?

Lacht Wenn ich das geheime Rezept dafür hätte, würde ich dir davon nichts sagen. Aber ehrlich gesagt, hängt das damit zusammen, dass die Songs alle in der selben Zeit geschrieben wurden. Das gibt der Platte ein Gefühl von Kontinuität. Aber keine Ahnung wie genau man das jetzt anstellt.

Okay. Grad auf der neuen Platte hat mich das sehr überrascht, wie gut alles zusammen passt. Vor allem der A-Capella-Song fällt ja erst mal aus dem Rahmen, wirkt aber im Gesamtkonzept nicht fehl am Platz.

Vielen Dank. Ich wollte auf der Platte unbedingt einen traditionellen englischen Song haben. Da gibt es ein paar Dinge, die immer gleich sind. Zum Beispiel, dass du den ersten Vers am Ende wiederholst oder bestimmte Skalen benutzt. Ich wollte etwas das traditionell klingt und dachte mir das wäre schön im Gesamtkonzept.

Aber der Text ist nicht traditionell?

Nee, der ist von mir. Aber auch hier wollte ich, dass der Text alt klingt. Die Geschichte ist: Ich habe so ein Buch gelesen. Ich komme ja aus Hampshire, dass im Süden von England liegt. Und in dem Buch ging es um alte Volksgeschichte. Eine ging um King William II. Der starb bei einem Jagd-Unfall, weil ein Fluch auf ihm lag. In der Minute, in der ich diese Geschichte gelesen habe, dachte ich mir: Mann! Darüber muss ein Lied schreiben.

Sind deine Texte eigentlich autobiografisch oder erzählst du eher Geschichten?

Die meisten sind autobiografisch. Die schreibe ich dann, wenn sich irgendetwas ändert. Viele handeln von Veränderung. Ich mag es zwar eigentlich nicht, wenn man das Leben von anderen Menschen in die Öffentlichkeit trägt, aber ich finde es einfacher darüber zu schreiben, was wirklich passiert ist und worüber es sich zu reden lohnt. Ich bin nicht besonders gut darin, mir Geschichten auszudenken.

"Ich bin angepisst von dieser Welt"

Ich hab so das Gefühl, dass du Frieden mit dir geschlossen hast. Die früheren Platten klangen alle recht rastlos.

Ja vielleicht. Ein großes Thema über das ich viel gesungen habe, war das Älterwerden. Da fühle ich mich mittlerweile sicherer. Ich weiß, wer ich bin, was für ein Mensch ich bin. Vermutlich besser als ein paar Jahre vorher. Aber gleichzeitig bin ich immer noch rastlos, wenn es darum geht, in Bewegung zu bleiben, und ich bin immer noch von dieser Welt angepisst.

Schreibt eigentlich deine Band mit an den Songs?

Sie sind dabei, wenn es darum geht die Songs zu arrangieren. Die Grundidee und der Texte sind von mir und meistens hab ich auch einige feste Ideen. Aber wenn ich sie der Band mitbringe, jammen wir erst einmal. Das sind alles echt gute Musiker. Also geh ich zum Drummer und sag ihm was er spielen soll. Und der macht das, aber ändert es ab und macht den Part interessanter, weil er ein verdammt guter Drummer ist. Das gleiche passiert mit den Bass-Lines und so weiter. Aber wir haben keine Demokratie. Bei uns herrscht eine Diktatur. Wenn also meine Bandmitglieder Sachen spielen, die ich scheiße finde, sag ich ihnen sie sollen es lassen.

Auf deinem zweite Album "Love, Song & Ire" hast du gesungen: "Punkrock didn't live up to what I hoped that it could be." Und jetzt singst du: "Rock'n'Roll will save us all". Was hat sich denn da geändert?

Lacht Gute Frage. Also zuerst muss man natürlich sagen, dass es einen Unterschied zwischen Punkrock und Rock'n'Roll gibt. Aber Punkrock ist eine ideologisch motivierte Musik. Die meisten Leute, die Punks sind, haben diesen Moment, wenn sie 16 sind, dass sie denken: Wenn alle Menschen auf der Welt, den Ramones zuhören würden, gäbe es nur noch Frieden und Liebe und keine Kriege und so einen Scheiß nicht mehr. Aber für mich ist Punkrock oder Rock'n'Roll oder wie auch immer du es nennen magst, nicht auf eine ideologische, sondern eher auf eine persönlich Art sehr wichtig. Ich will mir nicht vorstellen, wie mein Leben wäre, wenn ich meine Platten-Sammlung und damit diese ganzen wunderbaren Songs nicht hätte.

In "I Still Believe" singst du: "I still believe in the saints". Was sind denn deine Rock'n'Roll Saints?

Also für mich ähm ... Ok. Also ich komm gleich darauf zurück, aber ich muss vorher noch eine Sache sagen. Wir sind gerade an einem sehr interessanten Punkt in der Geschichte angelangt. Wir sind jetzt nämlich soweit, dass es den Rock'n'Roll fast ein Menschenleben lang gibt. Also Elvis und diese Musik ist mehr als 60 Jahre alt. Und das ist sehr interessant, weil Rock'n'Roll eigentlich nur eine kurze Zeit bestehen sollte. Ich find es klasse, dass es jetzt so etwas wie eine Tradition gibt. Wir haben unsere eigenen Volkshelden, Mythen und Legenden. Es hat vor Ewigkeiten schon angefangen. Aber zu deiner Frage: Die großen drei für mich sind wohl Neil Young, Bob Dylan und Bruce Springsteen. Ich hab sehr viel Zeit, altes Video-Material von denen anzuschauen.

Im selben Lied singst du dann: "I still believe that everyone can find a song for everytime they've lost and everythime they've won." Was sind denn deine Songs fürs Verlieren und Gewinnen?

Lacht Da könnten wir jetzt den ganzen Tag reden. Ich hab keinen bestimmten Song, den ich immer höre, wenn ich gut oder schlecht drauf bin. Aber für mich ist Bruce Springsteen eine gute Wahl, wenn ich irgendetwas im Leben feiern will oder irgendwas anpacken will. Und in meinen traurigeren und ruhigeren Momenten, leg ich gerne Ryan Adams mit der Heartbreaker-Platte auf. Das ist eine der traurigsten und schönsten Platten, die jemals gemacht wurden.

"Daumen hoch, Chuck!"

Ich hab einige Fotos im Internet entdeckt, auf denen Fans sich deine Lyrics irgendwohin tätowiert haben. Ein krasses Kompliment oder?

Definitiv. Ich fühle mich sehr geehrt, wenn sich Fans meine Texte tätowieren. Ich hab ja selber einige. Ich weiß immer nie, was ich da sagen soll, weil es schon ein großes Kompliment ist.

Wie viele Tatoos hast du denn?

Ähm puh, gute Frage. Ich habe mir erst vor zwei Tagen neue stechen lassen. Auf meine Finger. Mann, das tut vielleicht weh. Aber keine Ahnung, 15 bis 20 vielleicht. Also einige, aber die sind alle recht klein. Ich hab viele kleine, die mich an bestimmte Dinge erinnern.

Du bist ja praktisch permanent auf Tour. Gibt es Momente in denen du keinen Bock mehr hast?

Auf jeden Fall. Es gibt Tage auf Tour, wo ich einfach nur ins Flugzeug steigen und nach Hause fliegen will , um mich mit meinen Kumpels zu betrinken. Aber das ist doch in jeder Lebenssituation so. Es gibt immer Tage, die scheiße sind. Aber immerhin sind die jetzt weniger geworden, im Vergleich zu früher, wo ich in einer Fabrik gearbeitet habe. Aber das ist schon ok, ich beschwer mich nicht.

Wenn du auf Tour gehst, bist du entweder ganz alleine unterwegs oder mit deiner Band. Was findest du besser?

Das kommt immer ganz drauf an. Zu Zeit will ich mit der Band so viel wie möglich spielen. Aber wenn du mir jetzt eine Knarre an den Kopf hältst und ich mich für eins entscheiden müsste, wäre es wohl, alleine unterwegs zu sein. Aber zum Glück hältst du mir keine Knarre an meinen Kopf.

Deine Liste an Support-Shows ist ganz schön imposant. Du warst mit Chuck Ragan, Flogging Molly, Gaslight Anthem, Offspring und demnächst auch mit Social Distortion unterwegs. Was war denn die beste Tour.

Oh Mann. Du willst echt, das ich mich entscheide. Mit Flogging Molly wars echt super. Mit Chuck Ragan aber auch. Und wenn ich eine Tour auswählen müsste, wäre es wohl die mit Chuck. Ich bin ein großer Hot Water Music Fan und ich liebe Chucks Solo-Zeug. Wir sind echt gute Freunde geworden. Außerdem war Chuck einer der ersten Menschen, die mir die Möglichkeit gaben, auf Tour zu gehen. Vieles ist mir nur wegen Chuck passiert. Also: Daumen hoch, Chuck!

Willst du nicht mal zusammen mit Chuck nach Deutschland kommen? Das wäre klasse.

Oh ja! Da gibt es eine lustige Geschichte mit Chuck. Er macht ja immer diese Revival Tour. Und die Tour in Europa kommt gegen Ende des Jahres. Als Chuck sich überlegt hat, wen er mitnehmen könnte, hat er mich angerufen und meinte: Du, ich, Brain Fallon von Gaslight Anthem und Dave House von The Loved Ones. Aber ich konnte nicht. Ich hab kurz davor ja erst meine Tour fertig. Und er so: Ach komm schon! Du kannst mich nicht sitzen lassen. Du musst mitmachen. Ich hab aber trotzdem abgesagt. Und jetzt kommts: Er fing an, bei jedem Interview zu erzählen, dass ich mitmachen würde. Er versuchte echt alles, um mich dazu zu bewegen mitzumachen. Dann sind Leute auf mich zu gekommen und haben gesagt: Hey, ich hab gehört du machst bei der Revival Tour mit. Und ich so: Nein! Wer hat dir das denn gesagt? Und die dann: Chuck hats uns erzählt. Oh Mann echt. Aber er ist cool. Ich schaff das halt dieses Jahr nicht mehr. Aber ich bin mir sicher, dass es nächstes Jahr klappt. Das wird großartig.

Wirst du denn dieses Jahr noch nach Deutschland kommen?

Ja, wir spielen einige Festival-Shows und gegen Ende des Jahres bin ich dann für einige Headliner-Shows in Deutschland.

Sehr schön. Vielen Dank. Ich hab leider keine Fragen mehr.

Das ist schon ok für mich.

Aber es war eine Freude mit dir zu sprechen.

Danke. Gleichfalls Mann. Machs gut.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Frank Turner

Frank Turner wurde zwar in Bahrain geboren, ist aber – so englisch wie sein Name klingt, im Süden Englands aufgewachsen. Mit seiner ersten Band Kneejerk …

Noch keine Kommentare