3. Dezember 2018

"Mit Hip Hop werde ich nicht warm"

Interview geführt von

Nicht der schlechteste Schachzug: Pünktlich zur Vorweihnachtszeit und inmitten des rammsteinschen Stadiontour-Trubels veröffentlicht Richard Kruspe das dritte Emigrate-Album "A Million Degrees".

Die Rammstein-Community springt dieser Tage vor Freude im Dreieck. Die Gründe dafür: Neben der Ankündigung des langersehnten siebten Studioalbums packen die Berliner Pyromanen im kommenden Sommer auch endlich mal wieder ihre Koffer.

Als wenn das nicht schon genug frohe Botschaften wären, kommt Gitarrist Richard Kruspe auch noch mit einem neuen Lebenszeichen aus dem Hause Emigrate um die Ecke. Auf "A Million Degrees", so der Titel des mittlerweile dritten Emigrate-Albums, präsentiert sich Richard Kruspe von seiner experimentierfreudigen Seite. Wir trafen den Emigrate-Chef und Rammstein-Gitarristen Ende Oktober in Berlin zum Interview und sprachen über höhere Gewalt, das musikalische Mysterium Hip Hop und die Zukunft von Rammstein.

Richard, dieser Tage erscheint das dritte Emigrate-Album "A Million Degrees". Was viele Leute nicht wissen: Das Album hätte auch schon vor zwei Jahren erscheinen können. Ein Studio-Wasserschaden machte dir im Frühling 2015 allerdings einen dicken Strich durch die Rechnung. Du musstest das bereits komplett fertige Album nochmal neu angehen. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?

Richard Kruspe: Keine guten. (lacht) Es war schon ziemlich hart. Wir reden hier ja nicht von zwei oder drei Songs, sondern von einem kompletten Album. Das muss man erstmal verarbeiten.

Wie schwer ist dir die Verarbeitung gefallen und wann und wie hast du den Hebel umlegen können?

Das ging natürlich nicht von heute auf morgen. Als das Ausmaß klar war, waren erstmal nur Gefühle wie Verzweiflung, Resignation und Aggression präsent. Ich bin aber kein Mensch, der lautstark lospoltert. Ich bin eher der Typ, der mit solchen Situationen ruhig umgeht. Irgendwann hat die aufsteigende Motivation, so eine Herausforderung anzunehmen, den ganzen Frust beiseite geschoben. Ich habe dann nur noch nach vorne geblickt.

Inwieweit ist das Erstmaterial mit dem von heute vergleichbar?

Natürlich gibt es in punkto Sound und Atmosphäre Parallelen. Aber wenn man das große Ganze betrachtet, ist "A Million Degrees" ein komplett neues Album geworden.

Du hast wieder interessante Gastmusiker mit an Bord. Auf der ersten Single "1234" teilst du dir den Gesang mit Ben Kowalewicz von Billy Talent. Wie kam es dazu?

Wenn ich Songs für Emigrate schreibe, mache ich mir vorher schon immer Gedanken darüber, wer für welchen Song in Frage käme. Bei "1234" war es so, dass ich eigentlich mit der Ur-Version zufrieden war. Unser Manager brachte dann aber Ben ins Gespräch. Bei Billy Talent fand ich bis dato immer nur den Gitarristen interessant. Ich hab mich dann aber geöffnet und gesagt: Lass es uns versuchen. Im Nachhinein bin ich total froh darüber, denn mit Bens Stimme bekommt der Song noch einen ordentlichen Punkrock-Schub.

"Ich wollte nicht gleich mit großen Features auf Stimmenfang gehen"

Wie lief es mit Ghost-Kopf Tobias Forge? Kam die Zusammenarbeit auch eher zufällig zustande?

Nein, Tobias hatte ich schon während des Songwritings auf dem Zettel. Wir standen zu der Zeit mit Rammstein vor der Frage, mit welchem Produzenten wir das neue Album angehen wollen. Wir haben uns dann mit Kandidaten getroffen, die auch schon mal für Ghost gearbeitet haben. So kam letztlich der Kontakt zu Tobias zustande. Ich hab mich mit Tobias dann in Berlin getroffen, wo er mir zunächst mitteilte, dass er kein Typ für Kollaborationen sei. Als ich ihm den Song ("I'm Not Afraid") dann aber vorgespielt habe, war er sofort begeistert und hat zugesagt.

Mir kam zu Ohren, dass Serj Tankian auch auf deiner Liste stand. Stimmt das?

Ja, mit Serj habe ich auch gesprochen. Den hätte ich gerne für den Song "War" mit dabei gehabt. Er meinte aber, ich solle den Song so lassen, der Song sei gut genug. Das habe ich dann als Kompliment angenommen, und nicht weiter nachgehakt. (lacht)

Gab es noch andere Hochkaräter die nicht konnten oder wollten?

Ich hatte für dieses Album noch bei drei weiteren Künstlern angefragt. Die sind aber leider alle gestorben.

David Bowie?

Ja.

Chris Cornell?

Ja.

Und Chester Bennington?

Exakt. Und Iggy Pop. Der konnte aber auch nicht, weil er zu der Zeit als ich bei ihm anfragte, ebenfalls mit einem Wasserschaden zu kämpfen hatte. Total verrückt.

Iggy wäre dann aber einer für die Zukunft?

Auf jeden Fall.

Einer, der neben Ben und Tobias noch konnte und wollte, hört auf den Namen Till Lindemann. Ihr kennt euch schon seit Jahrzehnten. Inwieweit unterscheidet sich so eine Außer-der-Reihe-Zusammenarbeit von der Arbeitsweise unter dem Rammstein-Banner.

Till und ich, wir kennen uns ja schon seit Jahrzehnten. Wir arbeiten immer auf dieselbe Art und Weise zusammen, egal für welches Projekt. Der Song ("Let's Go") ist auch schon ziemlich alt. Der war eigentlich damals für das erste Emigrate-Album geplant. Ich hab ihn damals aber wieder raus genommen, weil ich für das Debüt nicht mit großen Features auf Stimmenfang gehen wollte. Ich wollte, dass sich das Projekt erst einmal ohne Hilfe von außen entwickelt.

Apropos Entwicklung: In punkto Sounds und Atmosphären gibt es auf dem neuen Album wieder viel zu entdecken. Gibt's eigentlich Klangbereiche, mit denen du gar nichts anfangen kannst?

Grundsätzlich bin ich für alles offen. Das macht dieses Projekt ja auch aus. Ich will mit Emigrate all das machen, was ich mit Rammstein nicht kann. Ich glaube, die einzigen Bereiche, mit denen ich nicht warm werde sind Schlager und Hip Hop.

"Wir sind uns wieder mit Respekt und Offenheit begegnet"

Hast du es mal ausprobiert?

Schlager nicht, Hip Hop schon. Aber ich finde da keinen Zugang. Ich weiß nicht, ich komm da irgendwie nicht ran. Ich kann dir auch gar nicht genau sagen, woran es liegt. Ich finde es total faszinierend, wie die Kids das abfeiern. Das scheint die neue Form der Rebellion zu sein. Mit lauten Drums und verzerrten Gitarren erschreckt man heute keine Leute mehr. Das funktioniert nur noch mit einer ganz bestimmten Attitüde und den dazu passenden Texten. Ich könnte aber nie so schreiben. Das ist irgendwie weit weg von meiner Musik-DNA.

Was käme für dich, abseits von Gitarrenmusik, noch in Frage?

Elektronische Musik. Ich spiele mit dem Gedanken, irgendwann mal ein komplettes Electro-Album aufzunehmen. Das wäre nochmal eine richtige Herausforderung.

Vorher wird's mit Rammstein im kommenden Jahr aber nochmal so richtig laut werden. Was kannst du uns hinsichtlich des neuen Albums schon verraten?

Das weiß ich selber noch nicht so genau. (lacht) Wir stecken ja irgendwie noch mittendrin. Was ich weiß, ist, dass wir nochmal eine Schippe draufgelegt haben, so viel steht schon mal fest. Aber Details kann ich dir noch keine verraten.

Steht denn deine Meinung noch, dass es das letzte Album sein wird?

Stand heute: ja. Das ist einfach so ein Gefühl. Natürlich weiß ich nicht, was die Zukunft bringt. Wir werden mit dem Album bestimmt wieder dreißig Jahre auf Tour sein. (lacht) Aber wenn du mich heute fragst… Wir hatten diesmal das erste Mal seit langer Zeit wieder den Spirit, den wir zu Beginn hatten, als uns noch keiner kannte. Wir sind uns künstlerisch wieder mit Respekt und Offenheit gegenüber getreten. Das war bei den letzten Alben nicht immer so. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass sich ein Kreis geschlossen hat. Ich bin jetzt im Sommer 51 geworden. Mich begleiten viele Gedanken hinsichtlich meiner Zukunft. Um ehrlich zu sein: Ich denke, dass sich nach so langer Zeit auch mal Grundlegendes verändern muss. Aber, wie gesagt: Es ist noch nichts in Stein gemeißelt. Es ist nur ein Gefühl.

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