5. Juni 2000

"Man muss schon aufpassen, dass man nicht durchdreht"

Interview geführt von

Über Youtube ins Pop-Rampenlicht: Die Dirty Loops aus Schweden gehören derzeit zu den angesagtesten World-Wide-Web-Shootingstars. Mit nerdigen Funk-Jazz-Pop-Coverversionen (Lady Gaga, Rihanna, Justin Bieber) und nicht minder verschrobenen eigenen Kompositionen sorgen die drei Stockholmer für frischen Wind in der Pop-Szene.

Schweden kann auch anders: Statt Retro-Rock oder Power-Pop präsentiert sich die Erbmonarchie derzeit von ihrer verkopften Frickel-Seite. Verantwortlich dafür sind drei junge ehemalige Musikschüler aus Stockholm. Jonah Nilsson, Henrik Linder und Aron Mellergardh heißen die drei Jungspunde, die sich vor vier Jahren mal ebenso aus Jux und Tollerei an Songs wie "Just Dance" (Lady Gaga) und "Please Don't Stop The Music" (Rihanna) vergriffen und damit einen Stein ins Rollen brachten, der nicht mehr aufhören wollte, größer und größer zu werden. Nach Youtube-Rekorden, Heimat-Lobgesängen und Beifallsstürmen aus Fernost, präsentiert sich das anfängliche Spaß-Projekt mit dem Debütalbum "Loopified" nun im Gewand einer Fulltime-Band mit Hunger nach mehr. Wir trafen die drei Skandinavier in Berlin und plauderten über Schattenseiten, große Namen und Live-Erfahrungen.

Hi ihr drei, wie lebt es sich so als Schwedens derzeit angesagtester Musik-Export?

Jonah: (lacht) Wir wollen uns nicht beklagen. Es läuft super.

Henrik: Wenn nur diese Müdigkeit nicht wäre.

Aron: Ja, das stimmt. Ich habe keine Ahnung, wann ich das letzte Mal mehr als sechs Stunden am Stück geschlafen habe.

Tja, wo Licht ist, da ist auch Schatten.

Aron: Allerdings. Aber wir sind ja noch jung. Es gibt Schlimmeres.

Vor kurzem habt ihr noch gemütlich in den Tag hinein leben können. Gibt es Momente, in denen ihr den stressfreieren Zeiten ein wenig hinterhertrauert?

Aron: Eigentlich nicht. Obwohl: Immer dann, wenn der Wecker klingelt und mich daran erinnert, dass ein weiterer 14-Stunden-Tag ansteht, gibt es einen kleinen, aber wirklich nur einen ganz kleinen Moment, indem ich mich ärgere, dass ich keinem normalen Job nachgehe.

Henrik: Das sind dann die Momente, in denen ich Aron immer aus dem Weg gehe (lacht).

Der Rest des Tages passt aber?

Aron: Auf jeden Fall. Wenn man bedenkt, wie wir damals angefangen haben…

"Das war ein Bild für die Götter"

Erzähl doch mal.

Aron: Jonah und ich haben während unserer Studienzeit schon viel Musik zusammen gemacht. Da stand aber immer nur der Spaß im Vordergrund. Wir hatten eigentlich keine sonderlich goßen Ambitionen. Irgendwann stieß Henrik mit dazu, sodass aus dem kleinen Zweier-Projekt eine etwas umfangreichere Dreierbeziehung wurde. Wir coverten halt einfach ein bisschen rum. Eines Tages platzte ich dann mit einem neu arrangierten Rihanna-Refrain in die Runde. Den fanden die anderen beiden total spannend. Irgendwann war der komplette Song fertig und ehe wir bis drei zählen konnten, klopften uns auch schon tausend Leute auf die Schultern.

Henrik: Eigentlich wollten wir die ersten Youtube-Clips nur dazu nutzen um an spontane Gigs zu kommen. Dass die Sachen dermaßen steil gehen könnten, daran haben wir nicht im Traum gedacht.

Jonah: Ich kann mich noch gut an Arons Gesicht erinnern, als die Klickzahlen das erst Mal in die Höhe schossen. Das war ein Bild für die Götter.

Aron: Kein Wunder. Ich meine, wir hatten vielleicht mit Zahlen im dreistelligen Bereich gerechnet. Dass dann aber innerhalb kürzester Zeit die 100.000-Marke überschritten wurde, hat uns schon derbe vom Hocker gerissen.

Das war aber erst der Anfang.

Jonah: Ja. Kurz danach nahm uns Andreas Carlsson (Britney Spears, Westlife, Backstreet Boys) unter seine Fittiche. Das war auch die Zeit, in der wir merkten, dass aus dem Spaß-Projekt eine richtige Band entstehen könnte.

Dann landete ein Clip von euch auch noch auf dem Schreibtisch von David Foster.

Jonah: Exakt. Das war dann das Sahnehäubchen (lacht).

Henrik: Da rief uns plötzlich ein 15-facher Grammy-Preisträger an, der bereits mit Toni Braxton und Celine Dion zusammengearbeitet hat. Da muss man schon aufpassen, dass man nicht völlig durchdreht.

Aron: Wir sind durchgedreht!

Henrik: Stimmt (lacht).

Jonah: Ich denke aber auch völlig zu Recht.

Dann habt ihr angefangen an eurem Debütalbum zu feilen. Neben einigen Coverversionen, habt ihr auch erstmals eigene Stücke geschrieben. Ist euch das schwer gefallen?

Jonah: Schwerer würde ich jetzt sagen. Es ist einfach eine komplett andere Baustelle. Bei einem Coversong bleibt das Fundament ja im Großen und Ganzen bestehen. Da geht es dann darum, eine eigene Note mit einzuarbeiten. Das Gerüst ist also schon vorhanden. Bei einem eigenen Song fängt man von null an. Das braucht in der Regel viel mehr Zeit. Daran mussten wir uns natürlich erst einmal gewöhnen. Aber ich denke, dass wir das ganz gut hinbekommen haben.

Japan liegt euch bereits zu Füßen. Glaubt ihr, dass ihr die doch eher etwas konservativeren Märkte in Europa und den USA ebenfalls überzeugen könnt? Ich finde die Platte ja toll, aber ich denke, dass es in punkto Radio und Co schon schwer werden könnte.

Henrik: Wir finden die Platte auch toll, keine Frage. Uns ist aber schon klar, dass wir in Europa eher auf die Live-Karte setzen sollten. Das funktioniert bisher auch richtig gut. In Japan feiern stehen die Leute total auf abgefahrene Sachen. Das beschränkt sich nicht nur auf die Musik. Für den Rest der Welt müssen wir uns halt live was einfallen lassen. Damit haben wir aber kein Problem. Wir sehen uns auch eher als Live-Band.

"Wir sitzen ja nicht hier, weil wir es allen Recht machen wollen"

Demnach werdet ihr eurem leicht verkopften Stil treu bleiben, auch wenn das Album außerhalb Japans nicht so einschlägt?

Jonah: Natürlich. Wir machen die Musik ja nicht, weil wir damit einen Innovations-Preis gewinnen wollen sondern weil es die Musik ist, die einfach entsteht, sobald wir anfangen zu spielen. Da steckt kein Zwangs-Konzept dahinter. Das sind wir. So klingen die Dirty Loops.

Henrik: Ich glaube schon, dass wir noch erfolgreicher sein könnten, wenn wir etwas eingängiger zu Werke gehen würden. Jonah hat eine einzigartige Stimmfarbe, die nicht umsonst des Öfteren mit der des jungen Stevie Wonder verglichen wird. Aron macht am Bass auch keiner was vor. Die Möglichkeiten wären also vorhanden. Aber wie Jonah schon sagte, das wären dann nicht mehr die Dirty Loops. Wir lieben es Spannungen zu erzeugen und uns auch selbst mit kontroversen Rhythmuswechseln oder sperrigen Dynamik-Spielen zu überraschen. Das macht uns aus. Und diesen Weg werden wir auch weiter gehen.

Aron: Hast du uns schon mal live gesehen?

Leider nicht.

Aron: Schade, denn dann wüsstest du, wie schnell die Stimmung umschlagen kann.

Inwiefern?

Aron: Ich habe schon oft nach unseren Konzerten mit Leuten gesprochen, die unsere Songs vorher nur von Youtube oder aus dem Autoradio kannten. Viele dieser Leute waren zunächst skeptisch. Der Mitreißfaktor würde fehlen, zu verschroben, nicht eingängig genug, und, und, und. Nach dem Konzert standen sie dann allerdings schweißgebadet vor mir und grinsten über beide Backen. Genau darum geht es, verstehst du?

Versteh ich - Zumal ja in der heutigen Zeit sowieso fast nur noch unter Live-Bedingungen richtig Geld zu verdienen ist. Insofern passt das bei euch schon.

Aron: Genau.

Henrik: Und da wir es lieben auf der Bühne zu stehen, werden wir über kurz oder lang definitiv im Geld schwimmen (lacht).

Jonah: So ist der Plan (grinst).

Klingt nach einem guten Plan.

Aron: Absolut. Aber mal im Ernst: Wir sitzen ja nicht hier, weil wir es allen Recht machen wollen. Ich stehe auch privat mehr auf polarisierende Sachen. Das finde ich einfach spannender. Sicher, es gibt jede Menge richtig gute Musik da draußen, die sofort ins Ohr geht und der man gleich nach dem ersten Hören erlegen ist, aber ebenso schnell hat man sie meist auch wieder vergessen. Uns ist es einfach ein Bedürfnis, Fesselndes zu kreieren.

Jonah: Man sollte den ganzen Zirkus aber auch nicht zu Ernst nehmen. Ich meine, wir sind einfach nur drei musikbegeisterte junge Hüpfer, die Spaß am Musizieren haben. Wenn es den Leuten da draußen gefällt, dann ist das natürlich super und freut uns. Aber wenn nicht, dann geht die Welt auch nicht unter. Im Moment läuft es toll und wir hoffen natürlich, dass das auch so bleibt.

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