laut.de-Kritik

Möge ihm die Musikwelt zu Füßen liegen. Großartig!

Review von

Huch! Wo kommt der denn jetzt auf einmal her? Charlie Winston! Was für ein spießig klingender Name. Was für ein Album. Herrlich.

Der wanderlustige Brite, der gerade einmal die 30 Lenze-Grenze überschritten hat, kredenzt ein Werk, das vor smarten Lebensweisheiten nur so strotzt. Humorvoll vorgetragene philosophische Geschichtlein kleidet der "Hobo" - wie er sich auch auf Promobildern und dem Cover in Szene setzt - in allerlei Sounds, die sich von Pop über Beatboxereien und Soul samt Swing bis hin zu folkigen Einschlägen ziehen.

Kaum ein Genre scheint vor dem Sänger sicher. Thematisch ist das Leben mit all seinen Skurilitäten und Unwägbarkeiten seine große Bühne. Die betritt er sehr theatralisch mit Ratschlägen der Frau Mama und lässt am Ende den Vorhang in einem bombastisch-pathetisch/apokalyptischen Finale ("My Name") mit dramatischen Streichern fallen.

Dazwischen wirbelt Charlie Winston eine furchtbar charmante Melange aufs Parkett. Der Sänger scheint die perfekte Definition gefunden zu haben, wie man den Mainstream ganz unaufgeregt umarmt und trotzdem seine künstlerische Seele nicht kommerziellen Erwägungen zum Fraß vorwerfen muss.

Dass er obendrein mit einer Stimme gesegnet ist, für die das Wort "Schmelz" eigens erfunden wurde, setzt dem nur noch die Krone auf. Winston klingt so inbrünstig soulig, als wäre mit ihm der der vierte Christian am Start.

Sogar wenn er die Lippen zum Pfeifen schürzt, muss einem nicht die Milch sauer werden. Auch wenn seit "Wind Of Change" auf Gepfeife die Todesstrafe steht, Charlie darf das. Und Sackzement, es klingt sogar gut. Die Single "Hobo", die derzeit allerorten hoch und runter didudelt gehört in die Kategorie Songs, die das vollkommen verdient haben.

Sehr schön auch, dass er damit sein Pulver noch lange nicht verschossen hat.

"If you say this is pop, to be singing to a tune with a rhythm like this, would it be so unpopular for a singer like me to be bringing up the fact that we're all gonna go?"

So schwadroniert er in "Kick The Bucket" über einen geboxten Beat und hat mit seiner grenzenlosen Weisheit sogar recht. Wir alle müssen wohl mal dereinst in den Sack husten.

Nur wundert es in diesem Zusammenhang, dass der gute Charlie seine Karriere erst in Frankreich an den Start brachte. Sonst brüsten sich die Angelsachsen doch auch immer mit ihrem Patent auf schwarzhumorige Lyrik. Sein Leben im musikalischen Exil thematisiert Chalie auch noch! "Tongue Tied" ist wahrlich ein Brüller, wenn er mit englischem Akzent über seine künstlerische Heimat und Amour säuselt.

Winston kann auch unpeinliche Pianoballaden singen. Mit seiner Schwester Vashti Anna intoniert er das überaus entzückende "Boxes". Der dazugehörige Text treibt einem vor lauter herzergreifender Emotionen fast die Tränen in die Augen. Ach, was heißt hier fast? Wundervoll.

Es ist schon komisch. So viele groß angekündigte Releases verpuffen mit einem gedämpften *plopp* im künstlerischen Nirvana und gehen zurecht vollkommen unter. Charlie Winston beschreitet hingegen den entgegengesetzten Weg. Mit einem leisen *plopp* tritt er in die Öffentlichkeit. Möge ihm die Musikwelt zu Füßen liegen. Großartig. Danke.

Trackliste

  1. 1. In Your Hands
  2. 2. Like A Hobo
  3. 3. Kick The Bucket
  4. 4. I Love Your Smile
  5. 5. My Life As A Duck
  6. 6. Boxes
  7. 7. Calling Me
  8. 8. Tongue Tied
  9. 9. I'm A Man (Live)
  10. 10. Soundtrack To Falling In Love
  11. 11. Generation Spent
  12. 12. Every Step
  13. 13. My Name

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31 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    @Schikse77:

    Habe dem auch auf dem Peter Gabriel Konzert gesehen, Gelsenkirchen/Amphitheater.

    Da war er nicht schlecht, ist aber leider ein wenig untergegangen im Vorprogramm. Schade eigentlich, aber hat ja auch nicht wirklich zu Peter Gabriels Musik gepasst...

  • Vor 13 Jahren

    Der Opener "In Your Hands" kam mir in der Beschreibung zu kurz: Fantastisch! Wie man dieses Thema so musikalisch verpacken kann, ist einzigartig. Insgesamt finde ich das musikalische Spektrum von C.W. außergewöhnlich - auch in seiner Qualität. Freue mich schon auf sein Konzert in der Frankfurter "Batschkapp".

  • Vor 11 Jahren

    Wunderwunderwundervolles Album! Höre es seit 2010 so gut wie täglich und ich bekomm nie genug davon.
    Hab ihn auch schon live erlebt und sogar ein bisschen mit ihm gequatscht, der Typ ist ein Genie!
    Charlie ftw :)