laut.de-Kritik

Metamorphose vom Dandy-Pop-Star zum Songwriter-Philosophen.

Review von

In den späten Sechzigern erschien Cat Stevens mit seinem Debütalbum "Matthew And Son" am Firmament des Pop-Ruhms im Vereinigten Königreich. Seine markante, kratzige Baritonstimme machte ihn einzigartig. Doch der Erfolg war von kurzer Dauer, das Nachfolgealbum "New Masters" schaffte es nicht einmal in die Charts. 1968 zwang ihn das Schicksal zu einer längeren Pause vom Showbiz: Stevens erkrankte an Tuberkulose und brauchte ein ganzes Jahr, um zu genesen. Er nutzte die Zeit, um sich intensiv mit fernöstlichen Religionen und Meditation zu befassen und Lieder zu schreiben. Den Spiegel, der in seinem Krankenzimmer hing, verhängte er mit einem Tuch, um der Eitelkeit entgegenzuwirken. Seinen Blick wandte er stattdessen nach innen. Dort suchte er nach Antworten, die er in zahlreichen neuen Liedern zum Ausdruck brachte.

1970 meldete sich Stevens aus der Versenkung zurück. Es war die Zeit der langen Haare und Bärte, der spirituellen Erweckung und die Sternstunde der Gitarre spielenden Singer-Songwriter. Die Beatles waren gerade aus Indien zurück gekehrt und ließen sich mit Hüten und einer auffälligen neuen Gesichtsbehaarung fotografieren. Optisch wirkten sie wie eine Mischung aus antiken Philosophen und dem Räuber Hotzenplotz.

Auch Cat Stevens vollzog eine ästhetische Wandlung: Seinen Dandy-haften Look hatte er gegen eine lockige Löwenmähne und Vollbart eingetauscht. Außerdem trat er nun mit einer Akustikgitarre auf. Für ihn waren die angepassten Popstar-Zeiten passé. Dies brachte er im Blues-Song "Pop Star" aus dem im Frühjahr 1970 erschienenen Album "Mona Bone Jakon" zum Ausdruck. Doch Stevens' Karriere sollte jetzt erst so richtig an Fahrt aufnehmen: Mit der Single "Wild World" gelang ihm der Durchbruch in den USA.

Das Album "Tea For The Tillerman" erschien nur wenige Monate nach "Mona Bone Jakon" und lässt sich als dessen Fortsetzung begreifen. Denn auch die Songs dieser Platte entstanden während Stevens' langer Genesungsphase. Stevens neue Lieder handelten vom Weltfrieden, dem Sinn des Lebens, dem Glauben und der Freiheit.

Mit dem Album erwies sich der Songwriter als ausgezeichneter Gitarrist, poetischer Philosoph und als Safe Space für Frauen: Er ist jemand, der zuhört und helfen will ("Sad Lisa"), sich nach einer Partnerin mit einer gefestigten Persönlichkeit und einem starken Selbstbewusstsein sehnt ("Hard Headed Woman") und den Frauen ein freies, wildes Leben wünscht, wohl wissend, dass die Welt es ihnen nicht immer leicht macht ("Wild World"). Mit der Zeile "Don't be a bad girl" erhebt er jedoch einen brüderlich mahnenden Zeigefinger.

Auch in "Miles From Nowhere" geht es um die große Freiheit, dieses Mal um seine eigene: "Lord my body has been a good friend but I won't need it when I reach the end". Hier zeichnet sich bereits die spirituelle Reise ab, die für Stevens wenige Jahre später mit seiner Konvertierung zum Islam enden soll. Auch das rockige "But I Might Die Tonight" handelt von der Endlichkeit des Lebens. Er war auf seiner "Road To Find Out" und machte sich dabei sehr viele Gedanken um die Zukunft. In "Where Do The Children Play", hinterfragt er die Industrialisierung und profitgierige Ausbeutung der Natur. Ein kleiner Chor summt sanft im Hintergrund mit.

In der zarten Blumenkind-Ballade "Into White" schillert Cats poetisches Prisma in allen Farben: "Everything's emptying into white". Eine Violine stimmt mit ein. Diese lyrische und melodische Schönheit übertrifft nur "Father And Son", dessen Titel an Iwan Turgenjews Roman "Väter Und Söhne" erinnert. Darin stellt Stevens den Konflikt zwischen einem Vater und einem Sohn dar und schlüpft dabei in beide Rollen. Während der Vater seinen Sohn direkt adressiert, stellt Cat die Gedanken des Sohnes als inneren Monolog dar: "From the moment I could talk, I was ordered to listen." Der Vater gibt seine wohlgemeinten Ratschläge und scheint sich tatsächlich nicht sonderlich für die Gedanken des Jünglings zu interessieren. Er will dessen Sturm und Drang lieber mit etwas altersweiser Gelassenheit besänftigen. Keiner hört dem anderen zu, die beiden scheinen aneinander vorbeizureden. Es ist ein Konflikt, den wohl alle nachvollziehen können, die sich je von ihren Eltern missverstanden fühlten. Das ebenso schlichte wie ikonische Intro und das leidenschaftliche Gitarrensolo verdienen eine besondere Erwähnung. In seiner Neufassung des Albums "Tea For The Tillerman²" (2020) singt Stevens das Duett mit seinem jüngeren Ich.

Das Album schließt mit dem bemerkenswert kurzen "Tea For The Tillerman", das eine energische Klavierbegleitung aufweist. Hier singen die Möwen und die Kinder haben einen Platz zum Spielen: "Oh Lord, how they play and play for that happy day". Mit diesem optimistischen Ausblick schlägt Stevens einen Bogen zum Opener. Zum Schluss verleiht der Background-Chor der Nummer noch einen kurzlebigen Gospel-Sound.

Stevens hat sich in seiner langen Karriere mehrmals neu erfunden. Jedes Mal bedeutete dies eine drastische Veränderung. Dabei war sein Handeln stets von einem akribischen Perfektionismus geprägt. Halbe Sachen waren nie sein Ding. Die Wandlung vom Popstar zum freigeistigen Dichter und Denker machte Stevens in den Siebzigern zu einem Leitstern für unzählige Singer-Songwriter, die nach ihm kommen sollten. Die ebenso schlichten, wie verträumten Lieder auf "Tea For The Tillerman" ermuntern zu einer neuen Perspektive auf die großen Fragen des Lebens: "Yes the answer lies within, so why not take a look now?"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Where Do The Children Play?
  2. 2. Hard Headed Woman
  3. 3. Wild World
  4. 4. Sad Lisa
  5. 5. Miles From Nowhere
  6. 6. But I Might Die Tonight
  7. 7. Longer Boats
  8. 8. Into White
  9. 9. On The Road To Find Out
  10. 10. Father And Son
  11. 11. Tea For The Tillerman

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1 Kommentar

  • Vor 3 Monaten

    "1970 meldete sich Stevens aus der Versenkung zurück. Es war die Zeit der langen Haare und Bärte, der spirituellen Erweckung und die Sternstunde der Gitarre spielenden Singer-Songwriter. Die Beatles waren gerade aus Indien zurück gekehrt und ließen sich mit Hüten und einer auffälligen neuen Gesichtsbehaarung fotografieren."

    Die Beatles waren Anfang 1968 in Indien, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Tillermans schon längst aufgelöst.
    Den Rest kann man dann schon so stehen lassen.