Porträt

laut.de-Biographie

Carlos Peron

Wer noch immer glaubt, der Peronismus hätte vor allem etwas mit Evita und Juan zu tun, sollte dies schleunigst korrigieren. Der Edelkomponist und Yello-Gründer gehört zu jener seltenen Riege Künstler, die man getrost als personifizierten Meilenstein der elektronischen Musik betrachten darf.
Vollkommen unerheblich ob zerklüfteter Industrial, tanzbarer Elektropop oder rasender Stiefeltreter-EBM. Bei nahezu jedweder Entwicklung im Steckdosengenre hat der unangepasste Zürcher seine Hand an der Wiege. Verkäuflichkeit oder Eingängigkeit spielen in seinem Universum dabei als Dogma nicht die geringste Rolle.

Dies ist wenig verwunderlich, hält man sich einmal vor Augen, dass der nimmermüde Eidgenosse bereits als Zwölfjähriger beeindruckt von der Musik Stockhausens war. So sehr, dass er sich frühzeitig der Avantgarde (u.a. Musique Concrete) zuwandte. Wie bei vielen kreativen Geistern dieser Generation übt die Punk-Eruption Mitte der 70er einen nicht unerheblichen Einfluss aus. Dieser führt Peron gleichwohl nicht in die etwas hemdsärmelige 2,5 Akkord-Ecke. Vielmehr definiert er neben britischen Kollegen à la Bauhaus oder Throbbing Gristle den Postpunk auf dem Kontinent mit. Bereits vor der Yello-Gründung zelebriert er als Keyboarder mit der Formation Sternini eine Art Urknall-Wave, der für den später eingeschlagenen Weg alles andere als unerheblich war.

Wer sich dem Werk Perons nähert, sollte sich dabei vor allem über zwei seiner Eigenschaften im Klaren sein: Zum einen vermittelt der gesamte Katalog stets den Eindruck, es schlügen mindestens drei künstlerische Herzen gleichzeitig in seiner Brust. Stile werden im Dienst der Vision gewechselt wie Socken und dabei gern ineinander verquirlt. Zum anderen weist die Art, in der er Stilrichtungen jedweder bildenden Künste miteinander vermählt, den Schöngeist schon frühzeitig als einen der wenigen echten Synergetiker in der europäischen Musikszene aus. Herausragend sind in diesem Zusammenhang vor allem die großartigen Ritter-Langrillen, die er gemeinsam mit Theaterikone Peter Ehrlich seit Mitte der 80er kreiert.

Es sind musikalisch wegweisende Zwitter zwischen industriellem Hörspiel, Elektropsychedelic und der ganz und gar finsteren Schlachtplatte des dunklen Zeitalters. Besonders das poetisch sensible "Lohengrien" von der LP "Ritter Und Unholde" mag hier als Wegweiser gelten. Befreit vom mitunter anstrengenden Getöse, erstrahlen die lyrisch oft unterschätzten Wagnertexte in einem Glanz, der die Epen des menschlich eher unangenehmen Leipziger Genies aus dem 19. Jahrhundert sogar für Kritiker und Verächter interessant macht.

Nebenbei entwickelt er zahlreiche Sounds, die heutzutage in den Clubs von Trance über Intelligent Techno à la Aphex Twin bis hin zum Ekel erregenden Grabbeltisch-Sakro-Pop zahllose Nachahmer findet.

Doch seine Epigonen kann man sich nicht aussuchen. So erschafft der Mann aus den Bergen ab Ende der 80er ein ganz neues Segment. Er stellt seine Elektronika in den Dienst von Sessionmusik für die SM und Fetisch-Community. Ebenso arbeitet er an Opern und komponiert ganze Soundtracks für die Bücher befreundeter Autoren wie z.B. Ady Henry Kiss.
Dieser Schritt katapultiert ihn vorübergehend aus dem Fokus einer breiten Öffentlichkeit, die dem Treiben mit Befremden begegnet. Als echten Freigeist interessiert dieser Vorbehalt den Bergkönig wenig. Im Gegenteil: Die offensichtlich diebische Freude und Konsequenz, mit der er sein audiophiles Schaffen der menschlichen Tragikkomödie bürgerlicher Scheinmoral entgegensetzt, scheint seine Arbeit nur zu beflügeln.
Künstlerisch erklimmt er nach und nach eine weitere Sprosse zur Chefetage des Tower of Song. Sinnlichkeit scheint oberste Priorität. So ist der Schritt von Synergetik zur Synästhesie keine große Überraschung. Klänge und Worte verschmelzen mit Farben, Geschmack und Gerüchen. So benennt er eine Kette über die Jahre entstehender Songs nach farbigen Zimmern; vom Salle Blanche über das Salle Rouge bis hin zu violett und weiteren Couleurs.

Das besondere: Es funktioniert tatsächlich. Die Probe aufs Exempel gelingt. Wer sich akustisch erst einmal auf einen Farbton eingelassen hat, vermag den betreffenden Saal hernach nicht länger mit anderen Schattierungen zu assoziieren. Spätestens mit der Beschreitung dieses Weges zeigt sich Don Carlos einzigartige Bedeutung in der elektronischen Musik. Peron steht ganz in der Tradition großer Synästhesie-Schamanen wie z.B. Miles Davis (vgl. nur Davis "Little Blue Frog" aus den Bitches Brew Sessions).

Als ob das alles noch nicht reichen würde: Auch als Produzent tritt der Feinschmecker und Genießer höchst erfolgreich in Erscheinung. So trägt Peron maßgeblich zum Erfolg der Elektropopkapelle Wolfsheim bei; erschafft mit ihnen u.a. das erfolgreiche Album "Popkiller" sowie den international viel beachteten Elektropop-Evergreen "The Sparrows And The Nightingales". Ein Track, der Peter Heppner seinerzeit zu The Voice im Genre machte.

So umtriebig der Schweizer auch ist und so gern er den dunklen Elektrofürsten gibt. Die entscheidende Prise trockenen Humors ist für das kreative Schaffen ein triebfedernder Teil seiner Persönlichkeit. Ende 2011 erscheint mit "11 Deadly Sins" eine erweiterte Werkschau seiner Fetischsoundtracks in einer opulenten 11er-Box samt Erotikspielzeug. Auf die Frage nach der Relevanz entgegnet er schelmisch: "Na ganz einfach: Wenn du die Box nicht im Regal hast, muss etwas in deinem Leben ja fundamental schief gelaufen sein."

Alben

Surftipps

  • Carlos Peron

    Offizielle Heimseite.

    http://www.carlosperon.de/

1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 9 Jahren

    Keine Ahnung, wo ich das unterbringen soll, aber warum nicht beim selbstgekrönten Rex Industrialis. Habe gestern ein Ambient/Industrial-Album ausgeliehen bekommen, "The Sixth Sun" von Tzolkin (anscheinend der Name eines Maya-Kalenders). Das Konzept: aztekische Götter, ausgeführt als metallische Wände und bruchstückhafte, zusammenklingende Flöten, die Vogelstimmen imitieren. Eine bedrückende, unnachbare Eintönigkeit, und immer wieder Ausbrüche, die verschwinden, bevor man sie begreift. Sehr seltsam.