14. Oktober 2004

"Ich hasse Musik!"

Interview geführt von

Wenn man John McCrea gegenüber steht, dann ist man erst einmal überrascht. Vollbärtig, mit Eighties-Sonnenbrille, dass es Kollegin Lütz das Herz schmelzen würde, und einem Trucker-Cap aus der Prä-Kutscher-Ära kommt er in den Raum. Grüßt kurz, legt seine Umhängetasche ab und drückt der Dame von der Plattenfirma 500 Mark in die Hand. Ob sie die bitte in zeitgemäße Währung umtauschen könne, er habe sich informiert, dass die zuständige Stelle gleich hier um die Ecke sei. Dann reißt er die Fenster der Mini-Suite weit auf und holt einen Camcorder aus seiner Tasche.

Ich sehe, du machst auch deine Aufzeichnungen.

Kennst du Buck Owens?

Äh, nein?!

Buck Owens ist in den USA ein Country-Star. Ich habe ihn mal getroffen. Er hält die Interviews, die er macht, immer auf Video fest. Das will ich jetzt auch mal versuchen. Er ist ein wenig paranoid. Ach, weißt du, eigentlich will ich das gar nicht machen. Vergiss es! Das Licht ist auch gar nicht so gut hier. Owens hat Angst, dass ihn jemand falsch zitiert.

Na gut, aber schon ein wenig verständlich.

Ja, denn wenn jemand dich nicht mag und trotzdem was über dich schreiben muss, dann ist das eine Scheiß-Situation. Ich verstehe das, ich wollte auch nicht über etwas schreiben müssen, das ich nicht mag. Und dann passiert es schon mal, dass dir Leute Dinge in den Mund legen, die du vielleicht gar nicht gesagt hast.

Im Country gibt es ja auch viel Konkurrenzdenken und Animositäten.

Es ist nicht unbedingt weniger zivilisiert, aber der Country ist irgendwie stämmisch organisiert.

Fühlst du dich denn oft falsch zitiert?

Nein, ich wollte das nur zum Spaß machen. Aber das Licht ...

Ihr wart ja für heutige Verhältnisse ziemlich lange weg.

Naja, wir haben unser letztes Studioalbum 2001 aufgenommen. Drei Jahre zwischen Alben ist mittlerweile eine lange Zeit. Aber das Lustige ist, dass wir jetzt durch die Zeit, die wir von der Bildfläche verschwunden waren, populärer sind als zuvor. Die Angebote, die wir bekommen, sind jetzt größer als nach der Veröffentlichung des letzten Albums. Irgendwas muss passiert sein, das uns wertvoller erscheinen lässt. Vielleicht ist die Musik, die es zur Zeit auf dem Markt gibt, noch beschissener geworden. Normalerweise wäre es ja so, dass man während einer Single-Veröffentlichung wertvoller ist als nach drei Jahren Pause.

Naja, das mit der schlechten Musik könnte stimmen.

Ich hasse Musik! Ich bin regelrecht hasserfüllt.

Hass gegenüber jeder Art von Gegenwartsmusik?

Nein, ich liebe auch viel Musik. Aber wir werden mit mindestens genauso viel Mist vollgestopft. Aber ich denke, was die Kombination von Kapitalismus und Musikindustrie angeht, dass die Leute in den Schlüsselpositionen sehr unflexibel und gierig sind. Sie hängen zu sehr ausgedienten Paradigmen nach. Ob das jetzt ein Babyboomer-Musikkritiker ist oder der Chef einer Plattenfirma, der nur auf die New York Dolls und Lou Reed steht. Diese Leute akzeptieren nur sehr widerwillig neue Musik. Oder es geht Sexismus.

Das sind die Gesetze des Marktes: einfache Musik und Sex verkaufen sich.

Stimmt. Und weißt du was? Auch ich stehe auf einfache Musik und Sex. Da ist ja nichts Falsches dran. Aber es muss auch die Gegenbewegung geben, mit einer Art Subtext. Sonst wird Musik nur noch voraussehbar. Es geht doch darum: ein Thema zu finden, das man variiert. Tut man das nicht, produziert man nur Wiederholungen.

Aber die Leute kaufen es ja.

Die Leute wissen, was sie tun.

Wissen sie das wirklich?

Bis zu einem gewissen Grad ja.

Aber wenn man ihnen qualitativ hochwertigere Musik zeigen würde, würden sie sich umentscheiden. Viele Leute hören die Chili Peppers, wissen aber nicht, dass es eine Band wie Mother Tongue gibt.

Ich glaube nicht, dass die Leute dumm sind. Sie sind einfach nur zu beschäftigt mit ihrem Leben. Du und ich dagegen besitzen eine höhere kulturelle Aufmerksamkeit durch das, was wir tun. Die meisten Leute gehen tagsüber auf die Arbeit und können sich nicht darum kümmern, was sie hören sollen. Abends denken sie dann: "Was soll ich bloß für Musik hören? Ich muss mich um meine Familie kümmern. Ich kann es mir nicht leisten, in dieser Atmosphäre zu leben, wo die Luft dünn wird und jeder genau hinsieht, was grade In ist und was nicht." Die meisten Leute leben in einer Welt, die sehr bourgeois ist.

Und dann machen sie die Glotze an, und MTV liefert ihnen die Musik, die sie mögen sollen.

Genau.

Fühlt ihr euch denn jetzt so ein bisschen, als würdet ihr ein Comeback haben?

Schon ein bisschen. Normalerweise haben wir immer zwei Jahre zwischen den Alben gehabt. Einfach wegen dem Touren. Aber der wankelmütige Mund konsumiert immer schneller. Wenn man auch nur für eine Sekunde verschwindet, ist man vergessen. Ich bin mir sicher, dass einige Leute uns schon vergessen haben. Aber das soll uns nicht kümmern. Wir wollen einfach ein gutes Album präsentieren. Ich denke, wir haben einen guten Geschmack, und wenn es uns gefällt, ist es gut. Alles andere werden wir sehen, wir geben unser Bestes.

Fühlt ihr denn von seiten eures (Major-)Labels keinen Druck?

Die kamen schon sechs Monate nach dem letzten Album an und wollten das nächste planen. Wir haben nur: "Fuck You!" gesagt (hält den Mittelfinger in die nicht vorhandene Kamera). Es gab andere Dinge für uns, und außerdem war die Zusammenarbeit beim letzten Album nicht so gut. Sie haben 9/11 dafür verantwortlich gemacht, aber sie haben sich marketingtechnisch nur vier oder fünf Wochen mit unserem Album beschäftigt. Das hat mich ein bisschen enttäuscht.

Was habt ihr denn in den letzten drei Jahren gemacht?

In zwei Sommern haben wir die "Unlimited Sunshine Tour" auf die Beine gestellt, auf der wir mit anderen Bands zusammen unterwegs waren. Im ersten Jahr waren die Flaming Lips, De La Soul, Modest Mouse und die Hacksaw Boys dabei. Im Jahr darauf hatten wir Cheap Trick, wieder die Hacksaw Boys und Kinky aus Mexiko im Gepäck. Das hat Spaß gemacht. Wir wollten unser Geschick in die eigenen Hände nehmen. Wenn die Plattenfirmen so viele Probleme haben, dann Scheiß drauf! Wir machen einfach unser Ding. Leider waren wir nur in den USA unterwegs. Die Promoter sind an niemandem interessiert, der nicht gerade ein Album rausbringt.

Und danach seid ihr wieder ins Studio gegangen?

Wir haben uns erst mal überlegt, was wir an der Studioarbeit nicht mögen. Es wurde schnell klar, dass wir keine anderen Leute um uns rum haben wollen. Also haben wir ein altes Haus in Nordkalifornien gekauft, und uns dort mit Aufnahme-Equipment breitgemacht. Dann haben wir gelernt, wie man das Zeug bedient und unser eigenes Album aufgenommen. Ohne fremde Leute. Darum mag ich dieses Album. Weil es so ein gutes Gefühl war, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Man kann den Lernprozess auf dem Album hören. Es gibt Geräusche auf den Aufnahmen, die nicht da sein sollten. Es ist nicht so wie die Strokes oder die Hives, die versuchen, Scheiße zu klingen, aber in Wirklichkeit ist es völlig überproduziert. We just didn't know what the fuck we were doing! Wir haben alles drauf gelassen. Im Leben geht es nicht um Perfektion, sondern um das Angemessene. Wenn etwas klappt, klappt es, wenn nicht, dann nicht. Es gibt diese Bands, die wie eine perfekte Nachbildung des Sommers von 1973 oder des Winters von 1968 klingen. Man muss diese stilistische Detailverliebtheit wertschätzen, die in diesen Bands steckt. Das ist sehr selbstbewusst und sehr stilbewusst. Wir sind nicht so gut, wenn es um Stilbewusstsein geht. Wir gehen einfach ins Studio und probieren rum. Ich will gar nichts Schlechtes reden über diese Bands, es ist ein sehr interessanter, postmodernistischer Ansatz. Wie mit dem Toaster, bei dem du nicht sagen kannst, ob er aus dem Kaufhaus ist oder tatsächlich von 1968. Für uns war das Album eine der wichtigsten Erfahrungen. Wegen dem Produktionsprozess und der totalen Missachtung der Vorgänge in der Musikindustrie sowie der Tatsache, dass kommerzielles Radio Scheiße ist.

Habt ihr denn mehr Zeit gebraucht im Studio, weil ihr alles selber gemacht habt?

Wir lassen uns immer Zeit. Selbst produziert haben wir uns ja schon immer. Du brauchst Zeit, um Objektivität für dein Schaffen zu entwickeln. Wenn du 16 Stunden an einer Gitarren-Spur gearbeitet hast, wird es dir sehr schwer fallen, die Objektivität zu haben, zu sagen: "Wir brauchen diese Spur gar nicht!" Du musst Abstand von diesem Gemälde nehmen, so ca. drei Wochen, bis du den Mut hast, noch mal alles zu verwerfen.

Hattet ihr solche Momente, wo ihr dachtet: "Mensch, ist das ein Mist?"

Auf jeden Fall. Die ganze Zeit. Es war schmerzhaft. Aber auf eine bestimmte Art und Weise war es sehr gut, denn nur so lernst du wirklich Dinge über Musik, Arrangements, Produktion, Songwriting. Wenn wir das nicht selbst gemacht hätten, würden wir nicht viel gelernt haben. Viele Bands gehen ins Studio, spielen ihre Songs, und überlassen sie dem Produzenten. Ich denke, man kann so viel über das lernen, was man gerade gemacht hat, wenn man es selber schneiden muss. Wenn man sein eigener Kritiker sein muss. Man kann wohl viel über dieses Album sagen, aber nicht, dass es zu glatt ist, oder zu überproduziert.

Aber es klingt immer noch sehr nach Cake! Ihr habt auf "Pressure Chief" allerdings viel mit Synthesizer-Sounds rumexperimentiert.

Stimmt. Das war so: als wir ins Studio gingen, mussten wir immer unsere Keyboards anschleppen. Dazu waren wir zu faul, weil sie so schwer waren. Als wir unser eigenes Studio hatten, haben wir sie aufgebaut und einfach stehen gelassen. Das war viel besser. Wir sind allerdings keine Band, die versucht, sich mit jedem Album neu zu erfinden. Wenn Bands sich verpflichtet fühlen, sich mit jedem Album neu zu erfinden, führt sie das normalerweise zu schlechteren Songs, schlechten Arrangements und einem unbeständigem Album. Das passiert, wenn man versucht, alle zufrieden zu stellen. Wir wollen nur uns selbst zufrieden stellen. Man kann sich nicht einer Latin-Jazz-Phase verschreiben. Was ist, wenn du einen Song hast, der eher Country ist, oder Hair-Metal? Du kannst diesen Song dann nicht in die Latin-Jazz-Phase pressen.

Eure Lyrics sind mitunter Recht subtil. Wollt ihr eure Hörer eher zum Nachdenken anregen als zum Tanzen?

Natürlich geht es in erster Linie um die Musik. Aber man muss auch in der Lage sein, sich von Rationalität loszumachen. Wir haben nicht unbedingt diese Texte, die nach einem A, B, C, D, E-Schema aufgebaut sind. Sie sind eher A, C, D, E und lassen B aus. Das streut ein bisschen Konfusion. Aber generell geht es darum, die Musik zu genießen, und sich dann vielleicht mal graduell mit den Inhalten zu beschäftigen. Wenn ich meine Songtexte für alle klar verständlich machen würde, hätte das nicht mehr viel mit Musik machen zu tun, sondern eher damit, Essays zu schreiben.

Ein Bild, das sich wie ein roter Faden durch eure Texte zieht, ist das Bild von Autos. Bist du ein Auto-Freak?

Nein, ich hasse Autos. Ich denke, dass wir Autos abschaffen müssen. Autos sind ungesund für die menschliche Gesellschaft. Sie sind eine entfremdende Kraft. Das sind Stahlkisten, die viel über die Sexualität, das Selbstbewusstsein seines Besitzers aussagen. Das ist cool. Aber es gibt zu viele Menschen mit zu vielen Autos. Entweder sterben Millionen von Menschen, oder wir schaffen Autos ab. Da wo ich herkomme, aus Kalifornien, definieren sich die Leute über ihre Autos.

Letzte Frage: Werdet ihr jemals über den Hit "I Will Survive" hinwegkommen?

Gute Frage. Ich wusste gar nicht, dass dieses Dilemma hier in Europa besteht. Also, in den USA hat man diese Coverversion ja für einen Witz gehalten. Sie dachten, wir machen uns über Diso lustig. Aber ich liebe Disco. Es ist ein großartiger Song, und wir haben versucht, eine ordentliche Version davon zu machen. Aber wo ist das Problem? Wir haben der Öffentlichkeit einen Dienst getan. Manche Leute denken jetzt, wir wären eine Coverband. Ich wünschte, diese Leute würden sich das ganze Album anhören, aber ich kann sie ja nicht zwingen.

Das Interview führte Mathias Möller

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