laut.de-Kritik

Die einzige Karte, die du 2023 brauchst.

Review von

"Aethiopes" war von einer solchen Qualität, dass man dachte, Billy Woods müsste sich doch erst einmal auserzählt haben, allein schon wegen der absurden Bandbreite seiner Interessen und Themen, die er einem auf diesem Monolith von Album um die Ohren schlug. Stattdessen haute er mit "Church" 2022 noch eins raus, vor kurzem folgte das exzellente "We Buy Diabetic Test Stripes" mit Armand Hammer. Es kommt halt auch darauf an, wen man so kennt, und Woods kennt Menschen wie Kenny Segal, vielleicht fließt dann alles einfacher.

Mit letzterem erschuf er schon "Hiding Place", ein besonderes Juwel seiner an Schmuckstücken nicht armen Diskographie. Das ist noch so jemand, der augenscheinlich nicht schläft, und darüber hinaus jemand, der in seine Alben (wie "Back At The House" mit Samuel T. Herring, der auch hier einen Gastauftritt hat) eine bemerkenswerte Wärme injiziert. So ist "Maps" dann auch, anders als das Konzept, ein Album übers Touren, und das kühle (wenngleich quatschige) Gebrauchsanleitungscover es vermuten ließen, eine im Sound smoothe, warme Angelegenheit.

Dazu trägt neben den Beats die Unaufgeregtheit von Woods bei, der zumindest als Grundlage seiner Lyrics die profane Alltäglichkeit des Tourlebens in den Vordergrund stellt: Was man halt so macht, wenn man sich nicht so recht auskennt, aber viel Zeit hat. Restaurants suchen, Girls zuzwinkern und, wenn man so einen Output aufrechterhalten will, neue Musik schreiben und "Soundcheck", und sogar das Zurückkommen ("NYC Tapwater"). Die Magie kommt daher, dass Billy jedem einzelnen der 17 Tracks eine Liebe und eine Myriade an Sprachbildern zuteil werden lässt und diese Basis nutzt, um emotional tiefe Tauchgänge zu unternehmen. Ein Album fürs parallele Genius.com-Lesen, die Anspielungen und Referenzen kann man sonst nicht verstehen, die Gefühle und Geschichten aber, hier liegt das Genie vergraben, aber eben schon.

"Soundcheck" ist verträumter, leicht verärgerter Jazz, "Soft Landing" ein an DeMarco tributpflichtiger Indie, "Rapper Weed" eine statische Piano-Schlagzeug-Kombo, "Blue Smoke" Free Jazz, "Bad Dreams Are Only Dreams" Bläser-Blues, "Babylon By Bus" Gangster-Orchester, "FaceTime" die schönste Trompete überhaupt, "As The Crow Flies" ein wirklich schlimmer vertonter Traum. Die Reihe lässt sich über das ganze Album hinweg fortsetzen. Segal bedient sich freudig an allen Möglichkeiten, die die Musikgeschichte ihm bietet, und kombiniert immer wieder vor allem Schlagzeug und Bläser zu einem stellenweise düsteren ("Year Zero", "Hangman"), meist aber verträumten, sich leicht ergebenden, wenig hoffnungsvollen, aber mit sich im Reinen befindlichen Mix. Selbst die Songs, die eher an Fingerübungen erinnern ("The Layover", "Agriculture"), halten hier noch ein bemerkenswertes Niveau.

"Maps" hat keine Hits, "Maps" ist der Hit. 44 Minuten und 17 Sekunden lang ein einziger riesiger Track, nach dem man einmal richtig breit in den Staaten herumgekommen ist. Woods und Segal treffen sich auf einem jeweils abenteuerlichem Niveau, das Technik und Stil so organisch mit Wärme und Empfindung verbindet, das man es stellenweise kaum glauben mag. Woods verkauft hier keine einzige Sekunde lang irgendetwas. Er ist besorgt, er ist angepisst, er ist gut drauf, er ist meist drängend und dringlich, und er sucht sich auch noch die richtigen Partner. Wie er auf "Year Zero" abgrundtief greift mit "Burn it to the ground, make sure we don't survive", nur damit Danny Brown einen Atemzug weiter "You slippin' at night like a old bitch nightgown" raushaut, ist großartig. Aber nur fast so großartig wie die Verbindungen zwischen Woods und Segal: Wie zwei Menschen sich gegenseitig so hauteng aufeinander Musik zuschneidern konnten, erschiene fast unglaubwürdig, wäre "Maps" nicht so echt.

Trackliste

  1. 1. Kenwood Speakers
  2. 2. Soft Landing
  3. 3. Soundcheck (feat. Quelle Chris)
  4. 4. Rapper Weed
  5. 5. Blue Smoke
  6. 6. Bad Dreams Are Only Dreams
  7. 7. Babylon By Bus (feat. ShrapKnel)
  8. 8. Year Zero (feat. Danny Brown)
  9. 9. Hangman
  10. 10. Baby Steps (feat. Elucid & Benjamin Booker)
  11. 11. The Layover
  12. 12. FaceTime (feat. Samuel T. Herring)
  13. 13. Agriculture
  14. 14. Houdini
  15. 15. Waiting Around (feat. Aesop Rock)
  16. 16. NYC Tapwater
  17. 17. As the Crow Flies (feat. Elucid)

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