laut.de-Kritik

Gospel von einem anderen Stern.

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In "Hadsel", dem ersten Song des neuen Albums von Beirut, taucht die Kirchenorgel so ruppig und unvermittelt auf wie ein früher Pulled Apart By Horses-Song. Sie drängt sich förmlich hinein in den Gehörgang, roh und gar nicht mal so sauber produziert, überhaupt nicht lieblich, wie ein solches Instrument im Pop eigentlich gerne eingesetzt wird. Es tut gut – und es wird über die ganze Spieldauer wohltuend bleiben – dass der an seiner eigenen zerbrechlichen Psyche immer wieder scheiternde Zach Condon auf dem gesamten Album den Eindruck erweckt, als müsse alles raus, alles unbedingt gesagt und gesungen und jede Taste bespielt werden.

"Hadsel" ist Gospel, aber von einem ganz anderen Stern. Wo Kanye sich selbst immer mindestens mitbesingen musste neben Jesus, versucht Condon, den eigenen Dämon auszutreiben mit seiner distanzlosen, verbitterten und kraftvollen Musik. "Hadsel" ist Kirchenmusik für Leute, die ans Leben nicht mehr glauben mögen.

Das Album ist benannte nach der Insel Hadsel, auf die sich Condon nach einem völligen Zusammenbruch auf der 2019er-Tour zum schwierigen, komplexen, etwas überladenen "Gallipoli" zurückzog, noch nördlich vom norwegischen Festland. Ein Orgelliebhaber namens Oddvar verschaffte ihm Zutritt zur örtlichen Hadselkirke, wo Condon zum ersten Mal in seinem Leben dieses Instrument spielte. Zwei Monate lang tat er genau das und legte das Fundament für dieses Album, mit Trompete und einer alten österreichischen Bandmaschine. Kitschigere Geschichten schreibt nur der Fußball, aber manchmal ist Schönes halt auch einfach nur schön.

Zumal sich all das – die Einsamkeit, die Verzweiflung, die leere Landschaft, Condon als sich ewig an sich selbst abarbeitender Grantler – auf "Hadsel" auch findet und der Wahlberliner ganz nebenbei das sechste Album mit dem sechsten musikalischen Ansatz veröffentlicht und sich dabei immer noch nach sich anhört. Wir waren bei den ersten Sekunden der Kirchenorgel, die Condon natürlich nicht einfach "nur" wie eine Orgel spielt, sondern das Positive des Instruments, vornehmlich die Gravitas, mitnimmt und sie auf Pop und Melodie biegt, dass es eine Freude ist. Die rohe Abmischung begünstigt auch seine Stimme, die die ganze Scheibe über kraftvoll und wie zu besten Zeiten, man denke an "The Akara" oder "Nantes", elegisch dröhnt.

Der New Mexicaner nahm alles allein auf; mit Craig Silvey, bekannt von Arcade Fire, und dem in Berlin ansässigen Francesco Donadello ließ er als Mixer und Masterer zwei ganz besonders hochkarätige Namen ans Werk. Wo Condon bei früheren Werken manchmal mit seiner musikalischen Vision zu kämpfen schien, ist "Hadsel" dermaßen aus einem Guss und so kompromisslos und damit dröhnend und basslastig und voluminös durchgezogen, dass ich beim ständigen Dröhnen mehrfach die Kopfhörer abnahm und dachte, irgendeine Waschmaschine würde mitten in der Nacht im Haus schleudern. Zum Wollen gehört das Können, und wir sind immer noch beim ersten Song: Nach Orgel und Stimme finden sich sehr früh chorale Elemente und die von Condon wiederentdeckte und von ihm so meisterhaft beherrschte Trompete. Basis bleibt aber die Orgel, auf der sich alles wogend nach oben schält, ohne wirklich abzusacken, ein sanftes Crescendo. Die Lyrics dazu sind ebenso meister- wie rätselhaft: "Take tonight / to your bones / lay me down my oar", besingt Condon halb die Insel, halb eine Frau, die ihn zurücklässt ("love to carry round / lesser days / so she drives the car").

Der zweite Song "Arctic Forest" kommt ohne verständliche Lyrics aus, obwohl der Ami recht viel spricht. Der basslastige Track erinnert in seiner Stimmung an "There, There" von Radiohead, fließt aber stetiger dahin und bleibt trotz seiner gelungenen Percussion-Arbeit und der exzellenten Trompeten einer der relativ (!) schwächeren Songs auf "Hadsel", da er sich weniger im Gedächtnis festsetzt. Das passiert "Baion" nicht, auf dem Condons wiederentdeckte Bariton-Uke ihren ersten großen Einsatz feiert. Das verträumte Lied kann vor Trauer kaum atmen ("I wish to be gone / I bite hard on my tongue), aber Condon schafft mit seinem gegenüber dem reichen Sound zurückgenommenen, lethargischen Sound einen interessanten Kontrast. So entsteht ein wunderschönes, lebendiges Gemälde voller Souveränität und Schwermut.

Es darf wohl niemanden verwundern, dass "So Many Plans" sich auf vergangene Pläne bezieht. Hier gibt wiederum die teils bezaubernd gezupfte Ukelele den Ton an, umspielt von einem besonders großartigen Synthie-Bass. Condon trifft auch hier genau den Ton zwischen Tieftraurigkeit und verspielter, melancholisch-schöner Musik, die immer mehr als nur Untermalung ist. Der Einsatz des Chors im zweiten Drittel gehört zu den besten Stellen des ganzen Albums – und des Werks von Beirut.

"Melbu" ist ein Orgel-Instrumental, das sich auch ohne das Zuklappen oder Aufstehen am Ende des Lieds jederzeit wie eine Live-Aufnahme anhören würde. Wie souverän Condon hier ein Orgellied erschafft, ohne dieses Instrument auch nur im Geringsten ändern oder in einen anderen Kontext stellen zu müssen, sondern Kraft seines Melodieverständnisses einen erstklassigen, popfähigen Orgelsong kreiert, der sich noch dazu nie gewollt anhört, das nötigt Respekt ab.

"Stokmarknes" ist eine kleine Stadt in Nordnorwegen, und hier bekommt das Waldhorn seinen ersten größeren Auftritt. Condon ist erneut gefangen im Zwiegespräch, im letzten Aufbäumen einer Beziehung ("At least sit up / let me fill your cup"), das Entlanghangeln im Kreis wird wieder einmal durch eine sehr gelungene Percussion untermalt. "Hadsel" schmeckt vor allem auf den Mid-Tempo-Songs förmlich nach Erde, so tief ist es im Boden verankert durch tiefe Drums, elektronischen Bass und Orgel. Allerdings gilt hier wie schon für "Arctic Forest": Die langsamen Tracks wie "Island Life" sind noch starker als die gleichwohl guten Mid-Tempo-Stücke ("Spillhaugen", "January 18th" oder "Regulatory", in denen Beirut gar an John Maus mit anderen Mitteln erinnern), weil sie die Brutalität und das Unerbittliche noch besser einfangen und die schnelleren Songs von ihrer Endlosigkeit und Repetition leben, die den Hörer massiv fordert und durch die üblicherweise im zweiten Drittel einsetzenden, wunderschönen Trompeten nur teils gelöst wird. Der sich im Kreis drehende Condon ist genauso belohnend wie anstrengend, während sich bei den langsameren Songs diese Waage klar in Richtung Belohnung neigt, denn die gezogenen Instrumente wie Orgel, Horn, Trompete, schwere Elektronik passen wunderbar zum waldigen Sound, der dank Ukulele, Percussion und Stimme aber nie zäh wird.

Das gilt aber nur für die Form, der Inhalt ist immer atemberaubend gemein und erbarmungslos, selbst "Island Life" kommt beim Berliner mit Rasierklingen: "I'll empty out my home / everything has to go". Das starke Lied ist noch dazu garniert mit winzigen Sprach- und Weinfetzen, die einen endgültig am Verstand (dem eigenen und Condons) zweifeln lassen. Wenn dieses Album Heilung sein soll, dann ist klassische Psychotherapie wohl nichts für Zach.

Am stärksten wird "Hadsel", wenn Condon sich Zeit nimmt wie auf "Süddeutsches Ton-Bild-Studio" ("I can't bleed another way / I can’t be easy now") und Experimentelles auspackt, hier eine dreiminütige Synthie-Strecke zum Schluss. Dann kommt seine zurzeit so toll ausgeprägte Stimme, so auch bei "The Tern", besonders gut zur Geltung und er baut kunstfertig und behutsam den Sound auf, auf einem erneuten Zenit seines Schaffens.

Trackliste

  1. 1. Hadsel
  2. 2. Arctic Forest
  3. 3. Baion
  4. 4. So Many Plans
  5. 5. Melbu
  6. 6. Stokmarknes
  7. 7. Island Life
  8. 8. Spillhaugen
  9. 9. January 18th
  10. 10. Süddeutsches Ton-Bild
  11. 11. The Tern
  12. 12. Regulatory

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4 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 5 Monaten

    Jedes Stück hört sich erstmal nach "schöner" Depression an und könnte, z.B.Titelsong, durchaus bei mir auf nem Sampler landen, aber in der Masse ist Depression dann doch einfach nicht schön - den einen schlafen die Füsse ein, die anderen springen aus dem Fenster... Sagen wir mal: Schön, aber nur in kleinen Dosen genießbar

  • Vor 2 Monaten

    Vielleicht hätte mir unter anderen Erstbegegnungsumständen hier auch etwas die Dynamik bei all der mäandernden Schwermut gefehlt. Aber ich hab die bis dahin noch ungehörte CD nun mal im letzten Moment noch für den vergangenen Wochenendausflug eingepackt. Die Hälfte zuhause vergessen, der Kleine hat sich komplett vollgereihert, die Große hats nicht mehr aufs Klo geschafft, wegen all dem entspannte zwei Stunden zu spät dran und die letzte Ausfahrt wär unsre gewesen.

    Aber du drückst auf Play und bist sofort weg und drin in dem Fluss aus träumerischer Melancholie, gebrochen nur von den hin und wieder eingesträuten, zum Verlieben schönen Melodieläufen, die er vorwiegend (aber nicht nur) aus seiner Trompete zaubert. Hadsel ist ihm ja dem Vernehmen nach vor allem Rückzugsort in dem Sinne gewesen, manchen Problemen der Gegenwart zu entfliehen, dafür einige aus der Vergangenheit wieder hervorzukramen und sich bei all dem noch einen neuen schöpferischen Impuls abzuringen. Entsprechend trägt das Album sicher eine Menge Ballast. Zumindest für mich hat es aber auch ganz fantastisch funktioniert, als Hörer im vorletzten Satz nach dem "entfliehen" gedanklich einen Punkt zu setzen und dreist-naiv halbhörend nur den angenehmeren Teil der Katharsis abzugreifen, den leicht beißenden Geruch der in der Hektik übersehenen oder von den in Verzweiflung rasch herausgekramten Chemikalien nur unzureichend überdeckten Kotzbröckchen noch in der Nase.

    Ich hab eine Menge seiner Sachen nach dem Flying Cub Club kaum oder gar nicht gehört und kanns entsprechend eigentlich nicht beurteilen, aber das mit dem "erneuten Zenit" aus der überhaupt toll geschriebenen Rezi muss einfach stimmen, zumal es auch beim bewussteren Hören zwar immer noch wenig Schwung, aber ansonsten viel (großartiges) zu entdecken gibt. Mitte Februar Berlin schaff ich leider nicht, aber ich drück auf jeden Fall die Daumen, dass es ein Triumph wird und hab Beirut für kommende Releases wieder aufm Schirm.
    ♥/5