20. Januar 2021

"Miete zahl ich vom Ersparten"

Interview geführt von

Martin van Drunen erzählt u.a. von den Aufnahmen zu "Necroceros" und Texten über Stalingrad und andere Kriegsgeschehnisse.

Asphyx-Sänger Martin van Drunen ist ein gefragter Gesprächspartner. Zum Zeitpunkt unserer Unterhaltung hatte er nach eigener Aussage bereits gut 80 Interviews absolviert. Der Grund: Die niederländischen Death Doom Pioniere haben ein neues Album mit dem Titel "Necroceros" am Start.

Asphyx ist eine der wenigen Bands, die Live-Konzerte unter Corona-Auflagen gespielt hat. Wie ist es für euch gelaufen?

Martin van Drunen: Wir haben drei Konzerte gespielt: In Essen, Mannheim und Weimar. Wir wussten zunächst nicht, was uns erwartet. Die Gigs sind aber viel besser gelaufen, als wir gedacht haben. Wir sind von der Bühne gegangen und haben uns gesagt: "Das war sogar richtig geil!". Die Leute haben das Gleiche im Sitzen gemacht, was sie sonst im Stehen machen: Die Fäuste sind hochgegangen und sie haben gebangt. Es wurde geschrien und Bier getrunken. Ich habe danach auch nicht gehört, dass jemand an Corona erkrankt ist. Wie man sieht – es ist möglich Konzerte zu veranstalten. Wir sollten eigentlich im Dezember in Speyer spielen. Das hat dann aber wegen der strengeren Maßnahmen nicht stattgefunden.

Du bist bei Asphyx der Einzige, der keinen regulären Job hat und von den Einnahmen der Band lebt. Wie sieht deine Situation derzeit ohne Konzerte und Festivalauftritte aus?

van Drunen: Ziemlich beschissen, wie du dir denken kannst. Ich lebe von der Mucke, und der Hauptbestandteil der Einnahmen sind die Konzerte. Ich wollte dieses Jahr eigentlich meine Zähne richten lassen, da sie in einem schlechten Zustand sind. Dafür habe ich extra Geld gespart. Das muss ich jetzt nehmen, um meine Miete bezahlen zu können. Als selbstständiger Künstler bekommst du in den Niederlanden keine Unterstützung vom Staat. Ich müsste mich bei der Haushaltskammer als Unternehmen eintragen lassen. Das ist aber mit sehr viel bürokratischem Aufwand verbunden. Ich muss durchhalten. Von unserer Plattenfirma Century Media habe ich immerhin die Zusage, dass sie mir helfen würden, wenn meine Situation sich verschlechtern sollte.

Deine Freundin lebt in Paris. Du wirst sie derzeit wahrscheinlich nicht oft sehen.

van Drunen: Das stimmt, in Frankreich ist die Situation noch schlimmer als bei uns oder in Deutschland. Paris ist abgeriegelt.

Kommen wir mal zu einem angenehmen Thema: euer neues Album ist erwartet stark ausgefallen. Siehst du in "Necroceros" einen weiteren Entwicklungsschritt oder manifestiert ihr das hohe Qualitätslevel des Vorgänger-Albums "Incoming Death"?

van Drunen: Das neue Album ist die logische Folge aus "Incoming Death". Uns war klar, dass es sehr schwer wird, danach ein gleichwertiges Brett hinzulegen. Deshalb hat es wahrscheinlich mit "Necroceros" auch so lange gedauert. Super fette Riffs, von denen wir total überzeugt sind, kommen nicht jeden Tag einfach so vorbeigeflogen. Außerdem haben wir uns überlegt, einen neuen Mischer zu engagieren, um einen frischen Einfluss von draußen zu bekommen. Wir haben unsere Aufnahmen an einige Kandidaten geschickt. Sebastian Levermann hat uns mächtig beeindruckt. Deswegen ist die Scheibe soundtechnisch auch ein bisschen anders geworden. Das ist nichts gegen Dan Swanö. Er ist ein phantastischer Mensch, ein super professioneller Soundmixer und ein Freund der Band. Wir wollten dieses Mal einfach was anderes ausprobieren.

Seit dem "Necroceros"-Vorgänger habt ihr ein stabiles Lineup. Hat sich das stark auf das neue Album ausgewirkt?

van Drunen: Auf jeden Fall. Das hat man bei den Aufnahmen und den Proben gemerkt. Das ist ein großer Vorteil für eine Band, wenn man eingespielt ist. Unser Gitarrist Paul Baayens hat meist das Grundgerüst der Stücke fertig, bevor die Band daran feilt. Paul ist beim Jammen zu einem der Stücke eine neue Idee gekommen, und er hat sie auf der Gitarre angespielt. Unser Drummer Husky ist dann gleich darauf eingestiegen. Die beiden verstehen sich bestens.

Ihr habt durch Corona wahrscheinlich mehr Zeit zur Arbeit am Album gehabt als gewöhnlich, oder?

van Drunen: Ja klar, durch Corona sind alle Shows abgesagt worden. Da haben wir die Zeit gut genutzt, die wir normalerweise auf der Bühne verbracht hätten. Unsere Pläne, das Album aufzunehmen, haben sich etwa um ein halbes Jahr verschoben.

Ich finde auf der neuen Platte finden sich Stücke, die in Richtung Bolt Thrower gehen und die vielleicht mehr zu deiner und Pauls alten Band Hail Of Bullets gepasst hätten. "Molten Black Earth" ist so ein Beispiel.

van Drunen: Das stimmt. Der Song hat jede Menge Bolt Thrower-Einflüsse. Wir mögen die Band sehr. Das ist eine kleine Ode an Bolt Thrower, weil es sie nie wieder geben wird. Und es ist auch klar, dass einiges von Hail Of Bullets bei Asphyx einfließt. Früher gingen ungefähr 75 Prozent von Pauls und meinen Songideen an Hail Of Bullets. Jetzt, wo die Band nicht mehr existiert, können wir alles für Asphyx verwenden.

"Three Years Of Famine" hätte von der Atmosphäre her auch gut auf dem ersten Hail Of Bullets-Album "Of Frost And War ..." laufen können. Um was geht es in dem Song?

van Drunen: Es geht um die Hungersnot in China unter dem Diktator Mao in den späten 1950er Jahren. Als Paul mit der Musik ankam, habe ich gedacht, im Text muss es um etwas sehr Tragisches gehen. Es ist ein sehr trauriges Stück. Zufälligerweise habe ich zu diesem Zeitpunkt eine Mao-Biografie gelesen. Er war ein schrecklicher Diktator. Ich war total schockiert, was unter seiner Herrschaft alles Schlimmes passiert ist. Damals sind die Menschen reihenweise am Hunger verreckt.

"Stalingrad war echter Horror"

Viele deiner Texte drehen sich um Kriegsthemen, speziell aus der deutschen Geschichte. Woher kommt dein Interesse dafür?

van Drunen: Als ich 16 oder 17 Jahre alt war, habe ich ein Buch über Stalingrad in die Hände bekommen. Darin war das ganze Elend beschrieben. Zu dieser Zeit habe ich gerne Horrorliteratur von H.P. Lovecraft, Edgar Allan Po oder auch Stephen King gelesen. Die Kriegsgeschehnisse von Stalingrad waren aber echter Horror. Das hat eine Art von Faszination auf mich ausgeübt und ich wollte mehr darüber erfahren. Ich habe mir dann im Laufe der Jahre viele Bücher zugelegt und weitergeforscht. Daraus ist dann ein kleines Bibliothekchen entstanden.

Haben dir Leute wegen deiner Liedtexte eigentlich schon mal Gewaltverherrlichung vorgeworfen oder dich in die rechte Ecke gestellt?

van Drunen: Nein, überhaupt nicht. Die Leute wissen, wofür ich stehe. Ich verbreite in meinen Texten eine klare Antikriegshaltung. Es gab mal Ärger wegen des Songs "Der Landser". Ich wusste damals nicht, dass es eine deutsche Rechtsrockband gab, die so hieß.

Neben ernsten Themen beweist du in deinen Texten auch einen speziellen Sinn für Humor mit Songs wie "Botox Implosion", "Sole Cure Is Death" oder "Eisenbahnmörser". Ist es euch wichtig, als Band nicht immer super ernst und böse rüberzukommen?

van Drunen: Na klar, wir wechseln zwischen ernsten und humorvollen Themen. Wobei ich die ganzen Gore- und Zombiegeschichten im Death Metal generell zum Lachen finde. Wir haben früher Splatterfilme gesehen, Bier getrunken und uns amüsiert, wenn die Gedärme raus gekommen sind. Das gehörte immer schon zum Death Metal dazu. Man darf nicht alles bierernst nehmen.

Ich gehe mal davon aus, dass der Albumtitel "Necroceros" auch keinen super ernsten Hintergrund hat. Was ist ein Necroceros?

van Drunen: Das ist ein Wesen aus einem unbekannten All. Ich lese ab und zu ganz gerne Sciencefiction-Comics. Dieses Ding kommt durch galaktische Kriege mit anderen Universen zu uns, und es ist um uns geschehen. Dann ist die Erde am Arsch.

Dazu brauchen wir keinen Necroceros, das schaffen wir auch ganz alleine.

van Drunen: Das stimmt (lacht).

"Wir sind ein bisschen vom Gas gegangen"

Eher ungewöhnlich für Asphyx ist der Song "Yield or Die". Der klingt fast schon fröhlich für eure Verhältnisse.

van Drunen: Das Stück geht zurück zum traditionellen Heavy Metal. Da gibt es keinen großen Schnickschnack. Der Song könnte live gut ankommen. Der Text geht um ein Thema, das mich sehr interessiert: Die Mongolen unter Dschingis Khan.

Der Song ist auf jeden Fall sehr eingängig und animiert fast schon zum Mitschunkeln. Ist er quasi euer Schlager-Death-Metal-Song?

van Drunen: (lacht laut). Vielleicht hätten wir zu "Yield or Die" ein Video drehen sollen.

Kannst du sagen, welches dein Lieblingsstück auf dem neuen Album ist?

van Drunen: Puh, schwer zu sagen. Von der Komposition, dem Aufbau und den Melodien her würde ich "Three Years of Famine" nennen. Der Song ist gewaltig. Ich mag aber auch das Titelstück sehr. Ich bin aber mit dem gesamten Album sehr zufrieden. Ich höre es sehr oft, weil ich die Texte lernen muss, und bin immer noch nicht satt.

Wie unterscheidet sich "Necroceros" von den Vorgänger-Alben?

van Drunen: Wir sind ein bisschen vom Gas gegangen, haben mehr Midtempo-Songs auf der Scheibe als gewöhnlich. Wir haben auch mehr traditionelle Heavy Metal-Einflüsse zugelassen als sonst. Wir hören alle gerne Maiden, alte Priest oder Jaguar. Außerdem hört man der Platte an, dass wir einen neuen Mixer haben.

Das Cover hat wieder Axel Hermann gemalt. Mit ihm habt ihr schon beim ersten Album "The Rack" zusammengearbeitet. Habt ihr nie daran gedacht, mal einen anderen Künstler zu kontaktieren?

van Drunen: Wir bleiben gerne bei Axel, er ist einfach ein Teil von uns. Er hat auch dieses Mal eine fantastische Arbeit abgeliefert. Die Farben haben mich überrascht. Normalerweise sind die Cover eher dunkel und schwarz gehalten. Jetzt kam er aber mit diesem merkwürdigen, giftigen Grün an.

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