11. Oktober 2016

"Die Menschen reden nicht mehr miteinander"

Interview geführt von

Kurz vor der US-Präsidentschaftswahl hauen Alter Bridge ihr neues Album "The Last Hero" raus. Ein Wink mit dem Zaunpfahl? Wir fragten bei Sänger Myles Kennedy nach.

Oh, wie gerne hätte ich Myles Kennedy irgendwo am Hackeschen Markt auf dem Bürgersteig mit seiner Akustikklampfe spielen sehen. In seiner Heimatstadt Spokane macht der Sänger das ab und zu. In Berlin muss man auf ein lockeres Street-Ständchen aber noch warten. Zum Promo-Besuch in der Hauptstadt hat Myles zwar seine Gitarre mit am Start. Aber die bleibt die meiste Zeit leider im Koffer. Myles will lieber reden als spielen. Alter Bridge haben schließlich ein neues Album ("The Last Hero") am Start. Und so klatschen wir beide gemütlich ab, setzen uns hin und plaudern über musikalische All-in-All-Pakete, Donald Trump und "The Sound Of Silence".

Myles, als ich vorhin aus der U-Bahn ausstieg, hatte ich die leise Hoffnung, dir eventuell schon vorab zu begegnen.

Myles Kennedy: Oh, draußen auf der Straße?

Ja, genau.

Warum?

Naja, du hast letztens in der Fußgängerzone von Spokane euren Hit "Watch Over You" mit der akustischen Gitarre im Arm vorgetragen. Da dachte ich mir ...

(Lacht) Ah, verstehe. Ja, das war eine coole Nummer. Ich bin eigentlich immer mit einer Gitarre unterwegs. Auch hier in Berlin wieder. Aber der Zeitplan ist schon ziemlich straff. Bisher hat es mit dem Spielen noch nicht so richtig geklappt. Aber die Gegend ist schön. Ich mag Berlin. Vielleicht stell ich mich nachher noch irgendwo hin und spiele ein paar Akkorde.

Welcher Song vom neuen Album würde sich denn deiner Meinung nach für eine akustische Street-Performance anbieten?

Ich denke, dass die meisten neuen Songs auch unverzerrt gut rüberkommen. Vielleicht würde ich erst einmal mit den etwas eingängigeren Songs wie "My Champion" oder "You Will Be Remembered" anfangen.

Mich würde ja mal interessieren wie der Titeltrack oder mein persönlicher Lieblingstrack "Poison In Your Veins" im Akustik-Gewand klingen würden. Vor allem der Titeltrack fährt ja ziemlich alles auf, was euch als Band ausmacht: Epik, Opulenz, Energie, Härte.

Ja, das stimmt. Im Grunde ist das komplette Album mit diesem Gedanken entstanden. Wir wollten diesmal das gesamte Spektrum abdecken. Es gibt ja immer Leute, denen das eine Album zu melodiös und das andere zu hart ist. Mit der neuen Scheibe sollen nun alle glücklich werden. Es gibt harmonischere Songs wie "My Champion" und "You Will Be Remembered". Es gibt auf der anderen Seite aber auch richtige Bretter wie "Crows On A Whire" und "Show Me A Leader". Wenn man das Ganze dann noch mit bombastischen Tunes à la "This Side Of Fate" und "The Last Hero" garniert, dann hat man so ziemlich alles, das uns als Band groß gemacht hat, auf dem Tisch.

"Im Bereich Rock decken wir nahezu alles ab"

Wie lange dauert es eigentlich, bis ihr euch in puncto Sound-Konzept alle einig seid?

Das geht normalerweise ziemlich schnell. Die Basis ist ja klar. Ich glaube nicht, dass wir irgendwann mit einem runderneuerten Sound um die Ecke kommen. Alter Bridge werden immer wie Alter Bridge klingen. Manchmal vielleicht ein bisschen härter. Und manchmal etwas ruhiger. Und manchmal bekommt man eben alles serviert. So wie dieser Tage. Das Experimentieren hält sich bei uns in Grenzen.

Ist das für jemanden wie dich, der neben harter Rockmusik auch auf nerdigen Jazz steht, auf Dauer nicht zu wenig?

Nein, überhaupt nicht. Wir sind ja keine Punk-Band, die Jahr für Jahr auf denselben drei Akkorden rumschrabbelt. Unsere musikalische Spannbreite ist schon immens. Im Bereich Rock decken wir nahezu alles ab. Jazz ist für mich auch eher Musik, die ich zum Entspannen brauche. Wenn ich Jazz spiele, komme ich runter. Bei Alter Bridge hingegen läuft jede einzelne Faser meines Körpers auf Hochtouren. Das ist richtige Arbeit. Aber auch tolle und befriedigende Arbeit.

Musikalisch brennt ihr ein richtiges Feuerwerk ab. Inhaltlich hingegen fahrt ihr diesmal fast ausschließlich in eine Richtung. Zukunftsangst, Hilflosigkeit und Ohnmacht stehen dabei ganz oben auf der Liste. Was macht euch derzeit am meisten Sorgen?

Es ist die Art und Weise wie wir als Gesellschaft mit den Problemen unserer Zeit umgehen. Da stehen mir die Nackenhaare zu Berge. Momentan wird überall auf der Welt nur mit Fingern auf Andersdenkende gezeigt. Die Menschen reden nicht mehr miteinander. Stattdessen werden wieder Mauern und Stacheldrahtzäune errichtet. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Und wenn wir dann nach "Helden" suchen, präsentieren sich machthungrige Politiker mit zweifelhaften Ambitionen. Das kann einem schon Angst machen. Ich als Amerikaner weiß, wovon ich rede.

Demnach bist auch du kein Fan von Donald Trump?

Ich bin generell kein Fan von Politikern. Zumindest nicht von denen, die ihr eigenes Wohl vor das der Allgemeinheit stellen.

"'The Sound Of Silence' ist ein Stück Musikgeschichte"

Ist Hillary Clinton die bessere Wahl?

Was denkst du?

Nun, ich denke, dass jeder besser als Donald Trump wäre. Du nicht?

Lass es mich so sagen: Beide Kandidaten stehen für Dinge ein, mit denen ich nicht so ganz konform gehe.

Aber wäre Donald Trump nicht zweifelsohne das größere Übel?

Mag schon sein. Was mir allerdings viel größere Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass hinter einer Person noch Millionen andere Menschen stehen. Das ist das eigentliche Problem. Es geht nicht so sehr um zwei Menschen, die gerade um das vermeintlich höchste politische Amt streiten. Es geht vielmehr um die Millionen Wähler, die scheinbar keine anderen Helden auf dem Schirm haben.

Es hätte also gar nicht so weit kommen dürfen?

Exakt.

Wie kommt man da wieder raus?

(Lacht) Das ist wahrscheinlich DIE Frage überhaupt. Keine Ahnung. Wir werden sehen was passiert.

Wenn mir etwas große Sorgen bereitet, dann verkrieche ich mich immer unter meinen Kopfhörern und lausche ruhiger Musik. Momentan steh ich total auf die Disturbed-Version von "The Sound Of Silence".

(Lacht) Klasse Übergang, mein Freund. Ja, der Song hat was.

Du standst in den letzten Wochen oftmals gemeinsam mit David Draiman auf der Bühne, um eben jenen Song im Duett zu performen. Was war das für ein Gefühl?

Es war atemberaubend. Das Original ist ein Stück Musikgeschichte. Wegen solcher Songs wurde der Begriff "Evergreen" erfunden. Disturbed haben dem Song ein neues Kraftfeld zur Seite gestellt.

Die neue Version polarisiert aber auch. Entweder die Leute hassen sie, oder aber sie lieben sie. Dazwischen gibt es nichts. Kannst du dir diesen Rummel irgendwie erklären?

Es gibt doch kein größeres Kompliment. Wenn man Musik macht, dann will man die Menschen damit erreichen. Man möchte eine Reaktion hervorrufen. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Musiker, als wenn die eigene Musik nur zum Fahrstuhlfahren taugt. Wenn man mit seinem Schaffen polarisiert, dann hat man erst einmal alles richtig gemacht.

Also freust du dich mehr über Stimmen, die euer neues Album zerreißen, als über solche, die sich für keine Seite so richtig entscheiden können?

Ja, definitiv. Am meisten freue ich mich natürlich über all die Stimmen, die das neue Album in den Himmel loben werden. Aber ein Begriff wie "Scheiße" ist mir wesentlich lieber als ein lauwarmes Statement wie "geht so".

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