15. Januar 2013

"Bei euch geht schon die Post ab"

Interview geführt von

Wenn sich eine Combo mitten im Aufnahmeprozess für ein neues Album von einer tragenden Stammkraft verabschieden muss, heißt es in der Regel erst mal: Alle Füße auf die Bremse. We Are The Ocean machten das Gegenteil.Die britische Postcore-Band trennte sich vergangenes Jahr während des Entstehungsprozesses des zweiten Albums "Maybe Today, Maybe Tomorrow" überraschend von Zweitsänger Dan Brown. Doch statt die Dinge erst mal sacken zu lassen, zog der Vierer unbeirrt sein Ding durch und erklärte kurzerhand Liam Cromby zum alleinigen Frontkönig. Wir sprachen mit Liam u.a. über Dans Ausstieg.

Hi Liam, ihr habt auch in Deutschland Festivalgigs hinter euch gebracht, etwa Area 4 und Highfield ...

Liam: Die Shows liefen super. Wir hätten bei beiden Festival niemals mit einer solchen Masse an Leuten gerechnet. Das hat uns schon ziemlich beeindruckt.

Beeindruckt? Das klingt ein bisschen nach Verunsicherung ...

Nun, es waren schließlich die ersten Festivalshows, die wir hier in Deutschland spielen durften. Da ist man natürlich etwas aufgeregter als sonst. Aber verunsichert waren wir nicht, eher voll freudiger Erwartung (lacht). Die Leute waren super drauf. Das hat uns natürlich geholfen.

Ihr spielt auch öfter mal unplugged. Was ist denn so faszinierend am Treiben ohne Kabel?

Es ist dieser ungefilterte Vibe, den man nur hat, wenn es nichts gibt, wo man sich hinter verstecken kann. Außerdem ist es immer wieder spannend, Songs in einem anderen musikalischen Gewand zu hören.

Auch die Songs eures aktuellen Albums "Maybe Today, Maybe Tomorrow" präsentieren sich zumindest gesangstechnisch in einem neuen Gewand. Nach dem Ausstieg von Dan, zeigst du dich jetzt alleinverantwortlich für die Vocals. Wie fühlt sich das an?

Mittlerweile geht es mir richtig gut damit. Wir waren fünf Jahre lang ein Quintett. Da dauert es natürlich eine gewisse Zeit, um sich umzustellen. Wir haben z.B. die Warped-Tour gespielt. Das waren für uns die ersten Shows als Quartett. Aber ein besseres Trainingscamp hätte es nicht geben können (lacht).

Hättet ihr eure Feuertaufe im neuen Line Up nicht lieber im kleineren Rahmen abgehalten?

Oh, wenn die Warped-Tour ruft, dann kann man schwer nein sagen. Ich habe mein ganzes Leben lang davon geträumt, einmal dort zu spielen. Ich glaube, selbst wenn sich die Band aufgelöst hätte, wäre ich mitgefahren. Wahrscheinlich hätte ich nur für diese Tour irgendwelche Leute von der Straße angeheuert, die sich für den Zeitraum der Tour als Bandmitglieder ausgeben hätten (lacht).

"Es war ein schleichender Prozess"

Gab es denn Momente nach Dans Ausstieg, wo die Zukunft der Band auf der Kippe stand?

Nein, niemals. Natürlich waren wir nicht glücklich über Dans Entscheidung. Aber die ganze Sache passierte ja auch nicht von heute auf morgen. Es war ein schleichender Prozess. Die Überraschung hielt sich demnach in Grenzen, als wir uns zusammensetzten, und er uns erklärte, dass er seine Zukunft eher im Management-Bereich sieht. Da war er ja vorher auch schon zu Gange.

Nun arbeitet er bei uns hinter den Kulissen. Ich glaube, es ist immer wichtig, dass man im Guten auseinandergeht. Wenn es keine menschlichen Probleme miteinander gibt, kann man sich wesentlich schneller wieder auf das fokussieren, was wichtig ist. Andersrum plagt man sich noch ewig mit Gewissens- und Schuldfragen herum. Das war bei uns zum Glück nicht der Fall.

Lass uns nochmal auf deine Rolle zurückkommen. Fühlst du dich wohler, jetzt wo sich die Gesangsduelle auf der Bühne auf ein Minimum reduziert haben?

Es hat sich ja nicht allzu viel verändert, denn Alfie übernimmt ja jetzt verstärkt den zweiten Gesangspart. Das wollen wir auch in Zukunft noch weiter ausbauen.

Demnach gibt es keinerlei Überlegungen die Band kurz- oder mittelfristig wieder in ein Quintett zu verwandeln?

Nein, es wird bei dieser Konstellation bleiben.

Lass uns über "Maybe Today, Maybe Tomorrow" sprechen, das meiner Meinung nach einen ziemlich hohen Alternativ-Anteil hat - im Vergleich zu euren vergangenen Werken.

Ja, absolut. Ich habe uns, ehrlich gesagt, nie wirklich als Postcore-Band gesehen. Vielleicht hat unser Debütalbum einige Ansätze von dem, was man gemeinhin als Postcore bezeichnet, aber sich sah uns schon immer mehr im Alternativeband. Mit diesem Album haben wir, denke ich, auch die letzten Postcore-Ketten sprengen können (lacht). Letztlich ist es das Album geworden, das wir schon immer machen wollten. Jetzt haben wir unseren Sound gefunden.

Mich hat der Albumtitel etwas irritiert ...

Warum?

Nun, ihr habt in den letzten fünf Jahren drei Alben veröffentlicht. Einige Bands tun sich innerhalb dieses Zeitraums schon mit der Produktion eines Albums schwer. Da könnte man sich fragen, wenn bei einer so arbeitswütigen Band, wie ihr es seit, ein so – verzeih mir – lapidarer Titel herauskommt.

Du würdest dich wundern, wie viele Platten wir eigentlich aufnehmen würden, wenn wir die Zeit dafür hätten. Insofern passt der Titel schon ganz gut.

Nenn mal eine Zahl.

Wenn wir könnten, würden wir jedes Jahr mindestens zwei Alben aufnehmen.

"Wir sind schon besessen vom Business"

Jeweils immer eins mit eigenen Songs und eins mit Coverversionen?

Nein, im Ernst. Wir schreiben eigentlich die ganze Zeit über. Es gibt kaum einen Tag, an dem wir nicht irgendwelche Ideen austauschen. Aber leider kann man ja nicht das halbe Jahr im Studio verbringen. Die Leute wollen die Band schließlich live spielen sehen.

Aber inwiefern macht dann ein Albumtitel wie "Maybe Today, Maybe Tomorrow?" Sinn?

Auch wenn wir in Bezug auf unsere Arbeit sehr fokussiert sind, gibt es dennoch viele Dinge im Leben, die sich halt so ergeben. Der Titel fasst den gesamten Inhalt des Albums eigentlich ganz gut zusammen, auch wenn kein wirkliches Konzept dahintersteckt. Was heute nicht funktioniert, kann morgen bereits Realität sein. Andersrum wird aber auch häufig ein Schuh draus. Vieles, was einem heute wichtig erscheint, hat morgen keine Relevanz mehr. So läuft das doch, oder?

Ihr habt nach der Veröffentlichung eures zweiten Albums "Go Now And Live" fast die ganze Welt bereist. Nun wart ihr wieder auf Tour, noch bevor das "Maybe Today, Maybe Tomorrow" in den Läden stand. Bedenkt man, dass neben all den Tourneen noch regelmäßig Alben von euch erscheinen, könnte man meinen, dass sich bei euch 24 Stunden am Tag alles um Musik dreht.

Stimmt. Wir haben die letzten fünf Jahre eigentlich kaum einen Tag gehabt, an dem nicht irgendetwas in Sachen Band anstand. Aber so ist das halt. Wir sind schon ein bisschen besessen vom Business (lacht). Ich meine, es gibt für uns einfach nichts Schöneres, als wie den ganzen Tag mit Musik zu tun zu haben. Es ist aber auch nicht nur die Musik. Du lernst in diesem Job so dermaßen viel Neues kennen, dass dir manchmal ein bisschen die Zeit fehlt, um all das auch zu verarbeiten. Wir fahren innerhalb eines Jahres rund um die Welt. Da sind dann Länder dabei, die man sonst nur vom Atlas her kennt. Wie kann man da aufhören, hungrig zu sein?

Je mehr wir sehen und erleben, desto hibbeliger werden wir, all diese Erlebnisse möglichst schnell zu wiederholen. Natürlich lernt man auch viele Idioten kennen. Und natürlich fällt man an vielen Tagen hundemüde abends ins Bett. Aber insgesamt gesehen, bin ich für jeden bisher erlebten Augenblick mehr als dankbar.

Du hast gerade von Idioten gesprochen. Meinst du damit Musiker-Kollegen, denen diese Dankbarkeit irgendwann im Laufe der Zeit abhandengekommen ist?

Ja, zum Beispiel. Aber alles in allem, hatten wir bisher wirklich viel Glück mit den Bands, mit denen wir spielen durften. Die meisten sind wirklich super drauf und wissen all die Privilegien zu schätzen. Es haben sich auch schon unzählige Freundschaften auf Tour gebildet. Das ist toll. Die Leute, die die Nase hoch tragen und meinen, sie wären etwas Besseres, sind wirklich in der Minderheit. Man muss auch einfach dankbar sein. Es geht eigentlich gar nicht anders, wenn man das, was man liebt zum Beruf machen kann.

Wie sieht es denn vor den Bühnen aus? Sind die Leute z.B. in Australien ebenso dankbar wie die Fans in Deutschland oder England? Oder empfindet ihr eher das Gegenteil?

Es gibt eigentlich keine großen Unterschiede. Ich könnte dir jetzt kein Land nennen, indem wir schlechte Erfahrungen gemacht haben. Bei euch geht schon ordentlich die Post ab, keine Frage. Ich glaube, dass die Leute in Europa generell etwas enthusiastischer sind, wenn es um Rockmusik geht. Aber wir wurden auch in Australien und Amerika mit offenen Armen empfangen.

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