27. August 2009

"Da hab ich mich verarscht gefühlt!"

Interview geführt von

Udo Dirkschneider spricht im Interview über den Soundtrack zu "The Wrestler", seine Bewunderung für Rammstein und Kiss und natürlich über "Dominator"."The most metal name of all time", soll Axl Roses Kumpel Sebastian Bach Udo Dirkschneider genannt haben. In der Tat besitzt der 1952 geborene Wuppertaler seit über 30 Jahren eine der weltweit bekanntesten Raspeln der Metalszene, erst im Dienste von Accept, dann bei U.D.O. Die Veröffentlichung des Albums "Dominator" nahmen wir zum Anlass, den Altmeister in Stuttgart zu treffen.

An der Theke des noblen Hotel Intercontinental (neuerdings Le Meridien) wunderten wir uns zunächst, dass das Interview in einem Fünf-Sterne-Schuppen stattfinden sollte. Der Manager klärte uns am Telefon auf: InterCity, nicht Interconti! Das Bier in zwei Zügen geleert, eilten wir zum Etablissement im Bahnhofsgebäude, das mit einigen Kategorien weniger, Autogrammwand und gefühlten 50°C Raumtemperatur schon eher den standesgemäßen Rahmen bot. Zum Glück war das Bier dann doch kühl. Und Udo gut aufgelegt wie immer.

Du hast jetzt schon seit vielen Jahren ein stabiles Line-Up – mit Ausnahme des Schlagzeugers Francesco Jovino, der aber auch schon seit 2004 dabei ist. Erstaunlich, wenn man bedenkt, mit wie vielen Leuten du dich schon umgeben hast. Von Anfang mit dabei war allerdings Stefan Kaufmann.

Ja, wir kennen uns nun seit über 30 Jahren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass er das Instrument gewechselt hat.

Ja, er war aber von Anfang an eher der Gitarre zugeneigt als dem Schlagzeug. Als er dann Rückenprobleme gekriegt hat, habe ich ihn 1992 bei der Accept-Reunion als zweiten Gitarristen gesehen. Das wollte Wolf Hoffmann aber nicht, der wollte modern sein und mit einem Gitarristen arbeiten – mit sich selbst.

Eine One Man Show, sozusagen.

Ja, genau, eine One Man Show. Wie es halt so ist.

Seitdem du dieses Line-Up hast, erscheinen regelmäßig neue Alben, jedenfalls viel regelmäßiger als früher.

Ja, wir sind ziemlich konstant in unseren Veröffentlichungen, würde ich mal sagen. Und recht fleißig.

Alle zwei Jahre eine neue Platte, dann eine DVD und natürlich viele Konzerte. Offenbar bereitet es dir immer noch so viel Freude, dass es sich lohnt, die Maschinerie wieder anzuwerfen, so wie jetzt im Moment.

Natürlich, da ist auch eine gewisse Routine drin, aber das Wichtigste an der ganzen Sache ist: Es macht einfach Spaß. Wenn ich merken würde, dass ich keine Lust mehr habe, würde ich aufhören. Es ist mir wichtig, dass ich noch etwas empfinde und das Programm nicht nur routinemäßig abspule. Das könnte ich auch gar nicht.

Apropos Routine – habt ihr auch eine beim Songschreiben?

Die einzige Routine liegt in der Art und Weise, wie die Songs entstehen. Seit zehn Jahren kommen erst die Texte und die Gesangsmelodien, dann die Musik. Davor war es eher andersrum, aber wir haben festgestellt, dass das der wesentlich bessere Weg ist, um zu arbeiten. Es ist ja so: Wenn man einen Text hat, weiß man auch, welche Atmosphäre dazu passen könnte. Aber eine Routine gibt es beim Komponieren an sich nicht. Wir setzen und nicht hin und sagen uns: "Jetzt machen wir eine Nummer wie auf dem Album und eine andere wie auf dem anderen Album". Das geht so nicht.

Da ist es sicherlich hilfreich, immer mit denselben Leuten zu arbeiten.

Ja, man hört aus den letzten vier, fünf Platten heraus, dass es immer dieselbe Band ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Für euer voriges Album "Mastercutor" habt ihr euch einen Charakter in Fleisch und Blut ausgedacht, der euch auch auf der Bühne begleitet hat. Das war eine nette Idee.

Ja, auch auf dem neuen Album wollen wir einen Charakter durchziehen. Jetzt heißt er nicht mehr Mastercutor, sondern Dominator. Da ist jetzt auch nicht unbedingt ein tiefer Sinn drin zu sehen, ein Maskottchen ist immer ganz gut. Dann gibt es einen gewissen Wiedererkennungseffekt.

Auf eurer Webseite erscheint ihr momentan im Cyborg-Look. Habt ihr das Thema von "Man And Machine" (2002) wieder aufgegriffen?

Damals stand ich auf der Bühne als Halbroboter, aber daran haben wir gar nicht gedacht. Der Kopf sollte einen gewissen Wiedererkennungswert haben. Die Idee kommt eher vom Terminator.

Ein Stück, das schon beim ersten Hören der Platte gleich hängen bleibt, ist "Devil's Rendevouz". Ein Lied zum Schunkeln, wenn auch natürlich mit verzerrten Gitarren.

Ja, sowas machen wir immer wieder. Zum Beispiel "Trainride In Russia", eigentlich eine Polka, auf der auch ein Akkordeon zu hören war. Zu "Devil's Rendevouz": Wir hatten den Text, der Refrain ist ganz spontan entstanden. Ich fing an, mit den Fingern zu schnippen, Stefan Gitarre zu spielen und wir haben das Ding gleich aufgenommen. Nach 15 Minuten war es so gut wie fertig. Es war einfach da, wie es manchmal passiert. Komischerweise ist das eine jener Nummern, die jeder hören will, vor allem live, denn da kommt sie viel härter rüber.

Ein Segen und ein Fluch zugleich, wenn ein einprägsames Stück schnell entsteht, oder? Nimm zum Beispiel "Paranoid" von Black Sabbath. In wenigen Augenblicken geboren und zu einem Dauerbrenner geworden, der bei Liveauftritten einfach nicht fehlen darf.

Och ja, wir spielen ja auch immer wieder Accept-Klassiker. Ich werde oft gefragt, ob das überhaupt noch Laune mach und ich antworte: ja. Proben müssen wir die nicht mehr, und auf der Bühne ist es immer wieder ein neues Erlebnis, weil das Publikum immer anders reagiert. "Princess Of The Dawn", zum Beispiel ist von 1982, also 27 Jahre alt, und es funktioniert immer noch, auch bei einem jungen Publikum. Auch bei U.D.O. haben wir ein paar Songs komponiert, die Evergreens sind, die wahrscheinlich in zehn Jahren noch funktionieren. Ich finde es schön, dass wir nicht nur Eintagsfliegen komponiert haben.

Aber wirklich in der Hand hat man das aber nicht, oder? Es sei denn, man ist Dieter Bohlen …

Na ja, wir können uns mit dieser Art von Musik nicht hinsetzen und sagen: 'Wir schreiben jetzt einen Hit". Das haben wir mit Accept ein paar Mal probiert, aber das ist jedes Mal vollkommen in die Hose gegangen. Du bist jedes Mal anders drauf, das nächste Album kann dann wieder härter ausfallen, du kannst dich einfach hinsetzen und schreiben und darüber nachdenken, ob das jetzt radiokompatibel ist oder nicht. Obwohl, ich muss gerade feststellen, dass wir mit dem neuen Album sehr viel im Radio sind. Gerade die Single "Infected" läuft gut.

"Infected, infected, infected by disease". Der perfekte Song zur Schweinegrippe!

Haha, nein, nein, im Text geht es eher darum, dass man von der Musik infiziert ist.

Also dasselbe Thema wie in einem weiteren Stück auf "Dominator", "Heavy Metal Heaven"?

Das man aber mit viel Augenzwinkern sehen muss. Im ersten Moment haben viele gesagt "Ach Gott, jetzt beweihräuchert der sich selbst". Eigentlich geht es aber gar nicht darum, sondern um Möchtegernrockstars. Ein bisschen Humor sollte man immer haben.

Hast du da jemanden Bestimmtes gemeint?

Och, da gibt es viele. Das wollen wir mal so im Raum stehen lassen.

"Die gehen ein hohes Risiko ein!"

Apropos: Accept tun sich ja wieder zusammen …

Ja!

… mal wieder ohne dich. Der Sänger heißt Mark Tornillo.

Der zweite Versuch ohne mich, ja. Der war bei TT Quick, die in den 80ern in Amerika einigermaßen angesagt waren.

Wer ist von deinen ehemaligen Weggefährten noch dabei?

Die zwei richtigen Originale sind Gitarrist Wolf Hoffmann und Bassist Peter Baltes. Von den anderen zwei war Stefan Schwarzmann mal ganz kurz dabei bei einer Reunion und hat bei einer Tour mitgespielt, Herman Frank war auch nur ganz kurz dabei und in "Balls To The Wall" involviert. Für mich sind das also keine Originalmitglieder.

Ich bin gefragt worden, ob ich mir eine Reunion vorstellen könnte. Stefan Kaufmann ebenfalls. Ich habe nicht direkt nein gesagt, aber gewisse Bedingungen gestellt. Ich hab das ja alles hinter mir, aus Erfahrung wird man klug. Sie hatten andere Vorstellungen, da haben Stefan und ich uns gedacht, dass es das nicht wert wäre, U.D.O. dafür sterben zu lassen. Ein Album und eine Tour zu machen, um dann festzustellen, dass es nicht funktioniert – muss ich nicht haben.

Zumal U.D.O. mittlerweile eine feste Größe im Business sind und die Leute uns als eigentlichen legitimen Nachfolger bezeichnen, nur mit anderem Namen. Außerdem: Erst haben sie in der Welt herumposaunt, dass es ohne Udo nie wieder Accept geben würde, dann hieß es zwei Wochen später plötzlich, Accept is back mit kompletter Line-Up. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Ich habe mich ein bisschen verarscht gefühlt. Die Platte hatten sie schon in der Tasche, sie wollten nur wissen, ob ich ja sage oder nein.

Was ich nicht ganz verstehe ist: Die gehen ein hohes Risiko ein. Die haben ja schon mal ohne mich mit einem hervorragenden amerikanischen Sänger ein Album gemacht, das auch wirklich gut war, nur - die Welt hat gesagt, das ist nicht Accept. Da sehe ich das eigentliche Problem. Ich hätte das unter einem anderem Namen gemacht. Das wäre intelligenter gewesen, denn bei Accept erwarten die Leute auch ein ganz bestimmtes Ding, das nicht stattfinden kann. Ich wünsche ihnen natürlich, dass sie ein gutes Album machen. Ich wäre enttäuscht, wenn sie das nicht hinkriegen.

Wahrscheinlich müssen sie aber erst einen Plattenfirma finden.

Na ja, bei dem Namen wird es schon ein paar Labels und Veranstalter geben. Aber ob das auch funktioniert? Ich kann darüber schmunzeln, so richtig ernst nehme ich das nicht.

Wie wäre es denn damit: Nächstes Jahr spielen U.D.O. und Accept in Wacken? Im direkten Vergleich, sozusagen?

Ja, warum nicht? Fände ich gut, ich hätte überhaupt kein Problem damit.

2005 warst du ja noch mal kurz bei Accept.

Ja, das stimmt, aber das würde ich nicht als Reunion bezeichnen, sondern eher als ein Tribute an die Fans. Wir haben einen Festivalsommer gemacht und nur Klassiker gespielt. Es hat sicherlich Spaß gemacht, ich wollte aber auch rausfinden, ob da eventuell noch was wäre. Aber ich habe für mich persönlich nichts gefunden.

Du bist auch der einzige, der alleine Erfolg hat, oder? Die anderen bewegen sich eher im Dunstkreis von Accept und haben sich nie selbstständig gemacht.

Wolf Hoffmann hat ein Klassikalbum gemacht, das ich auch sehr gut fand, aber bis auf diese Sache 2005 sind die anderen seit 1996 nicht mehr im Business tätig gewesen. Das erhöht das Risiko noch zusätzlich, denn sie wissen ja gar nicht, was da mittlerweile so abgeht. Doch das muss jeder für sich entscheiden, wie ich meine.

Wir beißen uns immer noch in den Arsch, weil wir U.D.O.s Konzert in Tuttlingen verpasst haben, bei dem ihr 2008 die Liveversion von "Mastercutor" aufgenommen habt. Ein phantastischer Auftritt!

Ja, der war etwas Besonderes. Und sehr lang! Wir haben uns natürlich überlegt, wo wir eine gute Soundqualität und ein entsprechendes Einzugsgebiet finden konnten. Wir hatten schon in Tuttlingen gespielt und das Konzert war gut besucht, deshalb haben wir uns dafür entschieden.

Auf der Schwäbischen Alb gibt es halt das richtige Publikum, nicht zufällig findet Bang Your Head nicht weit entfernt in Balingen statt.

Ja, das ist ein sehr angenehmes Festival, wir spielen da immer gerne.

Wenn's nicht regnet, und es regnet eigentlich immer …

Wir hatten Glück und dieses Jahr war gutes Wetter.

Direkt auf die Bühne vom Studio, sozusagen. Wo habt ihr das Album eigentlich aufgenommen?

In Stefan Kaufmanns Studio. Wir haben das große Glück, oder eher den Luxus, den wir uns über die Jahre erarbeitet haben, ein eigenes Studio zu besitzen. Wir können rein, wann wir wollen und müssen nichts buchen. Ich wohne nicht weit entfernt und es gibt natürlich auch Abende, in denen ich Gesangsspuren einspielen will und merke, dass es nicht sein soll. Dann trinkst du halt ein paar Gläser Wein, sagst Tschüss und gehst wieder nach Hause. Das ist ein Höllenluxus, denn dadurch kann man sehr relaxt arbeiten.

Dass der Produzent auch in der Band spielt macht die Angelegenheit wahrscheinlich noch einfacher.

Sagen wir mal so: Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben wir es nicht für nötig gehalten, einen anderen Produzenten zu finden. Aber ich will mich nicht verschließen. Wenn wir der Meinung sind, wir brauchen mal einen Co-Produzenten oder neuen Input von außen, weil wir das Gefühl haben, wir sitzen fest, dann hätte ich kein Problem damit. Auch, was das Komponieren betrifft. Ich sage mal ganz böse: Wenn Dieter Bohlen mit einem Hammersong ankäme, der für uns gut ist, dann würde ich das auch machen. Es geht letztendlich darum, gute Stücke zu haben. Das merkt man auch am neuen Album, das sich wieder ganz anders anhört als "Mastercutor". Die Basis ist zwar die gleiche, die Garnierung aber sehr unterschiedlich.

"Die Verkäufe sind dramatisch im Keller."

Seid ihr auf Plattenverkäufe angewiesen oder macht ihr ein neues Album eher, um damit auf Tour zu gehen?

In den heutigen Zeiten ist es so, dass man eher ein Album macht, um eine Tour zu promoten. Früher war es so, dass man eine Tour gemacht hat, um ein Album zu promoten. Heutzutage mit einem neuen Album Geld verdienen? Da kannst du nicht von leben, vor allem nicht als junge Band. Die Verkäufe sind dramatisch im Keller. Bei uns ist das eine andere Nummer, denn das erste Accept-Album verkauft sich immer noch. Wenn man die reinen Studioalben nimmt, kommen wir auf 22, plus den ganzen Zirkus mit Best Of, Liveaufnahmen und hast du nicht gesehen. Da können wir wirklich nicht meckern. Heutzutage besteht das Business aber eher aus Auftritten und Merchandising.

Na ja, da könnt ihr ja ganz entspannt ins Studio gehen und machen, was ihr wollt …

Jaaa, nicht so ganz.

Das Label will ja auch noch etwas verdienen.

Sagen wir mal so: In Zukunft, vielleicht schon zwei, drei Jahren, wirst du kein Label mehr brauchen. Vielleicht noch die Distribution für einige Länder, aber es läuft alles auf Downloads hinaus. Alben wird es in der Form nicht mehr geben, da sind dann einfach neue Songs da. Da gibt es keine zeitliche Bindung mehr, weil du dann einfach neue Songs ins Internet stellst. Für junge Bands ist das ein gutes Forum, denn sie können damit Geld verdienen, weil es ja keine Plattenfirmen mehr gibt.

Na ja, ein Album ist immer noch ein Album. Ich habe keine Lust, ständig rumzusurfen, zu schauen, wo es neue Songs gibt und sie herunterladen. Das Konzept "Album" an sich ist ja nicht schlecht.

Ja, das kann sein, aber so ist halt die Zukunft. Du hörst ja deine Musik auch mit dem iPod. Wenn ich die ganzen Leute über die illegalen Downlods jammern höre – was haben wir früher gemacht? Kam eine neue Platte raus, hat sie einer gekauft und auf 20 Kassetten kopiert. Im Prinzip war das nichts Anderes. Man muss halt lernen, mit dem Medium umzugehen und es zu nutzen. Du hast ja die Möglichkeit, innerhalb von Sekunden Neuigkeiten zu verbreiten. Das wird, wie gesagt, die Zukunft. Davon bin ich ziemlich überzeugt.

Wie ist es eigentlich, wenn du auf der Straße rumläufst? Erkennen dich die Leute und halten dich an, oder hast du eher deine Ruhe?

Sagen wir mal so: Ich bin nicht Robbie Williams, haha. Aber ich werde schon erkannt, ab und zu. Da, wo ich wohne, habe ich meine Ruhe, denn da wissen eh alle, was ich mache. In Köln kommen schon Leute auf mich zu und fragen mich nach einem Autogramm, oder auch, wenn ich in einen Rockclub gehe. Da habe ich überhaupt kein Problem damit. Aber wir sind jetzt nicht so berühmt, dass die Leute anfangen zu tuscheln, wenn wir rumlaufen. Das habe ich zu Accept-Zeiten fast erlebt und da würde ich wahnsinnig. Ich verstehe auch nicht, wie das geht. Da kannst du dich eigentlich nur noch verkriechen, irgendwo auf ein Dorf oder in ein Land, wo dich kein Mensch kennt. Es ist ganz schlimm, wenn du nirgendwo mehr rumlaufen kannst, ohne dass jemand kreischt. Das wäre nicht meine Welt.

Vor vier oder fünf Jahren war hier in Stuttgart ein Konzert von Iron Maiden. In der Stadt waren hordenweise Fans, dennoch saß Gitarrist Adrian Smith am Schlossplatz und hat gemütlich seinen Kaffee getrunken, ohne dass ihn jemand erkannt hätte.

Klar, das kann auch passieren. Manche Leute sind halt markanter als andere. In der Band ist es meistens der Sänger. Aber ich würde echt nicht gerne tauschen mit Leuten wie Robbie Williams oder Tokio Hotel. Da hätte ich echt keinen Bock drauf. So wie es ist, ist's gut.

Heute habe ich festgestellt, dass es auf dem deutschen Wikipedia keinen Eintrag über dich gibt, dafür aber im Englischen.

Aha? Was steht da? Muss ich mal lesen, hehe.

Da stehen jetzt keine wilden Dinge drin, unter anderem dein Geburtsort und dein Geburtsjahr. Und ein Zitat von Sebastian Bach von Skid Row: "He has the most metal name of all time".

Ja , gut! Wenn ich ihn mal treffe, gebe ich ihm ein Bier aus, hehe. Interessant!

Das zeigt, dass du in den USA eine große Fanbasis haben müsst.

Ja, es gibt da erstaunlich viele Bands, die sagen, von Accept inspiriert worden zu sein. Das ist total verrückt, wenn Leute zu dir kommen und sagen "Ja, Thunderball, was für eine geile Scheibe!"

Nicht zuletzt kommt "Balls To The Wall" im Soundtrack zu "The Wrestler" mit Mickey Rourke vor.

Das war auch für uns eine Überraschung. Irgendwann haben wir da eine Nachricht gekriegt. Es war eine gute Sache, denn der Film hat viel Staub aufgewirbelt. Das ist nicht von schlechten Eltern, denn das verbreitet sich dann auch weltweit, der Film ist ja gehypt worden bis zum Abwinken. Wenn auch noch ein Soundtrack rauskommt sagst du dir: "Wunderbar"!

Kostenlose Werbung, sozusagen.

Ja, hehe, da hat keiner was dagegen. Viel kannst du da eh nicht machen. Wenn die Rechte bei der Plattenfirma sind, fragt da die Filmproduktion an und die sagen dann "OK, macht mal". Wir sind in dem Film die einzige deutsche Band, der Rest sind alles Rap und amerikanische Geschichten aus den 80ern. Da dachte ich mir, "nicht verkehrt".

Rammstein waren auch eine Zeit lang Mode in Amerika und sind in mehreren Filmen vertreten, zum Beispiel in David Lynchs "Lost Highway".

Ja, stimmt. Ich bin eh ein großer Rammstein-Fan. Die nehme alle Klischees, die man im Rock nur haben kann, und gehen damit intelligent um. Das funktioniert hervorragend. Außerdem ist die Musik einfach gut, das muss man schon sagen. Die wissen, was sie tun.

Demnächst kommt ein neues Album von ihnen heraus. Tourdaten stehen auch schon fest.

Da bin ich mal gespannt, wie das Album so wird.

Die Erwartungen sind natürlich extrem hoch und schwer zu erfüllen. Außerdem haben sie verdammt anstrengende Touren, mit all dem Feuer und so.

Ja, genau, da frage ich mich auch, wie sie sowas toppen wollen.

Nicht nur: Die Frage ist auch, wie man sich sowas immer wieder antun kann.

Nun ja, das ist halt Showbusiness. Was haben Kiss schon alles gemacht? Stundenlang vorher anmalen und maskieren, boah.

Mit denen ward ihr Anfang der 80er auf Tour, oder? Waren sie da noch geschminkt?

Ne, das war die "Lick It Up"-Tour. Sie hatten zwar immer noch genügend Kleister im Gesicht, aber man konnte sie erkennen. Kiss waren sowas wie unsere Lehrmeister in Amerika. Sie haben uns sehr geholfen und uns beigebracht, wie man auf der Bühne Entertainment macht. Das war sehr hilfreich. Sie sind unglaublich nette Leute. Sie haben uns mal nach Düsseldorf in die Philipshalle eingeladen. Da bin ich mit meiner Frau hingegangen, sie haben uns hofiert und an der Seite der Bühne Plätze gegeben. Gene Simmons ist während der Show zu uns rüber gekommen und hat uns gefragt, ob alles OK sei, ob wir noch etwas zu trinken wollen und so weiter. Da habe ich mir gedacht, "hä"? Das hatte, wie man so schön sagt, Stil.

All die alten Recken haben sowieso ein ganz anderes Denken als die jungen Bands. Das ist nicht böse gemeint. Aber es ist so, dass viele junge Band sich denken, "machen wir mal ein bisschen wie die und ein bisschen wie die anderen". Sie vergessen aber, dass das auch mit Arbeit zu tun hat. Und damit meine ich: richtig Arbeit.

Bei dir wird es aber auch nicht anders angefangen haben, oder? "Ich gründe eine Band, ich hab Spaß", und irgendwann ist etwas Ernstes draus geworden.

Klar, da könnten wir uns stundenlang drüber unterhalten. Nur: Heute gibt es keine Plattenfirmen mehr, die eine Band langsam aufbauen. Uns haben sie damals gesagt: "nach fünf Alben wäre es gut, wenn wir dann schwarze Zahlen schreiben". Den Satz kannst du heute einrahmen. Es ist sicherlich schwieriger geworden, dennoch gibt es noch Möglichkeiten. Etwas Neues zu erfinden geht kaum noch. Keine Ahnung, wie viele Arten von Metal es mittlerweile gibt, wobei ich uns eher als Hardrock-Band sehe. Aber aus all dem, was da ist, kann man immer noch etwas kreieren. Das Wichtigste ist dabei der Sänger. Nicht jeder ist mit einer außergewöhnlichen Stimme gesegnet. Gute Sänger gibt es viele, außergewöhnliche dagegen wenige. Dasselbe gilt für Schauspieler, Schriftsteller oder Maler.

Klar, viele junge Bands sind clever und nutzen YouTube oder MySpace, Plattformen, mit denen manche groß geworden sind. In den Plattenfirmen gibt es Leute, die nur damit beschäftigt sind, rumzuklicken und zu schauen, was es da Neues gibt. Wenn ich aber heute neu anfangen müsste? Ich weiß nicht, ob ich das tun würde.

Dann doch lieber Schreiner werden …

Ja, es ist halt schwierig. Da gebe ich aber auch den Plattenfirmen ein bisschen die Schuld, weil sie einfach ungefähr alles unter Vertrag nehmen. Wenn ich mir in "Rock Hard" oder "Heavy Metal" anschaue, was da alles veröffentlicht wird – das ist Wahnsinn. Vieles davon geht gar nicht und ist Quatsch. Reiner Schrott.

Gut, das war in den 80ern wahrscheinlich nicht viel anders. Bloß erinnert sich keiner mehr an die schlechten 90%. Wenn wir schon dabei sind: Damals hattest du eine Kollabo mit einer Band namens Raven. Von denen habe ich noch nie was gehört.

Die gibt es immer noch. Ich habe ja Accept mit meinem besten Kumpel Michael Wagener gegründet. Er ist später ein erfolgreicher Produzent geworden. 1982 hatten wir zusammen eine Firma und einige Bands produziert. Ich habe mir damals sogar überlegt, mit der Livetätigkeit aufzuhören und mit ihm zusammen weiterzumachen. Dann kriegte er aber Angebote aus Amerika, und das war nicht wirklich nicht meine Welt. Also habe ich mit Accept weitergemacht. So haben sich die Wege in jener Form getrennt.

Sweet Home Wuppertal, sozusagen.

So ungefähr, hehe. Wir sind aber nach wie vor in gutem Kontakt. Ich weiß auch nicht, ob das mit dem Produzieren etwas für mich wäre. Ich kann mir gut vorstellen, mit jungen Bands zu arbeiten, mein Know-How weiterzugeben, wenn sie es denn wollen. Ich habe ja ein eigenes Label und mich mit einigen Bands beschäftigt. Es gab auch welche, die ein tolles Album vorgelegt haben, wo ich nach zwei Stunden Unterhaltung gesagt habe, "ich wünsche euch viel Glück, aber hört lieber auf, Musik zu machen". Es lag an der Einstellung, die konnte man vergessen. Das ist leider bei vielen Bands heutzutage der Fall.

Nach dem Motto: Ich bin ein Rockstar, holt mich hier raus.

Genau darum geht es in "Heavy Metal Heaven" auf dem neuen Album: um Möchtegernstars.

Zum Schluss outen wir uns als Accept-Fans der ersten Stunde und möchten noch zwei letzte Fragen loswerden. Die erste: Wie kamt ihr eigentlich auf "Heidi Heido Heida" als Intro für "Fast As A Shark"?

"Heidi Heido Heida" kommt aus einem sehr bekannten Volkslied, "Ein Heller Und Ein Batzen", komponiert im 18. Jahrhundert. Wir haben damals ein ganz beklopptes Intro gesucht …

… was euch auf jeden Fall gelungen ist …

… ja, jedenfalls hat jemand bei der Mutter von Produzent Dieter Dierks in der Plattensammlung rumgesucht und da war auch eine Single dabei, die er im Alter von zwölf Jahren mit einem Mädchen eingesungen hatte. Jemand hat sie aufgelegt, nachdem wir schon einen ordentlichen Batzen Alkohol getrunken hatten, und dabei ist ihm die Nadel ausgerutscht. Zum Glück hatten wir den Aufnahmeknopf gedrückt. Wir haben uns gedacht, "das klingt so bekloppt, das lassen wir jetzt einfach" und haben uns ewig kaputt gelacht.

Frage Nummer zwei: Was habt ihr euch eigentlich gedacht, als ihr 1982 "London Leather Boys" für "Balls To The Wall" geschrieben habt? Das klingt ziemlich nach Sadomaso-Schwulenszene, mit der ihr aber eigentlich gar nichts zu tun habt.

Ne, damit hat das auch gar nichts zu tun. Da geht es um Rocker, oder eher Biker. Gut, da hat das Marketing eine Rolle gespielt, auch das Cover mit dem Leder und den zwei Kugeln. Damals haben wir uns auch gedacht: "ähem!"

Nichtsdestotrotz: Super Platte!

Ja, da steckte wie gesagt auch gutes Marketing dahinter. Da haben viele gedacht, "oh, Gay Metal kommt jetzt", aber das war gar kein Gay Metal, hehe, das hatte mit einer Rockerclique zu tun. Nichts anderes, aber das weiß man ja mittlerweile. Als wir 1984 zum ersten Mal im Amerika waren, haben wir viel Support gespielt, aber auch eigene Auftritte gehabt, unter anderem in San Francisco. Wir sind nachmittags in den Club und haben Soundcheck gemacht, keiner von uns hat was bemerkt. Da haben etwa 1500 Leute reingepasst und als wir abends auf die Bühne kamen, haben wir uns gedacht, "irgendwas stimmt hier nicht". Hehe. Voller, absoluter Gayclub. Die standen da alle mit ihren Ledermützen. Wir haben uns gesagt, "OK, wir sollten vielleicht noch ein paar Interviews machen". Dann hat sich alles ziemlich schnell wieder im normalen Rahmen bewegt. Das Album war wirklich der Hammer. Damit sind wir in Amerika explodiert. Wir haben 13 Monate dort gespielt, eine Tour nach der anderen. Am Anfang Clubs, zum Ende hin dann als Headliner. W.A.S.P. oder Queensryche, die waren bei uns Support. Das ist gut. Und schön!

Udo, vielen Dank für das lange Gespräch!

Das Interview führten Giuliano Benassi und Jürgen Heiß.

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