laut.de-Kritik

Unter Laborbedingungen hochgezüchtete Popsongs in Ultra-HD.

Review von

Mit "1989" hat Taylor Swift vor einigen Jahren ein perfektes Bubblegum-Pop-Album veröffentlicht und sich endgültig in die Position "Erste Reihe, Fußfrei" katapultiert. Vom vermeintlichen Country-Mädchen von nebenan (sure thing) zum kontemporären Superstar ging die Reise. Jetzt möchte Taytay aber unser Endgame und unsere Endgegnerin sein.

Dass sie (beziehungsweise ihr Team) die PR-Trommel mit dem ganzen modernen Social-Media-Teufelszeug bedienen kann wie nur was, hat die Antizipationsmaschine zu ihrem neuen Album gezeigt. Jetzt geht's um Beef und Neid und Reputation und Trouble und Fame und Gossip, und zwar um Tonnen und Abertonnen davon. Nichts mehr mit Country-Niedlichkeit, Taylor badet in einer Badewanne voller Klunker und schaut dabei sinister und verwegen und diabolisch drein und wünscht ihre Hater im Game zum Leibhaftigen.

Um als Endgegnerin durchzugehen, ließ sich Taylor mit dem nötigen musikindustriellen Kleingeld ein fulminantes Klangkostüm in Super High Definition schneidern, beteiligt Songwriting-Omnipräsenz Max Martin sowie Shellback und Jack Antonoff. Die Erwartungen waren hoch und Swift schließlich auch oft Liebkind und Spleen der Populärkultur-Intelligenzia.

Und siehe da, "Reputation" glitzert auch erwartungsgemäß ganz ordentlich. Ein hochgezüchteter Pop-Zuckerwatteladen, der aber bei all den gekonnten Pop-Manövern und medialen Narrativ eins fast vergisst: die Songs nämlich. Alles ganz nett, die düsteren, zirrenden Synths von "Ready For It", die Vendetta versprechen, die wütende Königin und ihre angebliche Katharsis. Wenn sie böse und fuchsteufelswild ist, dann in den Strophen – den Mega-Chorus (gefertigt auf Flipcharts für die target group) lässt sie sich von der schlechten Laune dann doch nicht verderben.

Swift setzt ganz auf Pop-Modernismen, auf futuristischen R'n'B, auf Hip-Hop und verliert den Song aus den Augen. Irgendwie bringt sie bei allem Rumgeturne die Stücke mit den Refrains zumindest einigermaßen ins Trockene. Das gilt bei "End Game" gleichermaßen wie bei "I Did Something Bad". Mit etwas weniger Gezappel kommt "Don't Blame Me" aus und zündet schneller, ehe Taytay bei "Delicate" auf Autotune-Besinnlichkeit und Atmosphäre setzt. Und auf Gäste wie Ed Sheeran und Future.

Die hall-lastige EDM-Atmosphäre von "So It Goes", die wummernden Synth-Arpeggios von "Gorgeous", die gelegentlichen Autotune-Einsprengsel, die effektreichen Beats, das Glitzern und Surren und Blubbern: Das macht alles schon kurzzeitig satt, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass von diesen unter sterilen Laborbedingungen entworfenen Popstücken am Ende kaum etwas übrig bleibt. Wenig Substanz, wenig roter Faden, nicht einmal viele Refrains oder Hooks, die in Erinnerung bleiben. Und das ist, um die Endgegnerin im Pop zu sein, letztlich einfach zu wenig.

Trackliste

  1. 1. …Ready For It?
  2. 2. End Game (featuring Ed Sheeran and Future)
  3. 3. I Did Something Bad
  4. 4. Dont Blame Me
  5. 5. Delicate
  6. 6. Look What You Made Me Do
  7. 7. So It Goes…
  8. 8. Gorgeous
  9. 9. Getaway Car
  10. 10. King of My Heart
  11. 11. Dancing With Our Hands Tied
  12. 12. Dress
  13. 13. This Is Why We Can’t Have Nice Things

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14 Kommentare mit 17 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Kann der Rezension nur teilweise zustimmen.
    Zum einen empfand ich 1989 nicht als Bubble-Gum Album - Sowas trifft dann eher auf Katy Perry zu. Ich fand eigentlich gerade das dezente bzw die nicht zu übermächtige Instrumentalisierung an dem Album so super. Reputation ist jetzt halt das genau Gegenteil - wuchtige Sounds, überall noch ein bisschen mehr und sehr viel Elektronik. Musste die Songs ein paar Mal hören, find sie mittlerweile aber, bis auf Delicate, alle ziemlich gelungen. Für Pop-Maßstäbe auf jeden Fall ein sehr gutes Album, erinnert teilweise sogar etwas an Melodrama von Lorde. Was jedoch fehlt ist der EINE weltweite Hit, der wochenlang im Radio laufen wird und überall in den Charts zu finden sein wird - das ist aber keinesfalls ein Nachteil.

  • Vor 6 Jahren

    Für ihre Musik wie für sie selbst gilt: :conk:

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.