Am Donnerstag lud Universal Music in Berlin zum Prelistening für das brandneue U2-Studioalbum "No Line On The Horizon". Unser Autor Christoph Dorner hat genau hingehört.

Berlin (laut) - Das neue, zwölfte Album von U2 wirft seinen Schatten voraus. Vier Wochen vor der Veröffentlichung wurde es in Berlin in den edlen Hansa Studios Pressevertretern vorgestellt, wo U2 einen Großteil ihres 1991er-Albums "Achtung, Baby" aufnahmen. Eines steht bereits nach einmaligem Hören unter strengen Sicherheitsvorkehrungen fest: "No Line On The Horizon" ist Superstar und Polit-Aktivist Bono wie auf den Leib geschrieben.

Letztlich ist es seine Stimme, die Berge erklimmt, Seen durchschwimmt und dabei ihren Erzeuger als letztes Braveheart des Pop kultiviert, die U2 zu einer Band larger than life macht. Dabei behilft sich Bono auch diesmal allzu gerne mit dem, was er am besten kann: Gesangspassagen mit 'Woo-Hoo'-Chorussen zu überbrücken. Diesem Urschrei des Pop, einem großen, ausdrucksstarken Nichts. Neun von elf Songs kommen nicht ohne 'Woo-Hoo' aus, sei es in Strophe oder Refrain. Eine wirkliche Neuigkeit ist das aber nicht.

Zahme Experimentierfreudigkeit

Es sind im Vorfeld einige Informationen zu "No Line On The Horizon" durchgesickert: Experimentierfreudiger sollte das Album klingen. Das stimmt - dann doch nur halb. Denn jene Experimente beschränken sich meist auf die ersten wenigen Sekunden eines Songs. Die starten wiederholt mit elektronischen Klangteppichen und interessanten Beatspielereien, die dann zuverlässig von The Edges Gitarre durchschnitten werden und in für U2 typische, amerikanisierte Rocksongs münden.

Bezeichnenderweise atmet vor allem Edges kristallines Spiel immer wieder den Geist von "The Joshua Tree", jenem Album, das U2 den Durchbruch verschaffte. Wer möchte, kann hier sogar ihren Klassiker "I Still Haven't Found What I'm Looking For" im 2009er-Spiegel finden: "Magnificent" heißt der Song - der Überhit des Albums, so viel ist sicher. Bassist Adam Clayton und Schlagzeuger Larry Mullen Jr. sorgen für einen treibenden Rhythmus, außen herum schmeicheln sich Panorama-Gitarren, und Bono besingt mit Zeilen wie "I was born to be with you" die Liebe. So rückwärtsgewandt, aber auch so gut haben U2 lange nicht mehr geklungen.

Die erste Single "Get On Your Boots" kann da nicht mithalten, gerade weil darin das Songwriting der jüngeren Vergangenheit zu sehr durchschimmert. Der Song soll in seiner Ansprache wohl auch eher symbolische Wirkung haben: U2 sind zurück und strotzen in der breitbeinigen Gangart der Queens Of The Stone Age nur so vor Kraft und Selbstbewusstsein. "Vertigo" vom Albumvorgänger "How To Dismantle An Atomic Bomb" hatte die gleiche Botschaft, war aber der bessere Song.

Yes, we can!-Rock in diversen Inkarnationen

Was ist sonst los auf einem Album, das die Produzenten-Schwergewichte Brian Eno, Daniel Lanois und Steve Lillywhite zuverlässig dynamisch gen Horizont preschen lassen? Jede Menge. "No Line On The Horizon" oder "Fez – Being Born" gehen mit Uptempo ordentlich nach vorne, sind mit Piano-Sprengseln spannend arrangiert und setzen auch Bonos Können punktgenau ein.

"I'll Go Crazy If I Don't Go Crazy Tonight" dagegen ist einfallsloser Mainstream-Rock, "Stand Up Comedy" gerät mit seiner Mischung aus Crossover und Funkversätzen doch sehr ins Schwimmen, und "Breathe" versucht holprig, Coldplays Klaviatur ins bandeigene Format zu übersetzen. Gelungen ist dafür Bonos Rollenbesetzung als lonesome cowboy, die das zurückgenommene "White As Snow" und das abschließende Erzählstück "Cedars Of Lebanon" zu atmosphärischen Albumnummern macht.

"No Line On The Horizon" steckt voll druckvollem variationsreichem "Yes, we can!"-Rock, dem ein wenig die herausragenden Melodien abgehen. Ein neues Album (beinahe) ohne Neuigkeiten also? Ab dem 27. Februar kann sich jeder sein eigenes Urteil bilden.

Fotos

U2

U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) U2,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

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laut.de-Porträt U2

Die 80er und 90er Jahre sind aus musikalischer Sicht ohne sie undenkbar, ebenso Live Aid 1985 oder der Begriff Stadionrock. Sie kollaborierten mit B.B.

23 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Zitat (« solche nicht reißbrettroutinbierten geilen nummern wie laugh, i nearly died
    http://www.youtube.com/watch?v=0vpjeYS_6rw
    wären klassiker, wenn man sie vor 20 oder 30 oder 40 jahren veröffentlicht hätte.
    warum?
    nicht etwa, weil die komposition hier nach patina klingt, sondern weil die wahrnehmung der massen immer auf den neuen, neuesten und neuartigsten akt der erfindung des musik-rads wartet.

    mit einer solch tunnleblickenden wahrnehmung (womit ich jetzt nicht dich meine) geht einem aber viel schönes durch die lappen. »):

    Ok, da stimme ich dir zu. Hinzu kommt, dass man von einer "Lieblingsband" sicherlich öfter mal "die gleichen Dinge" hören mag, während man von anderen Bands öfter Neues erwartet.

    Zitat (« Die Medien freuen sich doch am allermeisten, wenn sie ein Album einer "großen" Band zerreißen können.

    Bzw. müssen sie regelrecht fürchten, angestaubt zu wirken, wenn sie es nicht tun.

    Ein "junges" Magazin müsste allenfalls zähneknirschend zugeben, dass die alten Säcke doch noch was hörbares abliefern und gibt vielleicht gönnerhaft 7/10.

    Eine Band wie U2 muss doch geradezu übermenschliches Leisten, um außerhalb der - zugegeben zahlreichen - Alben-Abonnenten noch was zu reißen. »):

    Das stimmt ja nun so nicht. Die letzten U2-Alben kamen doch allesamt sehr gut weg, die Musik läuft im Radio, also ich sehe nicht, dass U2 zerrissen werden.

    Und, was erwartest du denn für Bewertungen von Magazinen? 7/10 finde ich viel, keine Band produziert durchgängig Champions League, auch U2 nicht. Und an der Ausrichtung eines modernen Musikmagazins gibt es eigentlich nicht viel zu kritisieren. Vielmehr finde ich es schade, dass viele in meiner Generation eben nicht ihre Musik haben, sondern sich in den letzten Jahrzehnten wiederfinden. Da helfen Musikmagazine ungemein, der Generation "eine Stimme" zu geben, neue Bands, mit denen sie sich identifizieren können. Daneben kann man ja noch die alten Sachen hören. Zu den übermenschlichen Taten: Ehrlich, U2 können eine CD vollfurzen und das Radio würde es spielen. Das kann so manch andere Band nicht.

  • Vor 15 Jahren

    Ok, hast ja recht, Geheimniskrämerei ist albern. Ich bin '83er Jahrgang und meine ersten Bands, die ich bewusst wahrgenommen habe, sind Oasis, Blur und und und. Die begleiten mich auch heute noch, so wie Dich U2, klaro. Aber ich interessiere mich auch für Madchester, aus dem ja schließlich Britpop entsprang.

    Außerdem höre ich als Gitarrist gern Blues à la B.B. King oder Bluesrock wie Stevie Ray Vaughan, Rory Gallagher und natürlich Rockgitarristen wie Hendrix. The Who, The Doors, Led Zep - alles gern gehört und vor meiner Zeit.

    Ich versuche aber auch immer am Zahn der Zeit zu sein und höre mir gern Interpol, Mars Volta usw. an. Eine gute Alternative für Jugendliche von heute zum Casting-Scheiß. Es gibt weitaus mehr als die alten Hasen (Pink Floyd und Co.) und so viele gute junge Bands, die viel mehr Leute hören sollten.

    Einig sind wir uns sicherlich beide, dass junge Leute gerne gemischt hören dürfen. Auch U2, ich gebe es zu ;-)

    PS: Noch ein schönes Beispiel, bei den Brits wurden Iron Maiden als bester Live-Act ausgezeichnet. Ok, es haben auch viele neue Künstler einen Award bekommen, aber Iron Maiden?! Deren beste Zeiten sind nun wirklich lange vorbei und da finde ich, dürften die Medien halt gerne mal auf junge Bands setzen. Auch, wenn man mit der Auszeichnung wohl das Gesicht der poppig gewordenen Brits wahren wollte.

  • Vor 15 Jahren

    @dein_boeser_Anwalt (« :D

    ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr manch einer sich auf dieses kriterium der "neuartigkeit" versteift. das werde ich auch herrn dorner gern mal fragen, wenn ich ihn mal an der strippe habe.

    kaum jemandem innerhalb des showbiz wird nach einer 30jährigen karriere so beständig der angeblich totale verlust von innovation vorgeworfen, wie man es bei u2 macht.

    von u2 erwarte ich im 4. jahrzehnt echt keine erneute revolution.

    die haben ihren beitrag geleistet und sich mindestens 2mal mutig neu erfunden.

    das stetige chamäleon zu erwarten, würde von wenig sachverstand und unfairer haltung zeugen (hat im rock/popkontext weltweit ausser bowie ohnehin keiner geschafft).

    um so größer die leistung, unter den argusaugen der welt tatsächlich entspannte, charmante rockunterhaltung zu machen, die sicherlich teilweise routiniert rüberkommt, aber noch immer den frischen spaß an der musik erkennen läßt.

    that's it! »):

    Das stimmt, unterschreibe ich.

    Auch wenn der Bono sich zu viel blamiert, U2 haben geile Alben rausgebracht und waren lange mutig. Die letzten 4-5 Alben gingen an mir vorbei, den Kram davor habe ich damals rauf und runtergehört und steh auch heute noch dazu.

    Verdammt, ich hatte mir sogar diese U2-Ringe vom Achtung Baby Cover anfertigen lassen!