Unpolitisch sein ist schwierig in diesen Zeiten: Über 1.400 Personen aus der finnischen Musikindustrie sind gegen Israels Teilnahme am ESC.

Reykjavík (jmb) - Über 1.400 Personen aus der finnischen Musikindustrie haben eine Petition zum Ausschluss Israels vom diesjährigen Eurovision Song Contest unterzeichnet. Die Aktion folgt dem Beispiel isländischer Musiker, die sich im Dezember mit einem gemeinsamen Protestschreiben an den Sender Rúv gewandt hatten. Sollte Israel dennoch an den Start gehen, dann solle der ESC ohne Finnland stattfinden. Nach dem terroristischen Überfall der Hamas am 7. Oktober habe Israel mit einem unverhältnismäßigen Ausmaß an Gewalt reagiert. Mit dem Hashtag #banisraelfromesc bringen israelkritische ESC-Fans seit mehreren Monaten ihren Protest in den sozialen Netzwerken zum Ausdruck.

Der finnische Fernsehsender Yle reagierte mit einem Verweis auf die Position der Europäischen Rundfunkunion (EBU). Diese hält an der Teilnahme Israels fest. Der ESC sei eine unpolitische Mitgliedsorganisation "von Rundfunkveranstaltern, nicht von Regierungen", schrieb die EBU in einer Pressemitteilung. Israel nehme seit 50 Jahren am Songcontest teil, der israelische Sender Kan halte sich zudem an alle Regeln des Wettbewerbs.

Doppelmoral beim finnischen Fernsehsender Yle?

Die Unterzeichner der Petition werfen Yle nun Doppelmoral vor, denn der Sender sei im Februar 2022 ein lauter Befürworter für den Ausschluss Russlands gewesen. Das Land stehe "im Widerspruch zu allen Werten, die Yle und andere europäische Rundfunkanstalten vertreten", kommentierte Ville Vilén, ein Sprecher des Senders, unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Beim Nahostkonflikt handele es sich jedoch um einen anderen Sachverhalt, erklärte Vilén nun gegenüber der finnischen Zeitung Ilta-Sanomat. So grausam die Lage auch sei, es handele sich hierbei nicht um einen zwischenstaatlichen Angriffskrieg.

Der ESC fand letztes Jahr erstmals ohne Russland statt. "Die Entscheidung spiegelt die Besorgnis wider, dass angesichts der beispiellosen Krise in der Ukraine die Aufnahme eines russischen Beitrags in den diesjährigen Wettbewerb den Wettbewerb in Verruf bringen würde", hieß es dazu auf der deutschen Website des ESC.

Israelische Botschaft kritisierte britischen Teilnehmer

Einmal mehr zeigt sich nun, wie schwer das Selbstverständnis des ESC als "unpolitische Veranstaltung" durchzuhalten ist. Bereits im Dezember hatte die israelische Botschaft in London die Auswahl des britischen ESC-Kandidaten Olly Alexander kritisiert, nachdem dieser eine propalästinensische Petition unterschrieben hatte, die die aktuellen Ereignisse als Eskalation des israelischen "Apartheid-Regimes" darstellte.

"Die Entscheidung der BBC, einen Teilnehmer zum ESC zu schicken, der solch parteiische Ansichten zu Israel unterstützt und eine derart entmenschlichende Sprache für Israelis verbreitet, (ist) ein großer Grund zur Sorge", zitieren deutsche Medien die israelische Botschafts-Sprecherin. Auch die Campaign Against Antisemitism hatte die Auswahl Alexanders kritisiert.

"We're gonna stand here like a unicorn"

Im November hat die israelische Sängerin Noa Kirel, die letztes Jahr mit ihrem Song "Unicorn" beim ESC in Liverpool antrat, hat eine melancholische "Hope"-Version des Songs veröffentlicht. Das Musikvideo enthält Fotos der durch die Hamas entführten Geiseln, Videos von IDF-Soldaten und Aufnahmen pro-israelischer Demonstrationen.

Auf Instagram drückt Kirel ihre Solidarität mit Israel aus: "Als ich Israel beim Eurovision mit diesem Lied vertreten habe, hätte ich mir das alles nie vorstellen können. Dann bekam das Lied eine ganz andere Bedeutung. Durch Freude und Trauer werden wir gemeinsam stark gegen die Welt stehen, denn nur so werden wir gewinnen."

Nachdem Loreen im vergangenen Jahr mit ihrem Song "Tattoo" den ESC 2023 für Schweden entschied, wird der diesjährige Wettbewerb in Malmö ausgetragen. Der Contest findet vom 7. bis 11. Mai statt.

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9 Kommentare mit 16 Antworten

  • Vor 3 Monaten

    Also weniger blockvoting aus Skandinavien.

  • Vor 3 Monaten

    Die Aussage von Kirel ist leider ganz gemäß der in Israel typischen, und seit Jahrzehnten in Schulen und Medien propagierten Sicht: "Wir" gegen "die Welt". Wie hierzulande allerspätestens bei den Onkelz usw. klar sein sollte, ist das klar eine rechtsradikale Sichtweise.

    Und so führt eben die überwältigende Masse an Berichten und Beweisen, welche Kommissare der jeweiligen Länder, die UN, sämtliche NGOs vor Ort, der absolute Großteil der Historiker im Laufe der Jahrzehnte gesammelt haben, nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung des Landes zu Erkenntnissen. Nach der faschistischen Denkweise habe sich die gesamte Welt verschworen gegen die einzigen Guten: Rechte Israelis.

    Topic: Es ist eine sehr gute Idee, Israel auszuschließen. Wie zur Zeit vor allem Südafrika (Hauptland z.B. des BDS) bekräftigt, ist ein kultureller Boykott (neben wirtschaftlichen) einer der wichtigsten Hebel gewesen, um die Apartheid zu beenden. Ja, das mag manchen Menschen weh tun, mir auch. Aber gemessen daran, dass Netanyahus Regime zur Zeit komplett ohne konkrete Zielpersonen täglich Bombenteppiche auf Zivilisten abwerfen lässt, ist das ein ziemlich kleines Opfer. Eines, das - soweit ich das anhand meiner paar Kontakte zu linken Israelis beurteilen will - auch in der dortigen Opposition als legitim gesehen wird.

  • Vor 3 Monaten

    Es folgt: Argumentieren nach Ragism, die Viertelvorzwölfte

    Die Aussage von Ragism ist leider ganz gemäß der in Ragismfantasismland typischen und seit Jahrzehnten in Schulen und Medien propagierten Sicht: "Unter Israelis (und Palästinensern?) gibt es Personen, die morden". Wie hierzulande allerspätestens bei Freiwild usw. klar sein sollte, ist das klar eine rechtsradikale Sichtweise. Heißt es doch bei (den Platzbirnen) Freiwild im Lied Terror (Anm.: wie sich nach kurzer Internetrecherche finden lässt, vielleicht gibt es Vergleichbares von den Onkelz):
    "Israelis gegen die Palästinenser,
    unter beiden morden
    fanatische Kämpfer,
    der Sold ihres Daseins
    ist ihr erbärmlicher Tod"

    Und latürnich sind die Situationen in Südafrika und Israel "voll auf Linie", sodass latürnich dieselben Maßnahmen zu ergreifen sind ...

    • Vor 3 Monaten

      Wenn Du Dir selbst ins Bein schießt, nimmt mir das die Mühe ab. Danke an der Stelle :)

      So viel noch: Ach, woher wollen Südafrikaner denn eigentlich wissen, was Apartheid ist?

    • Vor 3 Monaten

      das hat denen dieser mandela in den 1970er jahren erklärt

    • Vor 3 Monaten

      Horst Mandela, fränkischer CSU-Abgeordneter beim Besuch von Kapstadt '73. Stimmt.

    • Vor 3 Monaten

      Naja, weil sie sie erfahren haben und sich damit auskennen. Hat einer was anderes behauptet?

      Weißt du, deine inhaltliche Haltung ist nicht das Problem, dein Engagement finde ich grds. gut (auch wenn ich bei Punkten nicht mitgehe, aber was soll‘s, so ist das mit der Meinungsfreiheit. Die „bräuchten“ wir nicht, wären alle immer derselben Meinung). Dein apodiktisches Getue von oben herab, dieses wirklich alberne „meine Meinung ist die einzig richtige und ihr seid alle Idioten und das sage ich euch ganz oft hintereinander“ verhindert letztlich sogar die Auseinandersetzung in der Sache bzw. die Auseinandersetzung mit Punkten, die du zu recht vorbringst. (Meine Art ist leider oft auch nicht gut, denn ich flüchte mich viel zu oft in blöde unsachliche oder in nur vermeintlich lustige Kommentare; aber hey, ich bin mir dessen immerhin ansatzweise bewusst.)
      Nix für ungut, Hase, alles halb so wild.

    • Vor 3 Monaten

      Logisch schieße ich auch mal übers Ziel hinaus, keine Frage. Ich finde nur das große Schweigen, das Abhandensein von Haltungen, angesichts einer großen Offensichtlichkeit absolut erschreckend. Da muss ich mich wirklich fragen, was die IDF und die israelische Regierung eigentlich noch alles öffentlich sagen, und jeden verfluchten Tag tun sollen, um eine Reaktion in den Deutschen auszulösen. Ich will mir das, ehrlich gesagt, nicht ausmalen.

      Die Ansicht "hm, es ist eben kompliziert, und da gibt es nun mal zwei Seiten, ach herrje" verstört mich ehrlich gesagt ähnlich stark wie die Israel bejubelnde AfD-Neocon-10-Augen-um-ein-Auge-Fraktion. Mir liegt hier weniger an historischen Vergleichen, wie leicht es der deutschen Öffentlichkeit fällt, Unerträgliches zu kompartmentalisieren und wegzuschieben. Ich bin nur ganz individuell und persönlich enttäuscht. Und selbst wenn da ein Ragism angeblich "von oben herab" schreibt, ist das für mich kein guter Grund, keine Haltung zu zeigen.

      Davon abgesehen finde ichs ganz schick, daß Du Dir trotz der Zuschreibung in meine Richtung, ich halte mich für allwissend oder oberklug, einen Zacken aus der Krone gebrochen hast und mir das Patschehändchen reichst :)

    • Vor 3 Monaten

      "Dein apodiktisches Getue von oben herab, dieses wirklich alberne „meine Meinung ist die einzig richtige und ihr seid alle Idioten und das sage ich euch ganz oft hintereinander“ verhindert letztlich sogar die Auseinandersetzung in der Sache bzw. die Auseinandersetzung mit Punkten, die du zu recht vorbringst."

      Word. Ist ja auch in jeder Diskussion, egal ob es um Musik oder Nahost geht, der einzige Kritikpunkt an Ragismo, dass er einfach nicht in der Lage ist für die Predigt vom hohen Roß zu steigen.

    • Vor 3 Monaten

      Wirklich mal eine gute Diskussion hier in dieser Runde. Genau, wenn wir es schaffen, uns hier, trotz der verschiedenen Meinungen,die Patschehändchen zu reichen, so habe ich auch Hoffnung für alles andere!. Peace!

    • Vor 3 Monaten

      Bin unsicher, ob ich mit der alten Kamelle vom hohen Roß etwas anfangen kann oder sollte. Für mich kommts immer auf die Absicht an, weniger auf die Empfänger. Und da weiß ich, daß ich mich nicht überheblich oder oberschlau fühle.

      Und ich bin nicht sicher, worin der Gewinn liegen soll, eine starke Meinung zu beschneiden, damit sich der geringste Anteil an Menschen daran störe. Diese Vorsicht ist eine der deutschen Gewohnheiten, die ich nicht nachvollziehen kann. Zumal ich seltenst unfreundlich bin oder die Person angreife - das machen eher die im Selbstverständnis "Besonnenen", "Abwägenden". Für mich bringt es Lebendigkeit, sich zu zeigen, und da lehne ich mich lieber etwas mehr aus dem Fenster als daß ich die Gardinen zuziehe.