laut.de-Kritik

Keine Macht dem Proletariat!

Review von

Wenn das Volk feiert, dann aber volkstümlich: so erklärt sich der Erfolg des DJs von der Alm. Und wenn die Deutschen schon feiern, dann das ganze Jahr durch: zuerst, klar, Fastnacht, Fasching, Karneval, dann folgt die Mallorca resp. Ballermann-Saison, sodann im Herbst das Oktoberfest und im Winter die Aprés-Ski-Party in der Alpenhütte. Ein Lied schaffte es locker, diesen Zyklus unbeschadet als Gassenhauer zu überstehen: "Anton aus Tirol", der meistverkaufte österreichische Hit ever. Da legt die Plattenfirma mit DJ Ötzis zweitem Album gerne nach. Den Hit dazu gibt es seit dem letzten Oktoberfest mit "Hey Baby" ja auch schon.

Zur Qualität des Albums lässt sich nur eines sagen: Die Masse bekommt, was sie fordert. Warum, so denken sich die cleveren Produzenten von ultimatief (tiefstes Niveau?), sollen sie teuer produzieren, warum mehr als drei Töne verwenden, warum einen Text kreieren, der mehr als eine halbe Gehirnhälfte fordert, wenn die Masse das Produkt auch so frisst. Und der Geldbeutel wird ihnen natürlich recht geben und ich kann nur noch erstickt schreien: "Keine Macht dem Proletariat!" Denn schon nach kurzer Zeit des Konsums dieses Machwerks ersteht vor dem inneren Auge ein Gruselkabinett ohnegleichen - die Assoziationen drängen sich förmlich auf, ja, dieses Album klingt wie eine gelungene Mischung aus den Wildecker Herzbuben, den Venga Boys und Dieter Bohlen. Nur dass DJ Ötzi weder 250 kg wiegt noch in seinen Videos Dauererektionen stattfinden, und er auch kein Teppichluder besitzt. Dafür ist er aber genau wie oben Genannte so dreist, seine Musik ungestraft auf die Menschheit loszulassen, und dies meist bei Menschenansammlungen größeren Ausmaßes (Partys, Volksfeste s.o). Eine Dauerbeschallung von klein auf, die, denkt man an Aldous Huxley, bestenfalls zu gehirnverbrannten Epsilons führen kann.

"Do Wah Diddy" ist gleich zu Beginn ein Gassenhauer mit originellem Disco-Gestampfe im Hintergrund, aber, natürlich, hitverdächtig. Mit "Cheerio" folgt Volksmusik im Disco-Beat-Gewand, aber wenigstens "Was Liebe war, muss Liebe bleib'n" ist ein astreiner Patrick-Linder-Verschnitt. Ohne eine Kristallkugel zu besitzen kann man prophezeien, dass "My bonnie is over the ocean" garantiert die Charts stürmen wird: Das Lied ist alt, jeder hat es schon zigfach gehört und kann es singen, der Rhythmus ist locker mitklatschbar, und es gibt Passagen zum Losschreien. Kostprobe: "My bonnie is over the ocean...", alle: "Ocean", in bester Scooter-Manier. Auch der Titelsong "Love, Peace & Vollgas" ist ein Toplied für die Karnevalsaison, kein Wunder eigentlich, bei zwei Promille im Blut fragt sich keiner mehr, woher der plötzliche Brechreiz kommt.

"Don't you just know it" fragt DJ Ötzi, doch, ich weiß es, bei diesem Song haben sich nämlich genau die zwei Richtigen gefunden. DJ Ötzi im Duett mit Captain Jack, wenn das mal keinen MTV-Award verdient hat. So richtig eins drauf setzt die Plattenfirma dann natürlich bei "Anton aus Tirol". Hier hat wohl jemand der Zugkraft neuer Songs nicht ganz getraut. Die "Kinderversion" mit Knabenchorunterlegung und einer zarten Kinderstimme, die fordert: "Starker Bue von Dir krieg ich nie gnue" ist sicher für besonders veranlagte Bevölkerungsgruppen eine interessante Neuerung, aber nicht wirklich originell.

Aber wie schon DJ Ötzi selbst sagt: "Was is so schlecht an einem Bierzelt voller jubelnder Bauern? Bin i doch selbst a Bauer", so findet schließlich jede Musik ihre Abnehmer. Viel Spaß damit, aber bitte ohne mich.

Trackliste

  1. 1. Do Wah Diddy
  2. 2. Cheerio (Tiroler Are True)
  3. 3. Little Suzie
  4. 4. Was Liebe war, muss Liebe bleib'n
  5. 5. My bonnie is overe the Ocean
  6. 6. Megaman
  7. 7. Love, Peace & Vollgas
  8. 8. Die 7 Zwerge
  9. 9. Loop Di Love
  10. 10. Hey Baby (zwei, drei, vier...)
  11. 11. Gebt mir ein Zeichen
  12. 12. Don't you just know it
  13. 13. Anton aus Tirol (Kinderversion)
  14. 14. Mei Heimat

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT DJ Ötzi

Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind: Gerade ist Gerry Friedle noch ganz unten und schnorrt sich als Stadtstreicher täglich ein paar Schillinge …

Noch keine Kommentare