laut.de-Kritik

Take your lonely heart and let it fly!

Review von

April 2017: Kai Wingenfelders Charakter-Röhre erschallt zu ungewohnten Vaudeville-Klängen. "My Little World" ("Brilliant Thieves" 1997) ist ein perfekter Opener. Zwischen "Sun Shine" und niedlichen "Piggies playing in the dirt" zerplatzt die idyllische Seifenblase recht schnell als Illusion. Ein Song, der erst im dystopischen Heute als tolle Nummer zwischen Sarkasmus und wünschenswerter Utopie rangiert. Was für ein Auftakt der Schlachtrösser!

Fury In The Slaughterhouse erstehen auf aus der Asche ihrer Auflösung. Eigentlich ist seit 2008 Schicht im Hannoveraner Schacht. Doch zum 30. Geburtstag schenken sie den Fans einen Akustik-Gig im legendären Hamburger Grünspan. Die Platte ist gleichzeitig Soundtrack zur parallel erfolgenden Jubiläums-Tour.

Das launige Konzert mit Gästen wie Wolfgang Niedecken (Bap), Mousse T oder John Watts (Fischer-Z) wuchert recht deutlich mit den Stärken der Band. Eine davon ist ihre stilistische Flexibilität auf hohem instrumentellen Niveau. So ändert sich mit jedem neuen Spielzeug ebenso der jeweilige Songcharakter. In dieser Disziplin ragt Gitarrist Christof Stein-Schneider (u.a. auch Projekte mit Ton Steine Scherben oder Stoppok) heraus. Sobald er zu Trompete oder Harmoium greift, verleiht er den Liedern ungeahnte neue Facetten.

So halten sich Kritikpunkte in Grenzen. Die Sprecheinlagen funktionieren nur beim ersten Hören. Danach stören sie den Fluss. Man wünscht sich rasch, sie wären überspringbar. Bezüglich der Songauswahl braucht man die Skiptaste auch ein paar mal. Nicht jeder Track trifft ins Schwarze.

"Words" etwa ist für Furys kompositorischen Verhältnisse höchstens routinierter Stino-Rock. Dessen landeierndes Allerwelts-Arrangement gen Heugabel-Country macht es nicht besser. Das schlimm betuliche Cure-Cover "Boys Don't Cry" ist ebenso keine Visitenkarte.

Doch in den allermeiste Momenten veranschaulicht das Quintett, warum es in seiner besten Zeit zu den wenigen international relevanten deutschen Acts gehörte. Das songwriterische Niveau mancher Fury-Evergreens ist schlichtweg erstaunlich. Aus der Fohlen-Zeit überzeugen hier besonders die drei Nummern ihres starken 1987er Debüts. "Won't Forget These Days" etwa bleibt ein cooler Bastard aus Indierock und Stadionhymne. Besonders schön im Kontrast zum souverän inszenierten Spannungsbogen von "Time To Wonder" und dem derben "Cry It Out". Wer diese Nummern hört, versteht, warum FITS neben Boa oder Element Of Crime zum deutschen Alternative-Rock-Urgestein gehören.

Noch bemerkenswerter ist gleichwohl die tiefgründige, emotiomnale Intensität der Furys in den ruhigen Momenten des Konzerts. Wer sich den totalen Gefühlskick geben möchte, pfeife auf die vorgegebene Reihenfolge und genieße ihre mitreißenden Mondlicht-Balladen "Things Like This" ("The Color Fury" 2002), "In Your Room" ("Mono" 1993), "Down There" ("The Hearing And The Sense Of Balance" 1995) und das beliebte "Trapped Today, Trapped Tomorrow" ("Hooka Hey" 1991) als Playlist am Stück.

Im neuen, intimen Soundgewand schillern diese Killer berückender denn je. Zwischen einem Hauch verregneten Film Noirs und einem Quäntchen trockener Wüsten-Atmosphäre reihen Fury hier die Perlen ihrer Karriere aneinander.

Doch sogar über diesen scheinbar kaum steigerbaren Passagen schwebt ihr ultimativer, ewiger Übersong: "Radio Orchid" vom 1993er Erfolgsalbum "Mono". Die Storyline des Liedes fungiert als rührender Nachruf für alle geliebten Verstorbenen. Die Melodie bildet eine der innigsten Feuerzeug-Nummern der 90er. "Take your lonely heart and let it fly!"

Trackliste

  1. 1. My Little World
  2. 2. When God Goes Home
  3. 3. Words
  4. 4. Dancing In The Sunshine Of The Dark
  5. 5. Last Order
  6. 6. Bar Des Boulistes
  7. 7. Every Generation Got Its Own Disease
  8. 8. Then She Said
  9. 9. Things Like This
  10. 10. Protection
  11. 11. When I'm Dead And Gone
  12. 12. Dance on the Frontline
  13. 13. Radio Orchid
  14. 14. Cry It Out
  15. 15. In Your Room
  16. 16. 30 (It's Not Easy)
  17. 17. Seconds to Fall
  18. 18. Boys Don't Cry
  19. 19. Won't Forget These Days
  20. 20. Down There
  21. 21. Milk And Honey
  22. 22. Time To Wonder
  23. 23. Trapped Today, Trapped Tomorrow

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