3. April 2024

"Die Kinder roasten mich eh jeden Tag"

Interview geführt von

Der Gitarrist und Sänger der Noise-Band USA Nails erklärt die Ähnlichkeit zwischen Musikern und Kindern, die Schattenseiten von Social Media und warum Waschsalons Hoffnung vermitteln.

Interviews um 22 Uhr deutscher Zeit. Schuld daran ist nicht einmal die kleine Zeitverschiebung zwischen Kontinental-Europa und England. Viele Indie-Musiker müssen heute neben dem Musiker-Dasein einem Hauptjob zum Broterwerb nachgehen und so bleiben eben nur Interview-Slots am späten Abend. Steven Hodson, Sänger und Gitarrist der Noise-Punks von USA Nails, beantwortet trotzdem höflich alle Fragen, auch wenn sein Lehrer-Beruf ihn am nächsten Tag wieder früh in Anspruch nimmt.

Hey Steven, du kommst gerade von der Arbeit. Ist das nicht frustrierend, wenn man nicht von seiner eigentlichen Passion leben kann?

Ehrlich gesagt möchte ich gar nicht mehr von der Musik leben müssen wie früher (lacht). Ich bin mit meinem Job als Lehrer glücklich. Musikmachen ist in erster Linie Spaß und bringt einen mit Leuten zusammen. Ich weiß nicht, ob es wirklich so gut ist, wenn es dein Job wird und damit auch das Aufregende verliert. So war es jedenfalls damals bei mir. Ich mache Musik auch als eine Art Eskapismus.

Lehrer klingt ja auch aufregend und anspruchsvoll. Wir leben in nicht gerade einfachen Zeiten und du unterrichtest kleine Kinder. Bemerkst du bei ihnen schon eine gewisse Form der Angst?

Ach nee, die sind noch wirklich sehr, sehr jung und streiten sich meistens um ihr Spielzeug. Es sind kleine, egozentrische Menschen - eigentlich so ähnlich wie Musiker.

Im Grunde genommen auch kleine Anarchisten.

Ja, schon. Sie kümmern sich jedenfalls nicht sonderlich um Regeln.

Vielleicht auch das perfekte Konzertpublikum für eure Art Musik?

Ja, denke ich mir auch. Wir haben sogar mal ein Konzert für Kinder gespielt. Ein Gefallen für einen Freund, so ein Tagesevent. Wirklich ein netter Spaß und die Leute fanden es toll. In England gibt es auch immer mehr solcher Kinderkonzerte. Und wie ich es mitbekomme, haben die Bands dabei ebenfalls viel Vergnügen und es scheint ganz gut zu laufen.

Kinder haben noch keinen Filter und sind eigentlich liebenswert. Im Gegensatz zu mürrischen Fourtysomethings wie mir, der immer mehr vor sich hin grummelt und alles doof findet. Es gibt ja auch das Klischee, dass Menschen, die wütende Musik machen oder konsumieren, privat ganz nett sind.

Ich würde keinen aus unserer Band als privat ärgerlichen Typen beschreiben, wir sind alle ganz nette, mittelalte Typen, ziemlich entspannt und auch ganz lieb. Wir mögen halt einfach laute Musik. Auch wenn du kein aggressiver Typ bist, kannst du in der Musik gut den Frust rauslassen, ohne dabei jemanden zu verletzen. Wir alle sind mit lauter Rockmusik groß geworden. Die lief bei meinem Vater den ganzen Tag, so bin ich da reingekommen. Es war ganz normal, diese Musik zu hören. Es ist bei mir leider nur weniger geworden, seitdem ich Tinnitus habe.

Uh, das tut mir echt leid! Ich kenne auch ein paar Menschen mit dieser Krankheit und gerade Schlafen ist mit diesem Dauerpiepsen im Ohr eine Herausforderung. Sie benutzen dafür so eine Art Hintergrundrauschen, um das nervige Geräusch zu übertönen.

Ich bin nicht besonders verbittert. Ich war es vielleicht am Anfang, aber irgendwann gewöhnt man sich eben an das ständige Pfeifen. Und wenn ich überhaupt keinen Schlaf finde, schaue ich mir die alte TV-Serie "The Joy Of Painting" mit Bob Ross an und kann dazu wunderbar runterkommen.

Vielleicht gibt eure laute Musik anderen Menschen Tinnitus.

Haha, na das hoffe ich mal! Wieso nicht?! (lacht)

Allgemein genießt laute, frustrierte oder wütende Musik nach meinem Empfinden gerade keinen so hohen Stellenwert, oder? Die meisten Künstler versuchen derzeit eher Middle Of The Road wie Taylor Swift zu sein. Möglichst wenig anecken, leicht konsumierbar.

Ich weiß nicht, es gab immer schon laute, wütende Musik. Aber tatsächlich war sie eine Zeit lang nicht mehr so angesagt, kommt dann aber in einer Art Wellenbewegung wieder nach oben. Ich denke da an Mitte oder Ende der 90er Jahre, wo Punk und Hardcore-Musik durchaus populär war. Momentan findet härtere Musik wieder mehr Akzeptanz, der Sound ist allerdings zunehmend glatter und zugänglicher. Das ist okay so, diese neuen Rockbands haben eben eine andere Herangehensweise. Wir hatten es auch nie darauf angelegt, das Image der wütenden Typen zu bekommen. Wir haben einfach die Musik gemacht, die wir mögen und anfangs wollten wir uns nicht lange mit Songwriting aufhalten und alles schnell raushauen. Unser Style ist also eher aus einer Art Notwendigkeit heraus entstanden und unser Equipment hat nicht viel mehr Möglichkeiten angeboten.

Ihr habt mal gesagt, dass ihr euch selbst wundert, wie lange ihr mit dieser Herangehensweise schon durchhaltet.

Ja, weil wir unsere Musik eben nicht als Job betrachten. Vielleicht wäre unsere Musik auch anders geworden, wenn wir davon hauptberuflich leben müssten. Wir müssen keine Kompromisse eingehen und überlegen, wie wir einen Song marktgerechter gestalten, damit er mehr Geld einbringt. Wir können ohne besonderen Druck ein Album mit zehn Songs schreiben und schnell veröffentlichen.

"Social Media ist so faszinierend wie abstoßend"

Auf eurem neuen Album "Feel Worse" geht ihr in "Beautiful Eyes!" ziemlich hart mit Social Media ins Gericht. Andererseits: Wir haben alle einen Account, konsumieren und sind damit nicht ganz unschuldig an dem Problem. Irgendwie bleibt es eine Art Hassliebe, von der man nie weg kommt, oder?

Die Initialzündung für den Song war eher diese Meme-Culture. Gareth hat den Song geschrieben und ist ziemlich drin im Thema. Er hat selber auf Instagram so eine Meme-Page namens "Oates Pointing At Things", wo er so lustigen Kram über John Oates von Hall & Oates (Popgruppe der Achtziger mit Hits wie "Maneater", Anm. d. Red.) postet. Aber ich verstehe was du meinst. Wir haben uns auch schon früher mit Social Media auseinander gesetzt und ich persönlich finde es gleichermaßen faszinierend wie abstoßend. Aber ja, auch ich bin auf Facebook und Instagram. Und immer wenn ich das mal kurz zumache, spüre ich sofort wieder das Bedürfnis reinzuschauen. Du brauchst heutzutage als Band all diese Kanäle, um auf deine Musik aufmerksam zu machen und in Kontakt zu bleiben. Solche Accounts musst du dann auch verwalten und administrieren. Auf Insta habe ich auch einen privaten Account und verfalle in dieses Doom-Scolling, wo ich mich dann später frage: Was zum Teufel machst du hier gerade eigentlich?

Es gibt da ein riesiges, nahezu endloses Angebot an teilweise lustigem und merkwürdigem Kram. Wie eine nie endende TV-Show, die dir nonstop leichtes Entertainment bietet, dazu kommt noch ein Filter, der dir anhand deines Nutzerverhaltens alles schnell alles nach deinen Vorlieben zusammengestellt. Es ist absolut bizarr. Andy Warhol sagte es schon vor Jahrzehnten voraus: Irgendwann hat jeder von uns diesen Fame-Moment. Nun ist er Wirklichkeit geworden. Es geht gar nicht mal um Sinnhaftigkeit, du musst nur schnell genug sein, einfach stattfinden und nonstop Content anbieten. Du bemerkst die negativen Sachen dieser Entwicklung jeden Tag, aber es gibt natürlich auch diese schöne Meme-Seite von Social Media. Du bekommst über diesen kleinen Smartphone-Bildschirm das volle Angebot an Tragik, Ekelhaftigkeit, Slapstick und Comedy. Letztendlich kommt es auf unseren persönlichen Charakter an, für welchen Teil wir uns entscheiden und konsumieren. Und du kannst das Phone auch mal weglegen.

Ein negativer Aspekt der heutigen Medienlandschaft inklusive Social Media ist die Schadenfreude. Als Deutscher kenne ich natürlich diesen Ausdruck, aber ihr habt ihn nun auch für euer Album verwendet.
Ja, diese spezielle Freude an dem Leid anderer Menschen. Der Begriff hat ganz gut gepasst, um das Konzept der Platte zu erklären. Bisher hatten wir eigentlich nie bewusst ein übergeordnetes Thema oder ein Konzept. Die einzelnen Song-Themen kamen eher spontan heraus und standen jeweils für sich. Das hat soweit auch immer ganz funktioniert. Das ist dieses Mal anders, wahrscheinlich auch weil ich nicht mehr in London lebe. Unser Bassist kam mit dieser Idee als erstes um die Ecke und wir sind sofort drauf angesprungen. Und irgendwie taucht sofort dieses Social Media- und Reality-TV-Thema auf. Diese klassischen Talkshows, in die Menschen aus verschiedenen Gründen gehen. Manche Menschen suchen erstmal dieses Spotlight, manche in naiver Hinsicht aber auch einfach Hilfe. Doch darum geht es nicht, sondern wie man Leute vorführt, damit der Zuschauer eine Art wohligen Ekel empfindet, wenn diese Menschen erniedrigt werden.

Social Media ist da sehr ähnlich. Es gibt dort auch diese Art "Lad Culture", wo man zum reinen Entertainment die Gefühle oder Eigenarten anderer Menschen lächerlich macht. Das findet natürlich nicht jeder Insta-Nutzer automatisch toll, aber es gibt doch eine Vielzahl an Menschen, die darauf abfahren, wenn Menschen als reines Unterhaltungs-Spielzeug benutzt werden und man ihnen die Würde nimmt.

"Die Menschen sind heute feinfühliger"

Der Begriff "Lad Culture" dürfte eventuell Menschen meiner Generation aufgrund von Britpop noch ein Begriff sein. Könntest du ihn dennoch für alle anderen nochmal genau definieren?

"Lad Culture" bezeichnet diesen übermännlichen, prolligen Typ, der gerne vermeintlich Schwächere fertig macht oder sich toll dabei fühlt, wenn er ältere Menschen dumm provoziert. Und wenn man ihn darauf anspricht, wie sehr sein Verhalten abnervt oder Menschen verletzt, lacht er nur dumm und findet, dass es dein verdammtes Problem ist. Ich hatte dazu ein Interview mit einem amerikanischen Journalisten, der meinte, es wäre doch okay, weil die Opfer damit einverstanden wären. Aber für mich wird am Ende ein Mensch nur aus reinem Entertainment und zur Belustigung verspottet. Man kann das Ganze in Amerika auch etwas mit der Roasting Culture vergleichen.

Mir fällt gerade ein, dass Guy Garvey von Elbow Anfang der Nullerjahre mal Robbie Williams als typisch für diese Lad-Culture bezeichnete.

Also, da bin ich mir nicht so sicher. Er wollte sich wohl eher wie ein Lad benehmen und sich an diese Klientel ranwanzen. Ich würde sagen, dass die Lad-Culture mittlerweile kaum noch relevant ist und nicht mehr so prominent ist wie damals. Vielleicht noch in der Fußballkultur. Wahrscheinlich auch, weil die Leute heute generell, mal abgesehen von einer gewissen Klientel auf Social Media, feinfühliger miteinander umgehen als noch in den 90ern oder auch Nullerjahren und die Gefühle anderer ernst nehmen. Das sehe ich dann doch als sehr positive Änderung in unserer Gesellschaft.

Verstehe und ein Roast wäre auch so gar nichts für dich? Nicht einmal von den Kindern in deiner Schulklasse?

Nein, absolut nicht und die Kinder roasten mich eh jeden Tag. (lacht) Aber vielleicht mag ich dieses Roast-Ding allgemein einfach nicht, weil ich nicht dieser Typ bin, der ständig Leute nervt.

Du sprachst eine positive Veränderung in der Gesellschaft an. Nun mache ich mir schon fast Sorgen, wie das nächste Album klingen könnte.

Haha, vielleicht steht wirklich bald unser großes Spaß-Album an. Aber tatsächlich sprechen uns Leute in Interviews immer darauf an, wie wütend und ärgerlich wir aufgrund der Songs wirken und dass wir wohl ziemliche Schwarzmaler sein müssen. Nee, überhaupt nicht. Wir haben bei den Aufnahmen extrem viel Spaß und auch sonst steckt eine gute Portion Humor in den Texten.

Und trotzdem gibt es immer genügend Stoff, der einen frustriert. Gerade hier in Deutschland ist die Unzufriedenheit mit der Politik derzeit wieder ziemlich hoch. Die Politiker hingegen versuchen, die Leute gegeneinander auszuspielen und gerade ärmere Menschen als Sündenböcke oder Schmarotzer des Sozialstaates hinzustellen.

Ja, genau wie in England. Eigentlich tun alle Parteien schon seit den Thatcher-Jahren nicht mehr viel, egal ob Labour oder die Konservativen. Du hast auf dem Wahlzettel unterschiedliche Parteien, aber letztendlich gibt es keine Unterschiede mehr.

Ich möchte dich zum Schluss noch nach der Idee des Artworks fragen. Dieser leere Waschsalon erschließt sich mir im Zusammenhang mit dem Albumtitel nicht.

Wir hatten erst ein paar Fotos für das Albumcover geschossen und Gareth wollte erst das Foto von dem zerstörten Keyboard, was nun auf der Rückseite ist. Mir gefiel das Waschsalon-Foto besser, auch weil ich dort früher häufig meine Zeit totgeschlagen habe. Genau dieser Waschsalon befindet sich in der Nähe von Gareth, der dort das Video zu "Sun In The Sands" aufnahm. Du kommst in solchen Läden schnell mit Menschen ins Gespräch. Fast wie eine Art Hotel-Lobby oder eine Bushaltstelle, wo Leute von verschiedenen Orten zusammenfinden. Da ergeben sich manchmal schöne oder auch verrückte Unterhaltungen. Es symbolisiert also etwas Positives, ein Gemeinschaftsgefühl.

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