laut.de-Kritik

Man fühlt die Lebenszeit förmlich die Schläfen hinabtröpfeln.

Review von

Vorhang auf für "ATUM - Act I" (gesprochen wie autumn) von (The) Smashing Pumpkins. Richtig gelesen, nur der erste Akt von dreien, physisch und komplett erscheint das Ganze am 23. April 2023. Dazu sind im finalen Boxset noch zehn zusätzliche Songs dabei, quasi "Act IV". Act II erscheint dazwischen digital am 31. Januar. Alle Klarheiten beseitigt? Gut! Was soll schon schiefgehen, "CYR" setzte die Messlatte ja nicht besonders hoch. Und: Der "ATUM"-Komplex ist laut Corgan immerhin der Nachfolger zu "Mellon Collie And The Infinite Sadness" und "Machina/The Machines of God".

Um ehrlich zu sein kenne ich vor allem das erste Album ganz gut, aber dass dort die Wesen "Zero" und "Glass" irgendwie miteinander agierten, das hatte ich anscheinend verpasst. Jedenfalls ist jetzt einer der so einfallsreich Benannten wohl wieder am Start, heißt nun aber "Shiny". Dazu fällt einem dann auch wenig ein, wirkt wie ein Kindercover der auch schon dämlichen Coheed & Cambria-Story. Aber musikalisch sind die beiden Alben ja nicht die schlechtesten Paten.

Nur, sind sie das wirklich oder labert Billy in seinem Wahn nur unabsichtlich PR-Sprech? "ATUM" ist ein so fürchterlicher Beginn, so lieblos, so hingerotzt und gleichzeitig prätentiös, dass man den Song kaum zu fassen bekommt. Wie hört sich Eitelkeit an? Der Sound hat wieder mehr Rock als "CYR", ist aber insgesamt immer noch eine starke Keyboard-lastige Angelegenheit. Alles ist zeitlupenschnell, zieht sich dahin, nimmt sich bedeutungsschwanger Zeit, dass man die Lebenszeit förmlich die Schläfen hinabtröpfeln fühlt.

"ATUM - Act I" aus dem Regal zu stehlen ist fast schon ein samaritischer Akt, schützt er Mitmenschen doch vor Machwerken wie dem Feenporno "Embracer" oder dem vermeintlichen Schweinerock "Beyond The Vale" samt Lasergeräuschen, der jedem Hawkwind-Fan die Tränen in die Augen treiben wird, und, es geht immer schlimmer: Der Musikantenstadl-Track "Hooray!", bei dem ich erst nach Vergleich mehrerer Streamingportale und der Promo glauben konnte, dass es ihn wirklich gibt. Das könnte der schlechteste Song sein, den ich jemals gehört habe. Es klingt wie Satire, so diffus und gleichzeitig simplifiziert ist diese Non-Musik.

Dem ganzen Album haftet ein Duft an, als hätte sich Glenn Danzig vor einer Musikhochschule den Kopf gestoßen, Amnesie bekommen, sich in seiner Verwirrung dort immatrikulieren lassen und diese Songs als vermeintlich avantgardistische Hausarbeiten eingereicht. "Butterfly Suite" kann mit seinen Chamberlin-typischen Drums nur teilweise versöhnen, nach einem Drittel ist jede Eleganz verflogen und Billy dreht mit Vorliebe um sich selbst, ohne dem Song vom Fleck zu helfen.

"Hooligan" ist noch eines der Album-Highlights, weil man Corgan vernünftig versteht und sein seltsames Organ immer noch einzigartig ist; der Rest des Songs ist aber Müll. Die Ballade "Where Rain Must Fall" trieft zwar wie alles hier vor Schmalz, ist aber irgendwie noch okay, da der Keyboard-Beat nett ist und Katie Cole und Sierra Swan als Background-Sängerinnen zu hören sind. Der 80s-Scifi-Hit "The Gold Mask" ist wiederum so unfassbar konsequent umgesetzt, dass er fast schon wieder geil ist - aber halt nur fast, unter anderem Chamberlins doofes Bassgestampfe erdet den Hörer wieder. Trotzdem wohl der beste Song auf "ATUM - Act I".

"The Good In Goodbye" scheint nachzuweisen, dass Iha endgültig verlernt hat, wie man die Saiten bedient. Auf diesem Song nervt nicht einmal was, der Track ist einfach nur zum Verrecken fad. Es fehlen Ideen, es fehlen Haken, es fehlt um Himmelswillen sogar Repetition. In dieselbe Kategorie fällt der doofe Pop-Stampfer "With Ado I Do" oder das scheinbar frühe Pixies-Demo "Steps In Time". Die gute Nachricht angesichts von "Act II": Diese Messlatte ist sogar für Billy Corgan im Musiklimbo nicht mehr zu bezwingen!

Trackliste

  1. 1. ATUM
  2. 2. Butterfly Suite
  3. 3. The Good In Goodbye
  4. 4. Embracer
  5. 5. With Ado I Do
  6. 6. Hooligan
  7. 7. Steps In Time
  8. 8. Where Rain Must Fall
  9. 9. Beyond The Vale
  10. 10. Hooray!
  11. 11. The Gold Mask

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11 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

  • Vor einem Jahr

    Billy scheint hier den Elon Musk zu geben, während der Rest seines Staffs sich nicht traut, ihm zu sagen, wie beschissen alles ist. Ich hätte nie gedacht, mal so etwas Brutales zu denken, aber: Dieses Album ist schrecklicher als jeder noch so tragische Musiker-Selbstmord. R. I. P., liebe Smashing Pumpkins, ihr habt mich als 20-something gut durch die frühen 90er gebracht, ihr wart unverzichtbar auf dem Soundtrack meines Lebens, aber das hier ist die Dampframme für euer Vermächtnis. Es wird mir intensive Trauerarbeit bereiten, dieses akustische Verbrechen wieder ungehört erscheinen zu lassen.

  • Vor 11 Monaten

    Schlimm, gemessen daran, was mir diese Band einmal bedeutet hat.