laut.de-Kritik

Girliness in Zeiten ihrer technischen Reproduzierbarkeit.

Review von

Ich habe neulich für einen meiner seltsamen Nebenjobs ein Romance-Buch gelesen, das sehr beliebt auf TikTok ist. Es geht um altes und neues Geld in New York, Enemies to Lovers, auf der Coverseite des Romans hat die Autorin eine Playlist vorgeschlagen, die man gerne zum Lesen hören sollte. Die ersten drei Titel (und darüber hinaus die Hälfte der Songs) stammten von Taylor Swift. Ich habe also die Playlist komplett geditcht und stattdessen das ursprüngliche "Speak Now" angemacht. Habe ich dann also beim Lesen über italienische Bad Boy-Mode-Milliardäre mit einer geheimen sanften Seite auf dem Bauch gelegen und meine Füße auf und ab gewippt? Und wie. Ich habe die Zeit meines Lebens gehabt.

Im Rahmen ihrer gigantischen Neuauflagen-Kampagne, die ihre alten Alben aus den Fängen eines schlechten Labeldeals mit Scooter Braun befreien soll, veröffentlicht sie dieses Album nun als "Taylor's Version" neu. "Speak Now" ist ein wichtiges Album für ihre Laufbahn, denn es markiert das Ende ihrer Country-Zeit. Sie ist kein Teenager-Naturtalent mehr, aber noch weit entfernt von der Popmusik, mit der sie erst auf "Red" flirten und dann schließlich auf "1989" durchbrennen sollte. "Speak Now" markiert trotzdem eine wichtige künstlerische Errungenschaft: Es ist im Grunde destillierte Girliness. Aber während viel Girliness in Zeiten ihrer technischen Reproduzierbarkeit mit einer zynischen Marktanalyse geschaffen wurde (oft sogar ziemlich spürbar für Männer), behandelt dieses Album seine eigene Mädchenhaftigkeit mit Fürsorge, Sorgfalt und nie verklingendem Respekt.

Auf einer gewissen Ebene hat Taylor Swift da etwas mit Billie Eilish gemeinsam. Sie sind beide nämlich unerklärlich gut darin gewesen, jung zu sein. Und an nichts merkt man an den Texten von "Speak Now" Taylors Jugend, als in ihrer Obsession darin, sich älter aussehen zu lassen, als sie ist. Wie viele Menschen mit zwanzig und einundzwanzig ist sie hier fast neurotisch nostalgisch, sucht die Weisheit ihrer neuen Lebensphase, wendet sich an ihr altes selbst, an jüngere Fans, an "Innoncence" und weist an: "Never Grow Up". Sie ist immer noch diese junge Frau, aber sie nimmt ihren Fans die Rolle der großen Schwester ein, mit ihren eigenen Problemen und Makeln, aber auch mit den selben Fantasien, noch nicht den Romeo und Julia-Lovestories abgeschworen und von den gigantischen lila Ballkleidern angezogen.

Vielleicht sollte ich das als Kerl nicht kommentieren, aber es gibt einfach so wenig Medien, die diese Perspektive ehrlich und ungebrochen akzeptieren. Alle Popkultur hat mir gesagt, dass ich auf diese Dinge herabschauen soll. Und Mädchen in meinem Alter übrigens zu großen Teilen auch: Popkultur hasst Teenagerinnen. Alles von der ehrlichen, obsessiven Zuneigung eines Songs wie "Mine" bis hin zum lila Ballkleid, wir wurden dazu konditioniert, es hohl, oberflächlich und dumm zu finden. So viele von meinen Freundinnen, jetzt und damals, wurden konditioniert, nicht wie die anderen Mädchen zu sein.

Taylor Swift ist mit Songs wie "Sparks Fly" der Avatar davon, wie die anderen Mädchen zu sein. Vielleicht gerade deshalb ein guter Grund, dieses Album im hier und heute noch einmal auf die Leute loszulassen, jetzt, wo wir zumindest die härteste, misogyne Schicht Zynismus um uns abgestreift haben und uns auf einiges einlassen können. Zum Beispiel für den Fakt, dass dieses Album unglaublich intelligent ist, in seiner Beobachtungsgabe, Klarheit und Menschenkenntnis. Das große Highlight ist, wie sie ihre kurzzeitige Beziehung mit John Mayer auf "Dear John" auseinandernimmt, seine Taktiken, eine jüngere Frau zu manipulieren, ihre Beziehung zu dessen Exfreundin, alles mit der selben Gitarrentechnik begleitet, die den Mann so berühmt gemach hat.

Aber die richtig großartigen Songs sind die, in denen sie ganz alltägliche Phänomene beschreibt. "Enchanting" ist ein Song übers Verliebtsein, so aufgeregt, euphorisch und aufrichtig, wie es dem Gefühl angemessen ist. "Sparks Fly" und seine heillos kitschige Romanzen-Fantasie, die tödlich eingängigen Banjo-Hooks auf "Mean" mit der Erwartung, mal in einer "big old city" zu eben und die Vorankündigung der Königin der Shadiness auf "Better Than Revenge", deren fast Pop-Punkigen Anleihen wahrscheinlich sehr bald eine Olivia Rodrigo undwiderruflich beeinflussen werden.

Es gibt sehr viel über Taylor Swifts "Speak Now" zu sagen, und es lohnt sich, dass die Neuauflage heute (abgesehen von den relativ unspektakulären Bonus-Tracks) eigentlich ein sehr detailgenaues Aufarbeiten des Originals ist. Vermutlich werden viele Leute Freude daran haben, "Speak Now" einfach noch einmal in seiner ursprünglichen Blüte zu erleben. Um zu merken, dass Taylor Swift nicht nur ein guter Songwriter ist, wenn ihre Musik auf Krampf nach Indie klingt, sondern gerade auch dann, wenn ihre Songs so trügerisch tödlich eingängig und euphorisch klingen. Aber mehr als alles andere: Es ist so schön, noch einmal einen Aufguss von diesem einzigartigen Modus an Girliness zu kriegen, unzynische Lovesongs, Euphorie, Ballkleider, Musik für TikTok-Bücher. Letzteres als das größte Kompliment gemeint, das ich hier aufbringen könnte.

Trackliste

  1. 1. Mine
  2. 2. Sparks Fly
  3. 3. Back To December
  4. 4. Speak Now
  5. 5. Dear John
  6. 6. Mean
  7. 7. The Story Of Us
  8. 8. Never Grow Up
  9. 9. Enchanted
  10. 10. Better Than Revenge
  11. 11. Innocent
  12. 12. Haunted
  13. 13. Last Kiss
  14. 14. Long Live
  15. 15. Ours
  16. 16. Superman
  17. 17. Electric Touch (feat. Fall Out Boy)
  18. 18. When Emma Falls In Love
  19. 19. I Can See You
  20. 20. Castles Crumbling (Feat. Fall Out Boy)
  21. 21. Foolish One
  22. 22. Timeless

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5 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 9 Monaten

    Oh Boy, da freu ich mich ja jetzt schon auf den mit an Sicherheit grenzender Sicherheit aufziehenden, messerscharfen Analysekommentar des Board-Trottels Ragismo. :lol:

  • Vor 9 Monaten

    Messerscharfe Analyse: mid af.

    • Vor 9 Monaten

      Bitte bissl mehr Charakterkritik und Insiderknowledge wofür du ja gekannt und geliebt wirst...dass die Platte Schmutz ist weiß ja - abgesehen von YNK :D - sowieso Jeder.

    • Vor 9 Monaten

      Beides so null meine Traits. Aber man soll ja immer seine Horizonte erweitern, nicht?

      Taylor Swift bezahlt ihre Rechnungen immer sehr spät (2. Mahnung ist Standard). Sie kann Vögel nicht ausstehen, und schießt gerne mit ihrer Softair auf Möwen. Ich habe gehört, sie war ziemlich gemein zum Praktikanten, der ihr die zweite Strophe zu "Mine" geschrieben hat (v.A. passiv-aggressive Kommentare wie es sich für eine Frau von Format gehört).

  • Vor 9 Monaten

    Finde es interessant, dass sie sich mit dieser Remake-Nummer auch eine gute Basis dafür geschaffen hat, jedes Jahr ein Release mit einem vermindertem Aufwand zu releasen. Und mit dieser Moral- und Betroffenheits-Nummer von wegen "Meine alte Musik gehört einem bösen Label-Menschen" kriegt sie ja tatsächlich Menschen dazu, sich zweimal dasselbe Album zu kaufen. Win-Win-Situation, vor allem für Taylor selbst.

    • Vor 9 Monaten

      Die Releases gleichen sich mittlerweile auch quasi 1:1. Was halt aussagt, daß sie inhaltlich oder arrangementtechnisch nix an den alten Mixen auszusetzen hat. Die Re-Releases sind also null künstlerischer, sondern rein finanzieller Natur. Nix mehr mit "Taylor's Version". Was dann schon etwas fragwürdig ist, wenn sie eine der wenigen Musikerinnen ist, die ohnehin schon extrem gut von ihrem Output leben können.

      Wie schon gesagt: Ernsthafte Musiker bringen sowas als Geschenk oder als tatsächlich neu interpretierte Compilations heraus. Denen würde nicht einfallen, ihre Fans für das gleiche Produkt noch mal zur Kasse zu bitten.

    • Vor 9 Monaten

      Stimmt. So etwas kommt wirklich niemals vor! In dieser Re-Release-Hölle in der wir leben, bitten ernsthafte Künstler:innen mindestens fünf mal zur Kasse. Spätestens alle fünf Jahre, wenn ein Album mal wieder irgendein schiefes Jubiläum hat.

    • Vor 9 Monaten

      Ist halt ne andere Sache, wenns ein Label macht. IdR. passiert das ohne besondere Beteiligung der Künstler. Wie Du auch wissen solltest

      Hier ist es was Anderes. Hier soll es ja als Taylors ureigenes Ding gefeiert werden. Als Befreiuungsakt, usw. usf... Dabei könnte es überhaupt nicht offensichtlicher um Geld gehen. Nicht mal symbolisch wird hier den Fans etwas geboten.

    • Vor 9 Monaten

      Kann mal jemand ne Auflistung machen, wann diese (new) Version Re-Releases angefangen haben und wie viele es gibt?
      Mir fallen spontan Fanta4 und U2 noch ein, obwohl Anthrax mit dem neuen (alten) Sänger damals...
      https://www.laut.de/Anthrax/Alben/The-Grea…

      Hatte ich auch gekauft, das fand ich sogar gut.

  • Vor 8 Monaten

    "[…]alles mit der selben Gitarrentechnik begleitet, die den Mann so berühmt gemach hat."

    Ist jetzt vielleicht etwas haarspalterisch aber in "Dear John" findet sich keine besondere Gitarrentechnik wieder, wahrscheinlich sind da die "gefühlvollen" Blueslicks gemeint und die darin vorkommenden Bendings kann man als "Technik" bezeichnen aber dass Bendings John Mayer berühmt gemacht haben, wäre eine komische Behauptung, die wohl so niemand treffen würde, weil man keinem Gitarristen zuschreiben kann, Bendings für sich gepachtet zu haben und wenn, dann beispielsweise eher Gitarristen wie B. B. King oder David Gilmour.
    Der Begriff "Gitarrentechnik" liest sich deswegen in dem Fall ein bisschen so wie in einem Musikartikel in der Bunten, wo auch von "handgemachten rockigen Gitarrenbeats" die Rede ist. Ansonsten bin ich aber ein bisschen Fan von Yannik :)