19. März 2013

"Berlin braucht kein Mensch!"

Interview geführt von

Am vergangenen Freitag ist "Hai-Alarm am Müggelsee" in den Kinos angelaufen. Wir trafen den Regisseur Leander Haußmann ("Sonnenallee") und seinen neuen Partner Sven Regener zum Interview.Ein Treffen zum Interview mit Element Of Crime-Sänger und Autor Sven Regener? Aber immer doch, da gibt es viel zu besprechen: Wie es weitergeht mit Element Of Crime, welche Buchprojekte anstehen oder wie sehr ihn die Kostenlosmentalität im Konsum von Kulturgütern über das Internet nervt.

Um all das soll es an diesem Nachmittag in einer Villa in Berlin-Charlottenburg, in der die Produktionsfirma "X Filme" ihren Firmensitz hat aber nicht gehen, sondern um den von Regener gemeinsam mit Leander Haußmann geschriebenen und produzierten Film "Hai-Alarm am Müggelsee", wie auch in der Einladung noch einmal deutlich betont wird. Sven Regener gibt es jetzt also auch als Filmproduzent.

Der Film über einen angeblichen Hai, der im größten Berliner Badesee Hände abbeißt und die drumherum lebenden Menschen zum Ergreifen ungewöhnlicher Gegenmaßnahmen veranlasst, ist ein ziemlicher Klamauk, aber auch ein wider Erwarten großer Spaß. Nach der Vorführung traf sich laut.de zum Doppelinterview mit den Herren Regener und Haußmann, um mal ganz ernsthaft über diesen Film zu reden. Dabei muss zunächst die Frage der Fragen geklärt: Hai oder nicht Hai?

Dieser kleine Fisch, der zu Beginn in einer Rückblende schwimmend im Wasserglas gezeigt und später als ausgewachsener Hai in Friedrichshagen für Unruhe sorgen wird: Ist das tatsächlich ein echter kleiner Hai?

Haußmann: Endlich eine Frage, die ich nicht sofort beantworten kann.

Regener: Jein. Er wird unter die Zierhaie gefasst, aber eigentlich ist er mit den richtigen Haien nicht verwandt. Die sehen nur ein bisschen so aus und werden bei den Zierfischfreaks, also den Aquarianern, als Hai-Ersatz gehandelt. So hat uns das jedenfalls die Bühnenbildnerin gesagt.

Haußmann: Ja, so hat sie uns das verkauft. Wahrscheinlich hat sie uns reingelegt.

Regener: Also, das ist so eine Art Hai.

Haußmann: Vorweg muss man ja sagen: Es sind ja keine Tiere zu Schaden gekommen. Aber dieser kleine Fisch, der war irrsinnig teuer. Und deswegen konnte man sich den nur leihen, ist ein ganz seltener Fisch.

Was kostet der denn?

Haußmann: Ich hab keine Ahnung, aber alle haben immer gesagt: Uhh, das wird ganz teuer.

Regener: Vorher hatten wir so ein paar kleine Salzwasserfische, aber denen ging es schlecht. Da hatten sie nicht die richtige Salzmischung hinbekommen und dann haben sie die schnell wieder zurückgebracht, weil ihnen das zu heikel war. Sonst hätten wir ja nicht schreiben können, dass keine Tiere zu Schaden gekommen sind. Was natürlich stimmt und das war die eigentliche Herausforderung: Einen Hai-Alarm-Film zu machen, wo es auf den Hai gar nicht ankommt. Weil der Schwerpunkt doch eher auf dem Alarm als auf dem Hai lag.

Haußmann: Es gibt eben schon sehr viele Filme, in denen der Hai im Zentrum steht.

Das Weglassen des Hais könnte man ja schon als beabsichtigten Kniff sehen. Denn Sie wollten ja unbedingt einen Alarm-Film drehen.

Regener: Also die Idee war, und das ist klar: Jeder kennt diese Haie, hat sie schon tausendmal gesehen, bei Jean-Jacques Cousteau und so weiter. Die sehen immer gleich aus: Haben irgendwie kein Kinn, sind auch ein bisschen hässlich, manche haben nicht mal Zähne. Und die schwimmen immer so rum. Das ist ja echt nicht so doll.

Interessant ist ja, was mit den Leuten passiert. Wie die Bedrohung Hai von außen in so einem Ort alles durcheinanderbringt. Oder sagen wir es so: Ein Hai ist nicht lustig. Aber die Leute sind lustig. Wir haben uns klar auf den lustigen Teil der Katastrophenfilme konzentriert. Die Idee Alarm-Film ist quasi ein lustiger Katastrophenfilm.

Haußmann: Ja, so ein Hai ist auch relativ unflexibel in allem: In der Bewegung, in der Mimik, letztlich auch in der Sprache. Wir mögen ja Sprache sehr und mögen es, dass in deutschen Filmen viel gesprochen wird. Und das Witzige ist ja eigentlich nicht die Sache der Deutschen. Aber Dialog und Wort und Witz, das ist schon mehr unsere Sache.

Stimmt auffallend: Es gibt im Film viel mehr Dialoge als Haie.

Haußmann: Ja, wobei: Einen Hai gibt's ja, er wird nur nicht so oft gezeigt, wenn nicht sogar gar nicht. Ich würde das jetzt sogar noch ein bisschen offen lassen.

Regener: Das wesentliche Bild kennen ja alle: Wie der Mann in "Der weiße Hai" bis zur Hälfte in diesem Hai drinsteckt. Mehr brauchen wir eigentlich nicht sehen. Das hatten wir schon. Toll ist doch, wie sie unten in diesem Schiff sitzen, von nichts wissen und dann singen sie nachts. Sind da wegen des Hais und sehen den nicht.

Die Idee ist sozusagen: Wenn man erst mal einen schönen Alarm hat, kann man den Anlass auch weglassen. Das ist ja generell die Idee von Berlin. Die ganze Stadt ist ja ein einziger Alarm ohne Anlass. Auch eine Stadt, die keiner braucht. Völlig sinnlos steht sie da rum im märkischen Sand. Dreieinhalb Millionen Menschen machen Alarm, aber eigentlich braucht das kein Mensch.

Haußmann: Oder auch die sich nicht bewegenden Baustellen hier. Da überlegt man dauernd: Wo baut da jetzt eigentlich jemand? Es sind nur Absperrungen, als seien sie gleichsam Spiegelbild für das, was im Roten Rathaus passiert: Nämlich nichts.

Das wurde ja auch im Film thematisiert in der Szene der Pressekonferenz. Da steht plötzlich die Frage im Raum, was eigentlich geschehen muss, damit der Alarm wieder beendet wird und niemand der Protagonisten ist auf diese mögliche Wendung vorbereitet.

Regener: Das ist das alte archaische Thema: Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los. Alarm wird schnell ausgerufen, aber schwer wieder losgeworden. Denn um den loszuwerden, muss man irgendwas Konkretes in der Hand haben. Vorher hatte man als Konkretes nur eine abgebissene Hand. Wichtig ist, dass die Bedrohung immer präsent ist.

Und die Bedrohung ist ja etwas Gefühltes, nichts Reales. Die Bedrohung ist immer die Vorahnung dessen, was passieren könnte. Und das treibt den Film die ganze Zeit an, das ist lustig. Weil im Film Bedrohungen vorweggenommen werden, von denen man noch nicht einmal ganz sicher ist, ob sie überhaupt stattfinden.

Ich hatte während des Films nicht das Gefühl, dass diese Bedrohung von den Protagonisten als besonders stark empfunden wird, sondern eben eher als Event oder etwas, worüber man sich halt Gedanken machen muss.

Regener: Genau, als Anlass, bestimmte Schritte zu unternehmen. Wie den Müggelseedamm zu sperren oder jetzt eben nicht mehr ins Wasser zu gehen und Freibier auszuschenken, diese ganzen Dinge.

Haußmann: Irgendwann wird alles zum Alltag. Und was soll's: Solange der Hai nicht an Land ist, ist er für mich ja keine Gefahr. Ich darf nur nicht ins Wasser gehen. Daraus zieht der Film auch seine Komik. Aus Figuren, die wir alle kennen, und die wir gerne dabei beobachten, auch in ihrer Ungeschicklichkeit im Umgang mit dieser Bedrohung. Natürlich kann man auch die ganze Zeit "Hilfe, Hilfe, ein Hai ist im See!" rufen, aber das wird auf die Dauer ja auch langweilig.

Deswegen reagieren sie auf gewisse Art und Weise provinziell. Ich fühle mich hier in Deutschland ja auch so wohl, weil es durch und durch provinziell ist. Man fühlt sich in der Provinz immer am wohlsten. Weil sie von dir nicht ununterbrochen etwas Weltstädtisches abfordert. Es ist die Sehnsucht nach dem Vorgarten, dem Apfelbaum, den klaren Dingen.

"Der Alarm als Event, dann ist immer Party"

Der Bürgermeister verlangt vom Haijäger auch kein Beweisfoto bezüglich der Existenz des Hais, sondern fordert einzig: "Wenn sie mir auf diesem Dokument bestätigen, dass sie ihn gesehen haben, dann exisitert er auch."

Regener: Ja klar: Fotos kann man fälschen, Formulare nicht. Deutlicher kann man die Welt, die Gedankenwelt des Bürgermeisters von Friedrichshagen in diesem Film nicht beschreiben.

Haußmann: Ich sehe den Film ja auch schon so, als hätten den andere gemacht. Jetzt denke ich mir: Am Anfang wird einem Menschen die Hand abgebissen und zwar in einem Wasser, was viel zu flach ist für einen Hai. Und trotzdem reagiert schon der Bademeister, wie der ganze Ton des Films sein wird. Nämlich so "Wat'n ditte?" Das ist diese Berliner Art, etwas festzustellen und gleichzeitig auch zu hinterfragen, aber sich auch nicht großartig darüber aufzuregen. Es ist eben dieses Stulle-Dasein.

Andererseits ist Berlin eine Stadt, in der ich mich so sicher fühle, weil ich immer das Gefühl habe, dass man hier mit Katastrophen aller Art auch ganz gut umgehen kann und dass man auch ein bisschen vorgedacht hat. Wir erleben ja gerade auch sehr viele Katastrophen und ich finde, dass die Ruhe, dieses "Lass mich in Ruhe, leck mich am Arsch, ist mir doch egal, wo ist die nächste Party?" die Tragödie relativiert, die dahintersteckt.

Der Umgang mit der Bedrohung ist bei den einzelnen Protagonisten sehr unterschiedlich. Nehmen wir mal die Frau Baum, zuständig fürs Stadtmarketing. Dahinter verbirgt sich ja möglicherweise auch ein gesellschaftskritischer Überbau. Denn ihr Denken und Handeln wird ja klar von der Maxime bestimmt, wie die unterschiedlichen Situationen stadtmarketingtechnisch ausnutzbar sind. Wodurch vieles nicht unbedingt besser gemacht wird, aber zumindest jedesmal anders.

Haußmann: Dieses Gesellschaftskritische hört sich immer so nach trocken Brot an. Wenn dann würde ich zeitkritisch sagen: Inhalte sind nicht so wichtig wie das Marketing, das diese Inhalte verkauft. Um es ein bisschen bitter zu sagen. Ist aber auch nicht so. Ich fühle mich eigentlich ganz wohl in dieser Zeit mit all ihren Möglichkeiten.

Regener: Wenn man will, kann man den Film als großes Panaroma gesellschaftlichen Handelns sehen. Man hat da etwas und nimmt das zum Anlass, nutzt es quasi aus für andere Zwecke. Der Alarm als Event, dann ist immer Party. Wie es auch im Abspannlied heißt: "Es ist immer Party, bis die letzte Straßenbahn fährt."

Hai-Alarm als Straßenfest ins Unendliche verlängert. Im Grunde genommen alles, was die menschlichen Leidenschaften hochkochen lässt. Und aus allem kann man lustige Sachen machen: Dieser bescheuerte Pantomime, der dort zum Einsatz kommt, um die Leute vom Baden abzuhalten. Die Idee, einen Pantomimen anzustellen, und an den Strand zu stellen und die Leute vom Baden abzuhalten, weil vielleicht ein Hai im Wasser ist, ist schon stark.

Haußmann: Oder ihnen nicht die Wahrheit zu sagen, aber ihnen klarmachen zu wollen, dass es an Land viel lustiger ist als im Wasser und es auch viele Aktivitäten gibt, wie es der großartige Polizistendarsteller Detlev Buck in einer Szene tut. Oder die Überlegung, dass sich jemand schon unter Kaiser Wilhelm oder Friedrich dem Großen hingesetzt hat und darüber nachgedacht hat, dass vielleicht mal ein Hai oder etwas anderes im See auftauchen könnte und dafür Vorschriften ersonnen hat. Diese Idee ist gar nicht so weit weg, wird aber natürlich deutlich konterkariert von so etwas Absurden wie einem Hai. Darüber macht es natürlich Spaß nachzudenken. Worüber soll man denn sonst den lieben langen Tag nachdenken?

Zur Idee des Films existieren verschiedene Angaben. Herr Regener meinte, vor fünf Jahren sei ihm das eingefallen, während Herr Haußmann meinte, er hätte das schon 1987 gerne machen wollen. Wie war das denn jetzt?

Regener: Ich glaube, das war nur eine Methode von ihm, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ganz weit zurückgehen: 1987.

Haußmann: Woher könnte diese Information stammen?

Regener: Du hast mal sowas gesagt: Du hättest damals schon die Idee gehabt, aber keine Möglichkeit sie zu verwirklichen.

Haußmann: Das nehme ich hiermit zurück. Das ist eine bloße Behauptung.

Regener: Aber ich finde, das ist in seiner Dreistigkeit auch eine ganz gute Behauptung, denn wer will denn da das Gegenteil behaupten?

Haußmann: 1987? Da war ich Schauspieler in Gera. Wie sollte ich da diese Idee gehabt haben? Aber egal, das ist eine faustdicke Lüge, von der ich mich jetzt distanziere.

Regener: Ja, am Ende bin ich wieder schuld. Klar.

Haußmann: Das ist falsche Bescheidenheit, von der ich hoffe, dass man mir sie nicht glaubt.

Regener: Das Seltsame an dieser Sache war, dass ich schon lange darauf gewartet hatte. Aber kaum war dieser Titel in der Welt - "Hai-Alarm am Müggelsee" - waren schon alle Ideen da. Wir mussten es nur noch aufschreiben und drehen. Die Schauspieler waren plötzlich auch alle da und sagten: Ja klar, Hai-Alarm am Müggelsee, warum nicht?
Aber vorher haben sie uns immer nur ausgelacht: Haha, Hai-Alarm am Müggelsee. Ich weiß gar nicht, wie vielen Leuten wir davon erzählt haben und die alle dachten, das sei totaler Quatsch.

Haußmann: Das ist ja meistens so bei großen Entwicklungen und Erfindungen, dass man zuerst ausgelacht wird. Denk nur an die ersten Flugzeuge.

Wie schwer war es denn, die doch sehr prominenten Schauspieler des Films von der Güte des Drehbuchs zu überzeugen?

Regener: Wir hatten sie alle zu einer Leseprobe in die weiße Villa in Friedrichshagen eingeladen und bei der haben wir alle sehr, sehr viel gelacht. Das war der erste Moment, in dem ich mir sicher war, dass das funktionieren kann, wenn ich jetzt keinen Scheiß baue. Das hat mich wahnsinning ermutigt. Das heißt nicht, dass jeder Mensch dabei lacht. Das heißt nicht, dass das jeder lustig findet. Bei diesem Film glaube ich sogar, dass es gut möglich ist, dass es viele Leute gibt, die damit gar nichts anfangen können. Aber: Diejenigen, die sowas mögen, werden sich darüber freuen. Denn wenn man sowas mag, kriegt man das im Augenblick nur bei uns. Ist irgendwie stark, hab ich dann gedacht.

Haußmann: Schon bei dieser Leseprobe sind neue Dinge entstanden: Detlev Buck sagte, in der Pressekonferenz würde er ja gar keine dramaturgische Aufgabe haben und ob wir ihn da nicht rauslassen könnten. Da haben wir geantwortet: "Du hast recht, dann kriegst du jetzt eben eine dramaturgische Aufgabe."

Regener: Das ist mir aufgefallen bei Schauspielern: Das machen sie gern. Der Michael Gwisdek kam zu uns und meinte, die Szene am Ende mit den Booten sei schlecht, weil der Bademeister fehlt. In diesem Moment war klar: Den Bademeister müssen wir auch noch reinschreiben.

"Es ist ein großer Spaß und danach kann man gut Bier trinken gehen."

Der Film ist auch nicht, wie das ja sonst bei deutschen Produktionen üblich ist, von einem öffentlich-rechtlichen Sender begleitet worden. Welche Herausforderungen brachte das mit sich?

Regener: Zur Finanzierung eines Films braucht man in der Regel einen Fernsehsender. Und wir hatten keinen. Wenn wir jetzt über das Budget des Films reden: Ein Teil davon war gar nicht da, weil wir keinen Sender hatten. Ein Teil der Schauspieler ist eingesprungen, ein Teil kam von uns, von X-Filme und auch von Produzenten wie Ari Richter beispielsweise, die auch mit Sachleistungen geholfen haben, um dieses Budget dann bringen zu können.

Haußmann: Wir hatten auch Leute, die gesagt haben: "Den Film will ich sehen." Wie bei Monty Pythons "Leben des Brian". Da war ja auch keine große Produktionsfirma dahinter, das waren Privatgelder. George Harrison hat dann gesagt: "Den Film will ich sehen." Und so viel Eier muss man auch mal haben und einfach sagen: Deswegen muss der gemacht werden.

Das ist der größtmögliche Luxus, den man für sich in Anspruch nimmt. Das ist einfach ein großer Spaß gewesen für alle Erwachsenen, die gerne mal wieder Kind sein wollen. Das ist das, was wir uns auch erhoffen, von denen, die in den Film gehen. Es ist ein großer Spaß und danach kann man echt gut Bier trinken gehen. Weil der Film sehr viel mit uns zu tun hat.

Alle, die mitspielen sind auch unsere Freunde. Es ist eine Sache, die sehr viel mit Gemeinsamkeit zu tun hat, pathetisch ausgedrückt. Auf der anderen Seite stehen wir auch mit unseren Persönlichkeiten dafür ein. Aus unserer Perspektive heißt Verantwortung auch dabei zu sein und Gesicht zu zeigen. Das Hemd aufreißen und sagen: Das sind wir.

Wie hoch war das Budget dann letzten Endes? Ich habe von zwei Millionen Euro gelesen.

Haußmann: Wir hatten ein Budget von 1,6 Millionen Euro. Wir können damit keine Luftschlösser bauen, aber sowas braucht man für so einen Film auch nicht, er lebt ja von den Leuten. Und viel Geld heißt ja nicht immer, dass man gut ist. Diese Krisen sind immer eine Chance, etwas Neues zu finden. Bei "Sonnenallee" hatten wir zu Beginn noch weniger Geld. Da habe ich mir überlegt - und es wäre interessant gewesen, wenn es denn so gekommen wäre - dass man die Mauer und den Grenzübergang gar nicht sieht, sondern nur den Schatten davon. Wir hätten eine Pappe davor geschoben und mit ein bisschen Licht dagegengestrahlt. Es wäre ein anderer Film geworden, aber sicherlich nicht uninteressanter.

Regener: Ich muss das mal sagen, auch als alter Musikproduzent. Ohne Scheiß jetzt: Wir müssen im Bereich der Kulturindustrie aufgrund der allgemeinen Lage Wege finden, auch ohne extrem viel Geld auszukommen. Damit meine ich nicht, die Leute, die da arbeiten runterzuhandeln, wir haben die alle okay bezahlt. Wir haben dann halt keine Überstunden gemacht. Wir mussten mit dem Drehplan hinkommen und das hat geklappt. Wenn man solche Filme macht, dann kann man das auch hinkriegen. Dafür muss man nicht in die Karibik fliegen. Hawaii kann man auch am Müggelsee herstellen.

Herr Regener, es gab im vergangenen Jahr eine Debatte nach ihrer sogenannten Wutrede zum Thema Gema und Verwertungsrechte. Welche Reaktionen haben Sie darauf erhalten?

Regener: Was mich damals genervt hat war, dass alle so taten als wenn ... Es ist ja so: Ich habe keine Problem mit dem Internet, ist mir alles wurst. Ich habe auch kein Problem damit, dass man sich mal Sachen umsonst besorgt. Es gibt aber eine Grenze zum Asozialen, eine unsichtbare Linie. Die wird meiner Ansicht nach zu oft überschritten, ist ja auch nicht so schlimm. Aber dann soll man nicht auch noch so tun, als ob das irgendwie toll wäre. Das hat mich genervt, vor allem die Leute, die diese asoziale Haltung propagiert haben, oder auch Urheberrecht für alle.

Dass so getan wurde, als habe man nichts gegen die Künstler, sondern einzig gegen die Plattenfirmen. Das hat mich geärgert, weil wir damit ja zu Idioten erklärt werden. Und wir sind ja keine Idioten, wir machen die Verträge mit den Firmen ja nicht, weil wir doof sind, sondern weil das eine große Möglichkeit ist, die Sache auszuwerten. Und deshalb soll man nicht so tun, als wenn man uns nicht genauso damit an den Karren fährt. Was natürlich der Fall ist. Das ist der entscheidende Punkt: Es geht hier nicht um Verlogenheit, sondern um Heuchelei.

Es war an der Zeit, das einmal auszusprechen, weil es ja auch etwas damit zu tun hat, wie die Gesellschaft insgesamt mit Künstlern und mit Kunst umgeht. Und inwieweit sie bereit ist, dafür zu zahlen oder der Meinung ist, das müssten andere für sie tun. Der Steuerzahler oder sonstwer. Oder die, die sich das noch richtig legal runterladen oder kaufen. Ich glaube, dass diese ganzen Entschuldigungen nur vorgeschoben sind, aber das ist ein ganz banaler Standpunkt. Ich habe viele Musiker gesprochen, die gesagt haben: Ja, gut, dass das mal einer gesagt hat. Aber Bock hat da keiner groß drauf, ich auch nicht. Denn im Grunde geht es darum, wie man sich selber verhält. Und da sollte sich einfach jeder genau überlegen, ob das, was er macht, richtig ist oder bis wohin es vertretbar ist und wo nicht mehr. So seh ich das.

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