laut.de-Kritik

Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?

Review von

Auf dem trägen Tanker Deutschland sucht den Superstar gescheitert, mit dem Speedboat Social Media zum Major-Label-Vertrag. Seit beinahe zwei Jahren veröffentlicht Universal Music Singles von Sophia Bauckloh, die sich wie Elif, Lea, Lina, Nicole und etliche weitere ganz auf den Nähe suggerierenden Vornamen verlässt. Im Oktober kürte sie die Goldene Henne zur Aufsteigerin der Jahres. Und als die NFL mit ihrem Vorzeigeathleten Tom Brady in der Münchener Allianz Arena gastierte, kam ihr die Ehre zuteil, a cappella die deutsche Nationalhymne darzubieten - mit teils verheerenden Reaktionen.

In "Jemand Wie Ich", dem Opener ihres Debüt-Albums "Niemals Allein", rückt sie sich effektfrei nur mit Klavierbegleitung als Singer-Songwriterin in den Fokus. Sophia gibt die Unverstandene zum Besten, die von "falschen Menschen" umgeben ist. Ein Leid, das sie mit den meisten Rappern teilt. Dabei irrt sie selbst verloren umher. "Wo gehör' ich hin? Ist da irgendwo ein Licht? Sag' mir, ist da draußen jemand wie ich?", säuselt sie auf der Suche nach dem authentischen Selbst und der halbwüchsigen Zielgruppe. Deren Problemen begegnet sie in "Schmetterling" mit der unterkomplexen Losung: "Sei einfach du selbst."

Sophia richtet sich penetrant an die unzähligen mehr oder weniger gleichförmigen Menschen, die sich im Irrglauben ihrer Einzigartigkeit eingerichtet haben: "Ich weiß, es ist nicht immer leicht für dich, weil du nicht so wie die anderen bist." Sie selbst bemüht sich hingegen weiter um eine gefestigte Identität. Das gipfelt in der geradezu pathologischen Verwirrung von "Wenn Du Die Augen Schließt": "Ich bin noch nicht die, die ich sein will. Bin ich ehrlich, weiß ich nicht mal, wohin. Sag' mir, wie soll ich denn sein, wer ich sein soll, wenn ich nicht sein darf, so wie ich bin?"

Wenn sie nicht gleich im eigenen Bauchnabel verschwindet, bedient sich Sophia gefällter Liebeslyrik mit starkem Hang zum Schlager. "Ich würde für dich tausend Sterne bewegen, gar jeden Planeten. Die Erde soll beben", heißt es in "Niemals Allein", wobei sie genretypisch die Gesetze der Physik aushebelt. Zu selig schunkelnden Songs tischt die Sängerin Szenarien auf, die sonst nur in Filmen Roland Emmerichs hereinbrechen. "Selbst wenn Kometen fallen mit 'nem Riesenknall, merk' ich nichts. Hab' nur dich in meinem Kopf", schmachtet sie sich durch die Endzeit von "Wenn Kometen Fallen".

Der Song steht zugleich für den Dienstleistungspop, den Sophia bereitwillig serviert. Trotz der potenziell tödlichen Himmelskörper ist bei der hadernden Sängerin plötzlich alles paletti: "Gerade fehlt es mir an nichts. Als könnte ich von Luft und Liebe leben." "Scheiss(e) Drauf" spiegelt die unreife Hörerschaft wider, der echte Probleme fremd sind: "Bin genervt und gereizt. Ich will schreien und weiß gar nicht, wieso." Lebensunfähig ruft sie bei Schwierigkeiten "Zuhause" an: "Wie geht das mit den Steuern nochmal? Ich werd' verrückt, ich rufe Papa schon zum zehnten Mal an." Der freut sich sicherlich.

Es erscheint fraglich, dass sich die frühere DSDS-Kandidatin solcherlei Musik für ihr Debütalbum erträumt hat. "Das ist mein Farbkasten, hier kann alles Spaß machen. Wenn ich will, mal' ich 'nem Elefanten rote Arschbacken", singt sie mit einer guten Portion Leichtigkeit in "Meine Welt - Demo 2015". Unbeschwert entzieht sie sich den Verpflichtungen wie Timon und Pumbaa. Das sollte beim Publikum authentischer ankommen, als die über weite Strecken gespielt wirkende Identitätssuche, die sich der spätpubertären Frage widmet: Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?

Trackliste

  1. 1. Jemand Wie Ich
  2. 2. Niemals Allein
  3. 3. Rettungsmission
  4. 4. Wenn Kometen Fallen
  5. 5. Schmetterling
  6. 6. Wenn Du Die Augen Schließt
  7. 7. Scheiss(e) Drauf
  8. 8. Herz Mit Dem Pfeil
  9. 9. Scheinwerfer An
  10. 10. Zuhause
  11. 11. Sekunde
  12. 12. Meine Welt - Demo 2015

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Sophia Bauckloh

"Wenn ich einen Tipp geben kann, dann ist es, einfach machen", rät Sophia Bauckloh jungen Talenten mit Ambitionen, einfach "den Gefühlen freien Lauf …

3 Kommentare