laut.de-Kritik

Wieder verliebt.

Review von

"Blue Lips" ballert. Bumst. Beglückt. Was bin ich froh, er hat den Arsch doch noch mal hochbekommen. Nach dem bedrückend egalen "Crash Talk" und einer Handvoll Singles, die einen, aus dem Kontext des Albums gerissen, zunächst eher ratlos zurückließen, war ich schon dafür gewappnet, festzustellen, dass Schoolboy Q mit einer Reihe moderner Klassiker seinen Teil zu Rap beigetragen, aber mittlerweile sein Pulver verschossen hat und mit dem neuen Album seinen Weg in die Belanglosigkeit fortsetzt. Das Gegenteil ist der Fall.

Q und eine unübersichtliche Reihe an Producern (die Credits listen jeweils mindestens drei pro Track) nehmen den kreativen Fehdehandschuh auf, den er sich selbst vor acht Jahren mit der "Blank Face LP" hingeworfen hat. "Blue Lips" klingt nach durchbrochenen Sackgassen, Schweiß und endlosen Stunden harter Arbeit im Studio, bis alle Samples, unkonventionellen Soundideen und halsbrecherisch abgefahren gerappten Flows sitzen. Es ist ein Album, das in manchen Tracks über Hip Hop rollt wie ein Bus ("Pop feat. Rico Nasty", "Yeern 101", "First", "Pig Feet feat. Childish Major"), in anderen so unverschämt lässig und leichtfüßig die Konkurrenz austänzelt, wie es nur jemand kann, der den inneren Golfer mit dem Gangster versöhnt hat und beide Seiten zu maximaler kreativer Entfaltung bringt ("Blueslides", "Cooties", "Smile").

Das in seiner Dreistigkeit hypnotische Mantra von "Funny Guy" verdeutlicht schon im ersten Track, dass Schoolboy Q lyrisch zu einer auf das Wesentliche reduzierten und deswegen um so stärkeren Form gefunden hat: "Bring the dope bring the hoes bring the money bags in". Dem stellt er aber musikalisch keinen stumpfen Trap oder Drill oder sonst was Ausgelutschtes gegenüber, sondern ein psychedelisches Folk-Instrumental, als würde er aus einem langen, bekifften Schlummer wieder zu sich kommen, um im Folgenden einmal ordentlich aufzuräumen.

Teilweise verabschiedet er sich komplett von der überflüssigen Idee einer Strophe mit Inhalt und lässt auf "Thank God 4 Me" Hook nach Hook nach Hook über den Beat rattern: "My neck piece lookin' like Paris / the Maybach, me and her married", "IG lookin' like Bambi / real life, n***a no grammys", "If you couldn't do the work, why sign / want the money or you wanna inspire?". Er ist die wandelnde One Man Show und kann beides besser als fast alle anderen, den Money Talk und die Inspiration. Dass er in einem Track "I ain't never met God but I bet he know me" (uff!) und in einem anderen "accountant is thrilled / the scars on the back of me healed / why God blessed me, I never deserved it" rappt, wirkt nicht als Zeichen von Unentschiedenheit, sondern zeigt, dass Schoolboy Q entschieden hat, dass er am besten ist, wenn er seine eigenen Widersprüche ungeniert auslebt.

Was zudem seinen Flex von der Konkurrenz abhebt, ist, dass er trotz Reichtum und Ruhm nie den sozialkritischen Biss eingebüßt hat. Wo Genosse Kendrick genialische, ebenso wortgewaltige wie -reiche Essays in Rapform formuliert, reichen Q wenige, lakonische Worte, um zu zeigen, dass er auch auf dem Golfplatz immer noch weiß, wo er steht: "We split the profit with the people we be all lit / top ten, not ten, bitch, we all in".

Das ist alles dermaßen energiegeladen, abwechslungsreich, geil gerappt, dass es fruchtlos ist, dafür Metaphern finden zu wollen, das spricht für sich selbst. Schoolboy Q kann Doubletime, kann sich experimentierfreudig an ein Jazzinstrumental anschmiegen, kann stimmlich sanft und melodiös sein genauso wie absolut brachial.

Diese abwechslungsreiche Brillanz findet sich auch auf musikalischer Ebene wieder. Psychedelik, Jazz, knarziges, treibendes Beatgebrutzel: Alles da. In der Regel geben sich die Soundarchitekten nicht mit einem Beat und Loop pro Song zufrieden, sondern fahren hier noch ein verklatschtes Sample auf, lassen da noch mal überraschend die Bläser reinkrachen, sind der Hörerwartung immer einen halben Schritt voraus. Das ist nie effekthascherisch, sondern immer hörbar darum bemüht, im Kontext des ganzen Albums Sinn zu ergeben, weswegen sich das Soundbild erst nach dem zweiten oder dritten Hören so richtig erschließt. Danach aber fragt man sich, warum das nicht eigentlich alle so machen, so gut funktioniert die Mischung aus artsy und Haudrauf.

Die letzten beiden Tracks bringen das Mojo, das Ying-Yang von "Blue Lips" perfekt auf den Punkt: Erst reißen Schoolboy Q und Childish Major ganz unmissverständlich die Bullenwache samt Personal ab ("Big blue / piggy drew / bake it in your driveway", "Where they at / riot now / red strings, blue strings / what we do / cop down"), und dann lässt er das Album introspektiv, zart, ganz der charmante Drecksack mit einem Herz aus Gold mit einem "You make me smile, smile, smile" auf einem Jazzbeat enden. Klingt wie der Frühling. Hach.

Was die Features angeht, halten Rico Nasty, Freddie Gibbs, Ab-Soul gut bis fantastisch mit, der Rest mitunter weniger, ein oder zwei Tracks hätte man wie bei jedem Schoolboy Q-Album wahrscheinlich noch kürzen können, ansonsten ist "Blue Lips" ein Volltreffer. Es ist so, wie einst Malice sprach auf "It's Almost Dry", Track 12, Vers 2: "Back up on my high horse, it's chariots again / put the ring back on her finger, marry it again". Oder eben, wie Schoolboy Q es selbst verkündet: "Back in love with this shit". Amen.

Trackliste

  1. 1. Funny Guy
  2. 2. Pop feat. Rico Nasty
  3. 3. Thank God 4 Me
  4. 4. Blueslides
  5. 5. Yeern 101
  6. 6. Love Birds feat. Devin Malik & Lance Skiiiwalker
  7. 7. Movie feat. Az Chike
  8. 8. Cooties
  9. 9. Ohio
  10. 10. Foux
  11. 11. First
  12. 12. Nunu
  13. 13. Back N Love
  14. 14. Lost Times feat. Jozzy
  15. 15. Germany 86'
  16. 16. Time Killers
  17. 17. Pig Feet
  18. 18. Smile

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