laut.de-Kritik

Das kann doch unmöglich aus Reykjavik stammen!

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So geht das nun wirklich nicht! An irgendwelche Klischees müssen wir Kritiker uns doch festhalten können. Gerade bei Musikern aus Island gibt es nichts wichtigeres, als irgendwo im Text etwas über Elfen, Vulkane und Geysire zu fabulieren. Jeder vom Feenstaub geküsste Musiker dieser kleinen Insel, auf der alle auf die ein oder andere Weise miteinander verwandt sind, hat wie Björk oder Sigur Rós zu klingen. So steht es geschrieben, so soll es geschehen!

Aber nein, die Samúel Jón Samúelsson Big Band hält sich natürlich für etwas ganz besonderes. Als wäre der leibhaftige Fela Kuti hinter ihnen her, trommeln und tröten sie sich durch den Afrobeat. Gehts noch? Kann hier plötzlicher jeder tun und lassen, was er will? Um mich letztendlich komplett zu verwirren, vermischen sie das Ganze noch mit Funk und Jazz. Wo, bitte, soll ich hier meine zurechtgelegten Bilder von Kobolden und Wildbächen unterbringen? Schönen Dank auch. Wie überaus ärgerlich!

Besserung scheint nicht in Sicht. Schließlich betreibt dieses Hippiegesindel den Schabernack bereits seit vielen vielen Jahren. Diesmal breiten sie sich sogar über ein prall gefülltes Doppelalbum aus, auf denen sie ihren Songs das Recht eingestehen, sich erst langsam zu finden und zu entwickeln. Wie in "Ordeo Ad Chao", das wuchtig wie ein alter Blaxploitation-Soundtrack beginnt, bekommt die Band oft nur eine kleine Melodie zur Hand, aus der sie mit gewaltigen Jams mehr und mehr ausbricht.

Deswegen fordere ich: Gebt Tracks wie "Ethiópían" und "Afrerica" ihren rechtmäßigen Besitzern in Lagos zurück! So etwas kann doch unmöglich aus Reykjavik stammen! Die unbändige Kraft, die in dieser Band steckt, nimmt so doch sonst niemand ernst! Wenigstens haben die Mannen rund um diesen bärtigen Kerl namens Samúel Jón Samúelsson den Anstand, in "Afróbít" Fela Kutis früheren Drummer und musikalischen Dirketor Torry Allen mitspielen zu lassen.

Kurz bevor "Peace" "4 Hliðar" ein stimmungsvolles flauschiges Jazz-Ende beschert, steigert sich das übersprudelnde "Fola" in ein von fieberigen Percussions in Bewegung gesetztes Funk-Monster. Wenigstens zu Beginn von "1st Man From Iceland" lässt die Big Band mit einem verträumten Windspiel-Intro die Isländer raushängen, bevor sie dann doch in einen mörderischen Budos Band-Groove übergehen. Im Verlauf heizen die aufsteigenden Bläser mehr und mehr an, bis sie schließlich wie der Eyjafjallajökull explodieren. Ha! Doch noch ein Island-Schlagwort untergebracht.

Deswegen, aber auch nur deswegen, billige ich euer Spektakel ein letztes Mal. Wenn ihr, liebe Samúel Jón Samúelsson Big Band, meint, damit noch einmal durchzukommen, habt ihr die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht. Beim nächsten Mal können euch selbst euer höllischer Groove, die dichten und scharfkantigen Arrangements und die überbordende Energie nicht mehr retten. Dann erwarte ich von euch die landesüblichen flächendeckenden Keyboard-Landscapes und Texte in eurer für uns Deutsche zu fremd und kurios klingenden Sprache. Sonst kann ich meinen Beruf ja gleich an den Nagel hängen.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Ethiópían
  2. 2. Afróbít
  3. 3. Ordeo Ad Chao
  4. 4. Afrómars
  5. 5. 1st Man From Iceland
  6. 6. Atlantis International

CD 2

  1. 1. Ekki Stela Afríka Fólkinu
  2. 2. Felafal
  3. 3. Dubnotic
  4. 4. Afrerica
  5. 5. Fola
  6. 6. Peace

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4 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Eine der besten Rezensionen, die ich hier bisher gelesen habe. Wenn die Band so viel Spaß macht, dürfen auch ihre Besprechungstexte launig sein!

  • Vor 9 Jahren

    Die Kritik fängt schonmal blöd an, gerade weil die ERSTE international erfolgreiche isländische Band (Mezzoforte) eine Jazz-Funk Combo war. Zudem gibts mit Retro Stefson und Hjálmar auch noch isländische Afro-Beat bzw. Reggae Bands.

    • Vor 9 Jahren

      Da hast du sowas von Recht! Recherche - Null. Cooler Text zwar, aber mezzoforte bei Island zu vergessen, ist wie bei der Musikgeschichte Großbritaniens die Stones oder die Pilzköpfe wegzulassen.

    • Vor 9 Jahren

      Wer Sarkasmus verstehen kann ist klar im Vorteil! Es ging im ganzen Beitrag nicht darum endlich eine Band zu finden, die nicht dem "Prototyp isländischer Musikkultur" entspricht, sondern darum eben gerade diese voruteilsbehaftete Sichtweise isländischer Bands auf humoristische Weise an Hand dieser einen Band zu zerstreuen, ja zu deformieren! Und das ist meines Erachtens kongenial geglückt!
      Dass es generell noch viele andere Bands gibt, die grosse Musik fernab der Pauschalisierung produzieren ist wieder ein für sich stehendes, neues Thema.

  • Vor 9 Jahren

    Wenn man als Isländer keine international zumindest bekannte Band hat wird man in der Schule als der krasseste Looser kaputt gemobbt.