laut.de-Kritik

Ein Inferno gegen den Stillstand.

Review von

Einer von Josh Hommes Spitznamen lautet zwar "Baby Duck", der Wüstenrock-Maestro schlägt aber eher Haken wie ein Hase. Sechs Jahre nach der Tanzflächen-Attacke "Villains" erfindet Homme seine Queens Of The Stone Age auf "In Times New Roman..." noch einmal neu und beeindruckt mit einem der atmosphärisch dichtesten und abwechslungsreichsten Alben der Bandhistorie.

Von außen betrachtet hat sich Hommes Leben in diesen sechs Jahren einmal auf links gedreht. Seine Ehe mit Distillers-Frontfrau Brody Dalle ging inklusive öffentlicher Schlammschlacht in die Brüche, langjährige Weggefährten und gute Freunde wie Mark Lanegan und Taylor Hawkins starben. Schon vor dem Lockdown wählte Homme eine Art Exil und isolierte sich. Lange Zeit sei für ihn nicht an Musik zu denken gewesen. Die Party, die die Band noch auf "Villains" feierte, endete brutal und der Kater hallte Jahre nach. Sorgerechtsprozesse, Entzug und Trauer stellten Homme auf die Probe. Mit dem neuen Album drückt er nun auf den Reset-Knopf.

Der 50-Jährige musste in diesem Lebensabschnitt viele Verluste und Schicksalsschläge hinnehmen. Er selbst sagt in Interviews, er sei kein sonderlich nostalgischer Mensch, was "In Times New Roman..." musikalisch mit frischen Ideen unterstreicht. Es rieselt stellenweise immer noch der Wüstensand der ersten Desert Sessions aus den Boxen. Homme lässt diesen schroffen Sound aus den Anfangstagen aber so harmonisch mit Einflüssen aus Classic Rock, Punk und Garage verschmelzen, dass sich die Queens taufrisch anhören.

Der Opener "Obscenery" stakst mit roboterhaften Riffs voran, während die Rhythmussektion dem Song ein enges Korsett anlegt. Dass Hüftschwung da drinsteckt, wo Queens Of The Stone Age draufsteht, hat sich auch 2023 nicht geändert. Homme versteht es immer noch wie kein Zweiter, mit seinen schrägen Rifffolgen gegen den Strich zu bürsten und dabei stets catchy zu bleiben.

Deutlich geradliniger geht es im Anschluss auf "Paper Machete" zu. Hier brennt die Band ihren typischen Powerrock ab und weckt Erinnerungen an "Little Sister", aber auch Hommes erste Desert Sessions-Gehversuche "Johnny The Boy" schimmern durch. Auch wenn Homme mit seinem grauen Spitzbart mittlerweile eher an Don Quixote als an einen Ginger Elvis erinnert, ist der entsprechende Groove immer noch mitreißend.

Spätestens an dieser Stelle fällt auch auf, dass die Produktion im Gegensatz zu "Villains" deutlich saftiger ausfällt. Die Gitarren haben mehr Durchschlagskraft und Michael Shumans Bassspiel füllt einen größeren Raum aus. Der "Villains"-Sound wirkte irgendwie fettarm. Dass sich die Band mit ihrer Produktion in Eigenregie mehr Tiefe zurückgeholt hat, dürfte gerade die Fans der früheren Diskographie erfreuen.

Der Einstieg bietet also einen erfolgreichen Vibe-Check mit der Rückbesinnung auf alte Stärken. Neue Wege gehen die Kalifornier dann mit "Time & Place", einem verruchten Post-Punk-Perpetuum-Mobile. Der Song entfaltet mit treibendem Basslauf und Sandpapier-Gitarren eine Sogwirkung, die hypnotisierende Tanzflächen-Momente garantiert. Die Queens geben hier die laszive Version der Viagra Boys ab. Da passt es nur, dass sie die Schweden auf ihre US-Tour eingeladen haben.

Einen Stimmungsechsel bietet dann der an Wahnsinn grenzende Marsch "Made To Parade". Der Zirkus hat die Stadt wieder betreten und Homme übernimmt die Rolle des Freak-Direktors, der sich zum Abschluss des Songs in ein euphorisches Crescendo hineinsteigert. Diesem orgelnden Sonderling bei der Entfaltung zuzuhören gestaltet sich als Wonne, wenn gegen Ende Beatles-Parallelen aufkommen und auch Hommes gemeinsame Zeit mit Iggy Pop omnipräsent mitschwingt.

Mit der Single "Carnavoyeur" folgt das Juwel der Platte und wohl einer der ergreifendsten Songs, den Homme je geschrieben hat. Die Gitarren hängen zu Beginn geisterhaft im Äther, während das Keyboard dieses vor Groove triefende Ungetüm anzählt. Wenn Schlagzeuger Jon Theodore dann den Hammer fallen lässt, bewegt sich die Hüfte schon ganz von allein zu der Mischung aus purer Erotik, Melancholie und unschuldiger Hoffnung.

Gitarrenfetzen tauchen auf, umgarnen kurz Hommes Gesang und verschwinden wieder in der Nacht. Der Frontmann scheint mit sich und der Welt Frieden geschlossen zu haben: "When there's nothing I can do / Except enjoy the view / When there's nothing I can do / I smile". Die Gitarre, die hierauf folgt, gleicht einer Sirene, fährt ein bis ins Mark und lässt nicht mehr los. Am Ende bleiben pure Euphorie und ein offener Mund. Der Song dient als Beweis dafür, dass die Band auch heute noch auf dem Fundament von Stoner Rock überragende Innovationen hervorbringt.

So geschieht es auch bei "Sicily" mit seinem Refrain, der mehr wie eine Totenbeschwörung als ein Chorus wirkt. Der knorrige Mittelteil, in dem die Band herunterfährt, lässt wieder Steppenläufer durch den Sand rollen. Die Wurzeln stecken immer noch tief in der Wüste, bilden mit den neuen Klangbildern aber einen modernen Rock'n'Roll, der sich nur schwer kategorisieren lässt.

Wie auch bei "Emotion Sickness", das zunächst klassisch rifforientiert loslegt, um später mit bittersüßem 70s-Glam-Rock-Refrain zu kontern. Hier verarbeitet Homme seine Trennung von Dalle mit deutlicher Sprache: "Gonna vacuum all the parfume / Hit the lights, keep your shit out of sight". Natürlich ist der 70s-Vibe nur echt mit gekonntem Fadeout-Abschluss.

Wenn die Band schließlich auf "Straight Jacket Fitting" durch die Scherben des vorangegangenen Abrisses stapft, wirkt das wie der böse Zwilling von "The Fun Machine Took A Sh*t And Died". Hier ziehen sie nochmal alle Register und besonders Homme dreht gesanglich zu einem schizophrenen Zwiegespräch über die Apokalypse auf: The old world melts like a candle, flickering out". Im Outro sitzt die Band wieder mit Akustikgitarren am Lagerfeuer und lässt das Inferno im Rücken Restwärme spenden. In dieser Konstellation haben Queens Of The Stone Age mit "In Times New Roman..." endgültig zueinander gefunden und ihr vielschichtigstes Werk abgeliefert.

Dieses Album markiert nicht nur einen Neubeginn für Homme, sondern gestaltet sich als Paradebeispiel für eine Band, die Stillstand nicht ausstehen kann, mit ihrer natürlichen Klangevolution moderne Rockmusik definiert und ihr essenzieller Bestandteil bleibt. Wenn man etwas kritisieren möchte, dann vielleicht, dass Homme etwas zu sehr in Wortspiele vernarrt ist. Aber als dreifacher Vater ist das wohl auch irgendwie sein Job.

Trackliste

  1. 1. Obscenery
  2. 2. Paper Machete
  3. 3. Negative Space
  4. 4. Time & Place
  5. 5. Made To Parade
  6. 6. Carnavoyeur
  7. 7. What The Peephole Say
  8. 8. Sicily
  9. 9. Emotion Sickness
  10. 10. Straight Jacket Fitting

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24 Kommentare mit 50 Antworten

  • Vor 10 Monaten

    Irgendwie dachte man, dass die Queens gar kein wirklich schlechtes Album machen können. Nach dem Split von Kyuss bei der ersten Tour Live dabei in Köln im Prime Club schwante einem schon, dass da Potential vorliegt. Das zementierten sie mit den ersten 3 Alben in ordentlichem Umfang. Mit Lullabies kam dann ein kleiner Hänger, der aber schon mit dem nächsten Album wieder wettgemacht wurde. Era wird vermutlich chronisch unterschätzt weil es mit anderen Songstrukturen arbeitet und auch keinen straighten Rocker enthält. Mit Clockwork steigerte sich die Combo nochmals und agierte recht variabel im Songwriting, wie auch im Arrangement. Von Ballade bis Rocker war alles auf sehr gutem Niveau vorhanden. Leider kam dann das, was man nicht erwartet hat. Ein wirklich schlechtes Album, Villains. Nun der Nachfolger und der kann nur besser werden. Beim ersten Durchhören eine solide 3/5. Würde es etwas besser als Lullabies einordnen wollen. Das heißt vor Lullabies und hinter "R".

    • Vor 10 Monaten

      Bin auch seit ewigen Zeiten riesiger Queens-Fanboy und will kurz ein paar Punkte aufgreifen:

      - „Lullabies“ empfinde ich auch als „kleinen Hänger“, weil es ein paar vor-sich-hinmäandernde Füller enthält. Die Hits machen das aber mehr als wett, die ersten neun Tracks hauen mich auch bald 20 Jahre danach immer wieder von den Socken und hätte man „Long Slow Goodbye“ direkt drangehängt und das Album damit abgeschlossen oder „The Fun Machine took a Shit and died“ (was zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als gestohlen/verschollen galt) noch drauf gehabt, wäre es eher eins der besten QotSA-Alben.

      - „Era“ hat einen unangenehmen, aber packenden Sound und keine Ausfälle. „Make it Wit Chu“ mag nicht wirklich darauf passen, aber bei einem so wundervollen Track kann man das verschmerzen. „3s and 7s“ ist aber doch ein straighter Rocker und mit etwas Fantasie auch „Sick, Sick, Sick“. Unterschätzt trifft es schon, zumal es das absolut packende „Into the Hollow“ enthält.

      - Die allgegenwärtige Aversion gegenüber „Villains“ war für mich noch nie nachvollziehbar. Die Kritik an der Produktion sei mal dahingestellt, ansonsten finde ich das Album über die ganze Dauer absolut mitreißend. Jetzt im Kontrast zu „In Times new Roman“ sind vor allem die positive, bisweilen sehr lebensbejahende Stimmung und Texte hervorzuheben. Und „The Evil has Landed“ ist einer dieser Tracks, die mich einfach zutieftst glücklich machen und alles enthält, was ich an dieser Band liebe.

      Diese neue Platte erscheint mir im ersten Durchgang etwas sperrig und bewusst nicht auf Hits ausgelegt (abgesehen von „Paper Machete“, welches mich textlich und musikalisch 100 prozentig abholt), was auch zur Entstehungsgeschichte des Albums passt. Ich freue mich jedenfalls auf die nächsten zig Durchläufe, die ich dieser Band immer gönne.

    • Vor 10 Monaten

      Danke für Deinen Beitrag, auf den ich kurz antworten möchte.
      -ja, bei Lullabies sind einige üble Füller an Bord, die das Album stark nach unten reißen. auch Medication, der im Stil von R gehalten ist, ist auf Dauer nicht so spannend. Das folgende Insane hat einen hooky Refrain, ist aber als Song insgesamt auch nicht deutlich überdurchschnittlich. Tangled spielt da schon ein paar Ligen drüber. Auch In my Head ist bei mir über die Jahre nicht in guter Erinnerung, darum bleibt auch Lullabies eher hinten- auch wenn ich Like a Drug nett finde.
      - zum Thema Füller. Eigentlich gibt es die auf allen Alben. Also richtige Skipper, die einem echt übel auffallen.-vielleicht noch am Wenigsten auf dem Debüt, da gibt sich ein Knaller die Klinke bis dann doch Hispanic kommt ;). Oder sitzt doch das einfallslose Smooth Sailing direkt vor dem Killersong: I appear Missing.
      -und da möchte ich zum Thema kommen, die bei Villains zuerst ins Ohr fielen. Es fehlten die Songs, die einen packen. Mitnehmen und nicht mehr loslassen. Mal zum Debut, Regular John ist ja über jeden Zweifel erhaben, in der Version von Werchter mit Dave Grohl sowieso, aber auch walking on the Sidewalks, Mexicola- wie haut man nur solche Hämmer am Stück raus. Bei Era war es dann, dass sich diese erst mit mehrmaligem Hören erschlossen; Misfit Love- was eine Walze. Nicht aufzuhalten denkt man, vor allem live. Und da stimme ich Dir absolut zu, Into the Hollow ist eine Sahnetrack. Mein Favorit ist aber Suture up your Future. Zaghafter Beginn, dann der verzerrte Basslauf, und der vertrakte Groove. toll. Wobei River, in the Road, super Stimmung im Song und dazu der Refrain.... also Era ist einfach gut.
      -Und dazu Villains, es war das erste Album wo kein Song so wirklich stecken blieb. So wo Du zum Beispiel Hollow zum ersten Mal hörst und denkst, ach der Rest kann warten, nochmal. Wobei. Ich habe gerade nochmal reingehört, der Opener ist wirklich ok. Used to Do ist mau. Fortress plätschert (und ist eine kleine Kopie von Into the Hollow) und der darauf folgende Track Hounted House nervt. Hideaway geht und ich muss sagen, dass Evil has Landed mir nicht besonders gefällt. Es ist sogar so, dass mir die Beliebigkeit im Songwriting, was bei den beiden letzten Alben besonders zu Tage tritt, bei Evil has Landed hervorsticht. Bei Times kommt dann noch auffällig eine gewisse Kraftlosigkeit dazu, die in Villains auch schon auffiel, aber hier noch mehr. Der Opener Obscenery nimmt einen nicht besonders mit, es sind keine Teile enthalten, auf dei man sich freut, wenn sie kommen. Paper Machete ist ein kleines Little Sister, was OK ist, aber auch wieder einen Tick langweilt. Einzig das "dooodoodo" ist irgendwie nett. Abwechslunsgreich, aber kein Songteil der wirklich so richtig mitreißt. Negative Space beginnt schon direkt so; in dem Stil kann Homme nach dem Aufwachen 10 Lieder schreiben. Time & Place beginnt auch in diesem Stil. Beliebig, langweilig, zwischendrin mal kurz was nettes, dann aber weiter im Trott. Dem sich Made to Parade belanglos anschließt. Zu den Besten Liedern zählen die vorab veröffentlichten Carnavoyeur und Emotion Sickness. Straight Jacket ist auch noch OK. Also insgesamt bleibe ich bei den 3/5, wenn es auch nur schwache 3 sind. Und viele Umläufe werde ich dem Album absehbar nicht gönnen, dazu ist es zu beliebig und kraftlos.

  • Vor 10 Monaten

    Brauch für die Platte noch ein paar Durchgänge. So wirklich deftig klingt das alles jetzt wieder nicht, aber die Steigerung im Gitarrensound ist immerhin bemerkbar. Der Sound erinnert mich trotzdem mehr an Villains als an Era Vulgaris. Den Gitarren fehlt es einfach an Kraft, die Drums bumsen nicht rein und der Fokus scheint immer auf den Vocals zu liegen.

    Paper Machete ist leider schon so eine kleine Entäuschung. Das Riff klingt wie Tick Tick Boom, nur ohne richtiges Boom und ansonsten kann ich dem Song auch einfach nichts abgewinnen, schon gar nicht diesem uninspiriertem Solo.

    Richtig, es erinnert an Little Sister und vor allem daran, dass man das schonmal besser gehört hat. Die Review ist schon leicht überschwänglich, ne 5/5 ist es nicht geworden.

    • Vor 10 Monaten

      Bis Time & Space wird geskippt. Das Teil groovt dann aber endlich mal richtig ohne unnötige Unterbrechungen, Fanfaren, etc.

      Made to Parade gefällt ebenfalls, besonders das an EV erinnernde Geklimper will mich losmarschieren lassen. Dieser Paradensound hinten raus passt mir dann aber doch wieder nicht gut rein. (der fügt sich imo nur in der Brücke von Sicily wirklich gut ein) Textlich find ich die Nummer auch ziemlich dünn.

      Evtl. zieht mich live dann noch was anderes mit, aber würde auch eher ne 3/5 geben.

  • Vor 10 Monaten

    naja, unnötiges Album

    Die Geschichte ist auserzählt. Aber manche Alben bekommen halt oiööad

  • Vor 9 Monaten

    Voll gut, endlich werden die 90er mal aufgegriffen. Ne Chart Show dazu wäre nice.

  • Vor 9 Monaten

    So meine lieben Tüpis! Da hier fast nur komische Takes herumgeistern, sehe ich mich genötigt mal ein paar objektive Tatsachen zu verkünden. Nicht nur ist das Album sehr gut (4/5 mit leichten Abstrichen) es ist auch einen Ticken schlechter als Villains.
    Liegt vielleicht auch daran, dass mir die relativ bunte, lebensbejahende Villains-Wundertüte vom Vibe her einfach ein bisschen besser gefählt als da düsterere, verruchtere Times New Roman mit einer starken thematischen Schlagseite von "mir wurde komplett der Boden unter den Füßen weggerissen und ich weiß nicht, wohin mit mir". Biografisch ist das aber natürlich mehr als verständlich und Produktion, Songwriting und Arrangemönts sind wirklich fast durchgehend on point.