laut.de-Kritik

Morning Glory post-Oasis.

Review von

Einen Filter für seine große Klappe hatte Noel Gallagher noch nie. Meinungen über alles und jeden zeichnen den Songwriter genau so aus wie zeitlose Klassiker à la "Don't Look Back in Anger". Die herrlich schlecht gelaunten Zitate über Gott (also er selbst) und die Musikwelt im Allgemeinen sind neben den frühen Oasis-Alben heute vollkommen zurecht ein National Treasure. Seine herrlich bösen Punchlines nahmen dabei keinerlei Rücksicht auf Beliebtheit oder Familie. Sein jüngerer Bruder Liam bekam einmal den Satz an den Kopf geworfen, er sei in einer Welt voller Suppe der Mann mit der Gabel.

Diese kleinen Gehässigkeiten besaßen einen gewissen Reiz, als Noel nur seine eigene kleine Welt kommentierte. Zweifel- bis mangelhaftes Wissen über Politik hält den Rebellen ohne Grund aber nicht davon ab, auch mal die Notwendigkeit von Covid-Masken oder der Impfung durch den Dreck zu ziehen. Vor mittlerweile zehn Jahren begann seine Solo-Karriere mit den High Flying Birds und so umfasst das Best-Of-Album "Back The Way We Came: Vol. 1 (2011–2021)" satte 20 Songs in der normalen Version und zusätzlich noch einmal 18 Songs in der Deluxe-Variante. Ausmaße, als würde er noch wie zu Oasis-Zeiten die Welthits aus dem Ärmel schütteln.

Schon das finale Oasis-Album "Dig Out Your Soul" zeigte einen neuen düsteren, psychedelischen Weg, den "Everybody's On The Run" auf Noels Debüt konsequent weiter führt. Der Sound des Albums klang deutlich introspektiver als der seiner ehemaligen Band. Beziehungsprobleme und Bitternis sorgten für eine düstere Note. "If I Had A Gun" zeigt die verletzliche Seite, die Noel laut seiner Aussage bei Oasis nicht genügend ausleben konnte. Lustigerweise erinnerte er sich selbst kaum an den Song, bis er wieder auf den Youtube-Mitschnitt der Südamerika-Tour stieß. Die Ur-Version klang 2008 natürlich noch mehr nach der ehemaligen Band und wirkt in der fertigen Fassung pompöser und dramatischer. Gallagher setzte mit diesem Album ein Zeichen, auch an die Kritiker. Ein glorreicher Morgen nach der schmerzhaften Trennung sollte aufziehen.

Der Nachfolger "Chasing Yesterday" ändert die Richtung nur marginal, wirkt aber insgesamt entschlackter und wieder rockorientierter. "Riverman" erinnert an die Brillanz von Pink Floyd in ihrer "Dark Side Of The Moon"-Phase. Selbst ein Rock-Soli, immer Garant für hochnotpeinliches Muckertum, wirkt wie auch der Saxophon-Einsatz komplett stimmig. Der Song ist ein absolutes Band-Highlight und kann es mit Oasis-Songs aufnehmen. Auch für "Ballad Of The Mighty I", das von einem Disco-Beat zum Trip-Hop-Rave hetzt, gehört eindeutig zu Noels besserem Material.

Das dritte Album "Who Built The Moon" polarisiert 2017. Vorbei all die Schwermut, dafür das komplette Glam-Rock-Paket mit Vollgas. Ein Werk, das den Restspuren von Selbstzweifel mit Gute-Laune-Fanfaren den Kampf ansagt und Noels Interesse am tanzbaren Sound seiner Jugend in seligen Madchester-Tagen widerspiegelt. Viel Ethno-Einflüsse und ein sicherlich glücklicher Produzent David Holmes, der jeden erdenklichen Effekt auf die nächste und übernächste Soundschicht einsetzen durfte.

Ein Album, das gerne sehr groß klänge, und längst abgenutzte Gallagher-Standards noch einmal bis zur Selbstkarikatur aufbläst. Das großartige "Dead In The Water" durfte auf die Deluxe-Edition. Diesen Fehler wiederholt die Compilation zum Glück nicht. Ohne Bombast, Tralala und Shalala zeigt das traurige Akustik-Lied, dass Noel immer noch Songs schreiben kann, die tiefe Emotionen auslösen. Wenn Noel fast die Stimme wegbricht, während er "Let the storm rage / I'd die on the waves / But I will not rest while love lies dead in the water" singt, erinnert man sich wieder an diese Momente, in denen Oasis einem die ganze Welt bedeuteten.

Auch das schwache EP-Material bekommt die volle Aufmerksamkeit seines Schöpfers. Der schröckliche Weihnachtskitsch "Wandering Star" fehlt zwar vollkommen zurecht, dafür dürfen "Blue Moon Rising" und "This Is The Place" den Platz als schwächste Noel-Songs ever unter sich ausmachen. Die Messlatte nach ganz unten legt aber dann doch das neue "We're Are On Our Way Now", eine furchtbare und saftlose Harmlos-Ballade. Diese aalglatte Nichtigkeit könnte auch aus der Feder von Erzfeinden wie Sting oder Phil Collins stammen. Genau die Art von Musik, gegen die Oasis einst antraten und aus den Charts vertreiben wollten. Der kreative Tiefpunkt einer nun auch schon nicht mehr ganz jungen Solo-Karriere.

Auch das Bonus-Material fährt reichlich Unnötiges auf. Halbgare Remixe und Akustik-Versionen von eh schon ruhigen Songs wie "Dying Of The Light" bieten kaum Mehrwert. Der wirkliche interessante "If I Had A Gun"-Remix von Amorphous Androgynous (ehemals The Future Sound Of London) fehlt leider. Das gemeinsame Album mit dem Produzententeam wartet immer noch auf seine Veröffentlichung, gilt abwechselnd als gecancelt oder verschollen. Der letzte Stand ist, dass Noel die Masterbänder in seiner Schmutzwäsche fand. "Do The Damage" von der "Chasing Yesterday"-Bonus-Version liegt dort nicht, aber schlägt die Skeleton Key-Remixe von den fast vergessenen The Coral um Welten. Warum genau diese hingeschluderten Remixe den Vorzug vor dem starken B-Seiten-Material bekamen, wird wohl eines der vielen Geheimnisse von Noel bleiben.

Immerhin bleibt die Zukunft der High Flying Birds kaum vorhersehbar. Auch wenn gerade die letzten Songs nicht gänzlich überzeugen, zeichnet den bisherigen Output von Noel Gallagher's High Flying Birds die Lust auf Veränderung aus. Die letzte Ausfahrt Dad-Rock-Disco muss nicht jedem gefallen, aber verlässt immerhin die bekannten Britpop-Pfade von Oasis.

Trackliste

CD1

  1. 1. Everybody's On The Run
  2. 2. The Death Of You And Me
  3. 3. AKA … What A Life!
  4. 4. If I Had A Gun …
  5. 5. In The Heat Of The Moment
  6. 6. Riverman
  7. 7. Lock All The Doors
  8. 8. The Dying Of The Light
  9. 9. Ballad Of The Mighty I
  10. 10. We’re On Our Way Now

CD2

  1. 1. Black Star Dancing
  2. 2. Holy Mountain (Remastered)
  3. 3. A Dream Is All I Need To Get By
  4. 4. This Is The Place
  5. 5. It’s A Beautiful World
  6. 6. Blue Moon Rising
  7. 7. Dead In The Water (Live At RTÉ 2FM Studios, Dublin)
  8. 8. Flying On The Ground

Bonus CD

  1. 1. It’s A Beautiful World (Instrumental)
  2. 2. If I Had A Gun … (Acoustic Version)
  3. 3. Black Star Dancing (Skeleton Key Remix)
  4. 4. Black Star Dancing (12” Mix Instrumental)
  5. 5. The Man Who Built The Moon (Acoustic Version)
  6. 6. International Magic (Demo)
  7. 7. Blue Moon Rising (Sons Of The Desert Remix)
  8. 8. The Dying Of The Light (Acoustic Version)
  9. 9. This Is The Place (Skeleton Key Remix)
  10. 10. This Is The Place (Instrumental)
  11. 11. Black Star Dancing (The Reflex Revision)
  12. 12. Be Careful What You Wish For (Instrumental)

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4 Kommentare mit 31 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Ich kenne einen wahllos hörenden User dem hier die Mette rotieren wird.

  • Vor 2 Jahren

    Überflüssiger Pubrock, wie schon Oasis. War mal für ein paar Jahre in seiner Stupidität ganz unterhaltsam, aber altert ebenso schlecht wie die gelangweilt wirkende Pflichterfüllung seines Herumtrollens. Die Gallaghers sind längst sowas wie die Böhsen Onkelz von England.

    • Vor 2 Jahren

      Du machst mir langsam Konkurrenz. ;)

    • Vor 2 Jahren

      Ich find "Wonderwall" ganz gut. Kennt ihr das?

    • Vor 2 Jahren

      Wonderwall? Kenn die Scheiße nicht ;-)

    • Vor 2 Jahren

      Als jemand, der Mitte der 90er den sagenhaften Aufstieg von Oasis miterlebt hat, als Oasis für 2 Jahre die größte Band...nein, anders: als Oasis für 2 Jahre die Könige der Welt waren und jeder der atmen, sehen und hören konnte und dem auch nur ansatzweise was an Gitarren lag von diesem Hype mitgerissen wurde (was heute ja einige Zeitgenossen inzwischen verleugnen), als Herr Gallagher also mit "Definitely Maybe" und "Morning Glory" ein Spektakel auslöste, das einen erahnen ließ, wie es war, wenn man in den 60ern zu ersten mal die Stones hörte, also als so jemand muss ich entschieden widersprechen. Ich weiß, das war jetzt ein viel zu komplizierter Schachtelsatz. Aber wer ihn verstehen will, versteht ihn auch.
      Ich widerspreche nicht weil Ragism Oasis nicht mag. Oasis haben im Spätwerk auch mich oft nicht überzeugt.
      Sondern zum einen weil er die Musik der High Fliying Birds als Pubrock bezeichnet. Ich versteh nicht ganz, wie es zu diesem Vergleich kommt. Bei Pubrock denk ich an ganz andere Musik. Außerdem scheint mir das adjektiv "überflüssig" in diesem Fall falsch gewählt. Überflüssig kann es nicht sein, wenn es Millionen Teenagern unbeschadet durch die Pupertät gebracht hat. Ja, das Songwriting der High Flying Birds - Alben ist nicht immer sonderlich originell. Aber ich glaube es tut der Seele vieler s.g. Fans gut.
      Ich war vor wenigen Jahren auf einem Konzert von Noel Gallagher. Und ja, es gab da ein paar Längen. Aber ich habe gesehen, wie sich dutzendweise Mittdreißiger in den Armen lagen, als "Don´t look back in anger" gespielt wurde. Erwachsene Männer, die sich einfach in den Armen lagen. Den Tränen nahe. Ich muss eigentlich nicht erwähnen, dass beim Refrain die Band selbst aussetzen konnte. Der Song lief trotzdem nahtlos weiter. Das Publikum war Textsicher, die Stimmung im Saal euphorisierend. Das sind Momente, die für immer in Erinnerung bleiben. Und da kann Ragism jetzt wieder irgend n destruktives Zeug raushauen. Ich kann mich nur widerholen: Mir tut´s in der Seele gut !

    • Vor 2 Jahren

      gefühle, die ragism, der alte alman, einfach nicht kennt :P

    • Vor 2 Jahren

      Ne, solche Gefühle der Nostalgie kenn ich nicht. Bis auf "Wundermauer" hab ich die Morning Glory damals ja auch gefeiert. Es ist für mich nur heute schwer nachvollziehbar, was ich an der Band mal gut fand. Bei den Britpopkollegen von Blur oder Pulp verstehe ich es heute noch sofort. "Schlecht gealtert" eben.

  • Vor 2 Jahren

    Ich könnte, wenn mein Leben davon abhinge, nicht Kendal und Kylie Jenner unterscheiden. Das gleiche gilt für Liam und Noel

    • Vor 2 Jahren

      Ich hab ja schon Probleme mit Lora_Zepam und Breakfordingsbums.

    • Vor 2 Jahren

      Tröste dich, das Problem hast du exkl... Ich meine inklusiv.
      Aber Ja. Ich weiß. Du bist auch etwas ganz, ganz besonderes. Aber immerhin, du darfst auf jedem Parkplatz parken und vergünstigt ÖPNV nutzen ist doch auch schön. Bleib tapfer kleiner Freund

  • Vor 2 Jahren

    Also was ist dein ein Rock-Soli? Und auch das berühmte Suppenzitat klingt so übersetzt nun eh nach einem dusseligen Liam, war aber ursprünglich dafür da Ärger und Wut zu beschreiben. Ansonsten, ja, wer Noel mag hat die CDs eh, ein Album wie The Masterplan gefüllt mit guten B-Seiten ist es leider nicht. Solange es keine Reunion gibt bin ich zufrieden.