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Morrissey vs. Diversity

Morrissey hat nämlich mal wieder ein gefilmtes Interview gestattet. Im Rahmen seines London-Auftritts im Oktober setzte er sich mit einer Journalistin zusammen und liefert die übliche Morrissey-Show: 16 Minuten Elfenbeinturmtalk, unbescheidene Beweihräucherung des eigenen Schaffens sowie (für seine Verhältnisse sanfte) Kritik an aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Dass die an kritischen Fragen nicht interessierte Journalistin im Vorfeld vom Management gebrieft wurde, ist natürlich böswillige Spekulation. Wahrscheinlich war das gar nicht notwendig, liest man Fiona Dodwells fast schon einfältig mit Superlativen getränkte Konzertbesprechung auf medium.com mit der Überschrift "Morrissey At The Palladium: Art Always Wins".

So wurde selbstverständlich erneut die Chance vertan, ihn auf den weithin dokumentierten Rechtsruck vieler seiner Aussagen und Auftritte anzusprechen. Spannend würde ich es auch mal finden, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass die von ihm als "Unterart" verschmähten Chinesen einen Umgang mit der Pressefreiheit zelebrieren, die ihm eigentlich hochgradig sympathisch sein müsste. Stattdessen erfährt man, dass aktuell natürlich niemand im Popgeschäft seinen Ansprüchen an die Kunst des Songwritings gerecht wird. Stadionbands seien reine Industrieprodukte, doziert Morrissey, er selbst dagegen ein Produkt des Volkes, nur elend schlecht beleumundet bei Plattenfirmen, aber kein Wunder, schließlich sei er "nicht manipulierbar".

Ist sein selbstgefälliges Narrativ des unverstandenen Künstlers in seiner kompletten Überzeichnung stellenweise noch amüsant, endet es seit Jahren bei seinen reaktionären Kommentaren zu aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen. Dieses Mal arbeitet er sich am Begriff der Diversität ab: "Alle reden jetzt von Diversität - Vielfalt ist, dass du Menschen nicht kennst. Diversität ist ein anderes Wort für Konformität. Niemand denkt beim Wort Diversität an die Dinge, die wir nicht gemeinsam haben. Das wird ignoriert. Dabei wurden dadurch früher fremde Länder gerade interessant: Man ging nach Deutschland oder Italien und lernte dort eine großartige Kultur kennen. Aber heute soll alles überall gleich werden. Diversität steht nicht für Avantgarde und mutige Kunst, es ist ein furchtbares Wort." Im Kontext seiner Furcht vor Überfremdungstendenzen in Großbritannien darf diese Aussage nun jeder selbst deuten. Allerdings: Sein jüngster Rauswurf bei der Plattenfirma BMG, wo 2020 "I Am Not A Dog On A Chain" erschien, soll übrigens zustande gekommen sein, weil der neue Labelchef mehr Diversität für seinen Artist-Katalog wünschte.

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