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Der Fußball-Tabellen-Effekt

Das ist jetzt alles bis hierhin auch noch völlig wertneutral formuliert. Jede Szene besitzt horizontale und vertikale Stränge und gerade Stars wie Taylor Swift, Kanye West oder Beyoncé laden genau diese Dynamiken auch ein. Nur im K-Pop scheint es mehr als in irgendeiner anderen Szene der Modus Operandi zu sein, vor allem, was den sozialen Aspekt von Fandom angeht. Von K-Pop-Fans wird eigentlich erwartet, jemandes Stan zu sein. Und das führt zu etwas, dass ich gern als den "Fußball-Tabellen-Effekt" bezeichnen würde.

In Theorie wäre alles natürlich schön und gut und whatever, dass sich Fandom hier so organisiert und dort anders. Aber natürlich sind K-Pop-Fandoms keine friedlich koexistierenden, kleinen Königreiche. Die Notwendigkeit zum Vergleichen war schon immer ein fester Bestandteil der Fankultur, ich erinnere mich zu Beginn meiner Hochzeit an blutige Scharmützel zwischen Armys und Exo-Ls - und ich habe das Gefühl, heute geht die Tendenz weg von einzenen Fanwars hin zu einer generell konfrontativen und snarky Stimmung zwischen Gruppen.

Das heißt, Leute pissen einander weniger frontal ans Bein, stattdessen hat sich eine Kultur des Point-Scorings herauskristallisiert. Das offensichtlichste Beispie dafür ist die Obsession mit Zahlen. Gruppe x verkauft so viele Alben, Gruppe y so viele. Wer steigt in Zahlen, wer sinkt? Man sollte meinen, wenn einem die Musik gefällt, ist das herzlich egal, aber wer einmal ein bisschen zu tief in K-Pop-Gruppen-Diskurs gesunken ist, weiß, dass diese Zahlen überraschend wichtige Marker sind. Sie funktionieren ein bisschen wie Spekulations-Marker. Kep1er zum Beispiel verkauft trotz der generellen Verkaufs-Renaissance von Comeback zu Comeback weniger. Die Stimmung von ihren Fans ist entsprechend schlecht. Gruppen wie IVE oder NewJeans gehen kommerziell komplett ab - die einzelnen Gruppen werden davon beflügelt.

Ein bisschen ist der Erfolg einer Gruppe so etwas wie das Versprechen, darunter eine lebende Community zu finden. Trittbrettfahrerei kommt eher aus der Fomo, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Aber natürlich legt nicht nur kommerzieller Erfolg Punkte in die Fußball-Tabelle. Und hier ist der Punkt, an dem es für mich besonders spannend wird.

Meine wilde These ist nämlich, dass viele Leute auf die selbe Art, wie sich Verkaufszahlen quantifizieren lassen, nun versuchen, musikalische Qualität zu quantifizieren. Ja, meine Gruppe ist ein bisschen kleiner, aber dafür hat sie Qualität xy, sie ist underrated. Es gibt zum Beispiel so viele fragwürdige Profi-Sänger-Coaches auf YouTube, die sich ein Geschäft daraus gemacht haben, die Gesangstechnik von Idols zu bewerten. Da wird dann gezählt, was die höchste Note ist, die ein Idol treffen kann. Ich weiß auch nicht, wie viele Kids ich schon davon schwadronieren gehört habe, ob Idol x jetzt die Stimme supportet oder nicht - als wäre das davor bei irgendeiner jemals gehörten Musik auch nur der Hauch eines Anliegens gewesen.

Auch hier geht es wieder um Scoreboard-Punkte. Jede Gruppe bekommt ein Set an Narrativen und Argumenten, um es tabellarisch vor die anderen zu stellen. Und das fängt dann als Lob an und endet oft erweitert zu einer Herabwürdigung anderer Gruppen. Zum Beispiel:

NMIXX sind großartige Sänger (bis hierhin richtig!) - in der vierten Generation kann ja eigentlich keiner mehr gut singen ( :( )

Twice hat diese coolen, energetischen Bubblegum-Konzepte (i agree!) - alle anderen sind so ernst und langweilig geworden, die wissen gar nicht mehr, was K-Pop ist ( :/ )

(G)I-Dle produzieren ihre eigenen, feministischen Songs (cool, cool) - von allen anderen würde ich nicht sagen, dass sie echte Künstler sind

So etwas ist auch nicht schwer zu finden, eigentlich muss man nur immer da filtern, wo das Wort "refreshing" gesagt wird. Das wird nämlich immer wieder benutzt, um gleich irgendetwas anderes schlechter zu finden.

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