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Der letzte Arschtritt

Bibelfeste Christenmenschen wissen: Auf das letzte Abendmahl folgt die Kreuzigung. Viel passender könnten wir also nicht zu einem Thema überleiten, das inzwischen wahrhaftig nicht mehr neu ist. Mein Zorn schwelt aber trotzdem ungebrochen.

Die Juice, die Spex und rap.de gibts nicht mehr. Der dahinterstehende Verlag hat alle drei Läden dicht gemacht - mit unglaublich liebevollen, individuellen Abschiedsschreiben:

Wow. Da fühlt man sich schon als Leser*in so richtig wertgeschätzt. Kaum auszudenken, wie es angesichts dessen den Menschen gehen muss, die teils bis zuletzt und weit über die Grenzen der Selbstausbeutung hinaus für diesen Laden gearbeitet haben - aus Liebe zur Sache. Dass sie bei Piranha jetzt so tun, als seien sie Coronakrisenopfer, obwohl man auch mit zwei ausgestochenen Augen sah, wie da der Karren schon Jahre vorher gegen die Wand gefahren wurde: geschenkt. Was ich echt wirklich kaum aushalten kann, ohne irgendjemanden würgen zu wollen: Wie, bitte, kann man so mit Leuten umgehen, noch dazu mit seinen eigenen? Wie krank skrupellos muss man sein, Menschen quasi ohne Vorwarnung um ihre Arbeit zu bringen, um ihre komplette Reputation, um ganze Karrieren zusammen mit einem riesigen Stück Musikgeschichte grußlos das Klo runterzuspülen?

Mit den Webseiten verschwanden die umfangreichen Archive aus dem Netz. Bei der Juice und der Spex find' ich das auch krass, wenn auch ein kleines bisschen weniger tragisch: Beide Publikationen haben immerhin noch eine greifbare Vergangenheit in Print-Form, sie sind nicht komplett weg. rap.de dagegen schon. Hunderte Texte und Videos, News, Features, Kommentare, Interviews ... alles futsch. Wenn ein großer Teil deines beruflichen Werdegangs gewesen ist, für rap.de zu schreiben: Ja, Pech. Haste jetzt halt nichts mehr, worauf du verweisen kannst.

Die teils galgenhumorigen, größtenteils aber komplett resignierten Nachrichten, die mich in den letzten Wochen von verschiedenen Kollegen erreichten, die für rap.de oder die Juice gearbeitet haben, sprechen Bände. Man habe "sich eh schon daran gewöhnt, dass man als Mitarbeiter wenig wertgeschätzt wird", lese ich da. Keine Warnung habe es gegeben, entsprechend keinerlei Möglichkeit, noch irgendetwas zu sichern, erklärten ehemalige Autoren von rap.de übereinstimmend und empfinden das Vorgehen des Verlags als genau das, was es ist: eine dreiste Beleidigung für sich und ihre Arbeit.

Nun, ja. Bei Piranha pflegten sie ja seit Jahren schon eine sehr seltsame Form von Mitarbeiterführung. Dass immer wieder ganze Redaktionen die Brocken hinschmissen, wird schon Gründe gehabt haben, und dass gerade die qualifiziertesten, motiviertesten Leute mit der größten Liebe für die Kultur zum Dank für ihr Herzblut am immer bitteren Ende noch über den Tisch gezogen wurden, ist ja ebenfalls ein recht offenes Geheimnis.

Fickt euch, Piranha. Fickt euch einfach.

... aber Glückwunsch! Das muss man auch erst einmal schaffen, noch vor Fettes Brot zu krepieren.

Eventuell wirds übrigens doch noch lustig: Ich hab' heute mittag rein zufällig ein etwa zehnminütiges Zeitfenster erwischt, in dem - ich schwöre, ich habe Zeugen! - unter www.rap.de eine zwar sehr zerschossene, aber doch immerhin existente Seite aufrufbar war. Jetzt steht da zwar wieder der Retorten-Nachruf, aber wer weiß? Sollten da gerade irgendwelche findigen Hackerlein am Werk sein: Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren? Man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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