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Cheers!

Zu lesen, dass Kanye ein über zwei Stunden langes Interview gibt, hätte in mir vor vier Jahren eine ähnliche Reaktion ausgelöst wie eine unangekündigte Hitzefreimeldung zu meiner Schulzeit. Jetzt erfüllt es mich mit einem mulmigen Gefühl der Unruhe und der fast sicheren Gewissheit, dass der Mann, den ich fast mein ganzes Leben idolisiere, wieder etwas Dummes sagen wird. Zurecht, wie sich herausstellt.

In den knapp 145 Minuten wird vor allem eins deutlich: Kanye West hat in der Zeit seit "Jesus Is King" keine wundersame, sakrale Läuterung durchlaufen. Da sitzt der gleiche Mann, der 2009 Taylor Swift ihr Mikro aus der Hand riss, der gleiche Mann, der wenig später eines der besten Alben aller Zeiten veröffentlichte, der gleiche Mann, der Donald Trump blind den Rücken stärkte, und der gleiche Mann, der all das hinter sich lassen wollte, um Gott zu dienen. Ein Mann, der impulsiv und unberechenbar ist, weil sein Gottkomplex seiner eigenen psychischen Gesundheit im Weg steht.

Es ist gleichermaßen faszinierend wie verwirrend und anstrengend, Kanye beim Reden zuzuhören. Gefühlt alle dreißig Sekunden schwirrt ihm ein neuer Gedanke ins Hirn, den er ungefiltert nach außen trägt. Das führt wieder und wieder dazu, dass er blindlings vom eigentlichen Thema abdriftet, bis niemand mehr so recht weiß, worüber er eigentlich gerade redet. Meine Augenbrauen haben mittlerweile wahrscheinlich mehr Muskeln als meine Oberarme, so oft wie ich sie während dieses Interviews hochziehen musste.

Dabei fängt es tatsächlich halbwegs konstruktiv an, ehe Ye aufgrund seines zunehmendem Alkoholpegels und der halbgaren Fragen mehr und mehr in Schimpftiraden und Rants abdriftet. Die sind zwar unterhaltsam, erklären aber auch, wieso der Mann so lange kein Interview mehr gab und wieso das zukünftig auch so bleiben sollte.

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