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Nur Hokuspokus?

Keine Woche zieht derzeit ins Land, in der nicht irgendein Medium seiner Leserschaft zu erklären versucht, warum "gerade dieser Deutschrap" so besonders anfällig für die aktuell überall ins Kraut schießenden Verschwörungsmythen sei. Statt tatsächlich irgendetwas zu erklären (oder es wenigstens zu versuchen), beschränken sich die Autor*innen solcher Artikel dann aber meist doch bloß darauf, aufzuzählen, was die drei, vier auch abseits der Rap-Blase bekannten Figuren jeweils wieder Dummes von sich gegeben haben.

Sebastian Leber macht es im Tagesspiegel nicht besser. Ohne einen Hauch von Differenzierung schert er "die Rapper" über einen Kamm, unterstellt "der aktuellen Rappergeneration" kollektiv "politische Ahnungs- und Ambitionslosigkeit":

"Doch statt sich etwa um soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierungen aller Art, um Klimakatastrophe, Nord-Süd-Gefälle, ertrinkende Flüchtlinge, Korruption, sexuellen Missbrauch, Altersarmut, reflektierte Kapitalismuskritik, die Ausbeutung prekär Beschäftigter, organisierte Kriminalität, Polizeigewalt, Waffenexporte oder wenigstens um die miese Netzabdeckung zu kümmern, begnügen sich die Deutschrapper mit Hokuspokus."

Klar, den Eindruck kann man bestimmt bekommen, wenn man halt wirklich nur Kollegah, Sido, Fler und ein, zwei -eros kennt. Bin mir halt nicht sicher, ob man dann wirklich über deutschen Rap schreiben und das ohnehin schon unvorteilhafte Bild, das sich oberflächliche Betrachter machen, noch zementieren muss. Ich brauch' tatsächlich nicht besonders angestrengt nachzudenken, um zu jedem der genannten Themen, um die sich deutsche Rapper angeblich nicht kümmern, einen, drei, fünf oder sieben Tracks aufzuzählen - außer vielleicht miese Netzabdeckung. In Lebers Welt scheint es das alles aber nicht zu geben, da begnügen sich "die Deutschrapper" ja mit "Hokuspokus":

"Weil sie dies so laut und reißerisch tun, überdecken sie auch jene seltenen Stimmen, die sich um echte Gesellschaftskritik bemühen. Sie wirken wie die Schafe in Orwells 'Farm der Tiere', die mit penetrantem Geblöke jede nötige Kritik an den Herrschenden verhindern."

Nö. Diese gar nicht mal so seltenen Stimmen überdecken vor allem die, die unentwegt die lauten, reißerischen Kandidaten als stellvertretend für das ganze Genre hinstellen. "Weil sie sich in Märchen verlieren, finden sie sich mit den weltlichen Verhältnissen ab, sind angepasster und satter als Ü50-Musiker wie Smudo, Campino oder Die Ärzte." Sorry, dazu kan ich eigentlich gar nichts mehr sagen. Bei aller Sympathie für Smudo: Satter und angepasster als diese Genannten kommt mir tatsächlich keiner der geschmähten "deutschen Gangsterrapper" vor, unabhängig davon, ob ich mit ihrem Schaffen jetzt besonders viel anfangen kann oder nicht.

Statt, wie die Headline versprochen hat, herauszufinden, "warum der Deutschrap so verstrahlt ist", habe ich Zeit mit einem weiteren Früher-war-alles-besser-hach-die-Hosen-DAS-war-noch-Gesellschaftskritik!-Pamphlet vertan. Erspart ihr euch das.

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