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Bela B: Scharnow

Worum geht's?

Das Dorf, das dem Roman den Namen gibt, ein Kaff irgendwo im brandenburgischen Niemandsland, ist nur Kulisse. Bela B. Felsenheimer versammelt in seinem Scharnow einen Literaturblogger, diverse Waffennarren, Pornodarsteller, Gore-Film-Freunde, Verschwörungstheoretiker, ein Rudel Alkis auf der Suche nach der Glückseligkeit, Rassisten und solche, die (aus uneingeschränkt guten Gründen!) vorgeben, welche zu sein, ein Mangamädchen und seine Oma (die, wie sich herausstellen soll, ein Faible für drastische Schimpfwörter hat), einen syrischen Geflüchteten, Mobber und Gemobbte, einen übergriffigen Schulleiter, einen Transvestiten, zwei verfeindete Brüder, einen mäßig begabten Polizisten, einen Ex-Hooligan, einen Milliardär, der sein Vermögen mit Gülle gemacht hat, ein mordlustiges Buch und ein irritiertes Kreuzworträtselheft (dafuq?), einen Hund mit prominenter Verwandtschaft und eine Katze mit politisch hochrangiger Vergangenheit, ein schwules Eichhörnchenpaar und, Ionesco lässt grüßen, ein Rhinozeros mit telepathischer Begabung. Menschen mit Superkräften kommen ebenfalls vor, insbesondere der fliegende Mann, der den Buchumschlag ziert. Außerdem: ein paar Seelen auf Zwischenstation vor ihrer Reinkarnation, und ihre Parkplatzwächter.

Klingt überladen? Hölle, ja. Und ich hab' bestimmt die Hälfte vergessen. Obwohl es so fuckin' viele sind, zeichnet Felsenheimer alle seine Charaktere derart plastisch, dass sich auch die bescheuertsten ihrer Beweggründe mühelos nachvollziehen lassen. Etwa, warum vier Männer splitternackt und mit Küchenutensilien bewaffnet, den örtlichen Supermarkt überfallen müssen.
Die wirren, vielfach miteinander verflochtenen Geschichten der Protagonisten reißt der Autor größtenteils nur an. Allein in diesen kurzen Schlaglichtern stecken aber schon wieder so viele Ideen, dass es, formulierte die jemand aus, für mindestens drei weitere Romane reichen würde. Ich hoffe, Herr Felsenheimer schreibt noch ein paar. Dieser hier war rasant, überfrachtet, durchgeknallt, originell und ganz wunderbar.

Wer hat's geschrieben?

Der Drummer der Ärzte ist ein Mann vieler Talente, wie es aussieht: Einige Kurzgeschichten hatte Bela B. zuvor bereits veröffentlicht. Mit "Scharnow" versucht er sich erstmals auf Romanlänge. Experiment: erfolgreich. Kopf des Lesers: explodiert. Eine solche Fülle teils vollkommen schräger Gestalten, bekloppter Ideen und kruder Handlungsstränge, wie sie dieses Buch präsentiert ... kannste dir nicht ausdenken, denkste? Denkste! Felsenheimer kann das wohl.

Wer soll's lesen?

Jeder, der es sich nicht vorlesen lassen will: Die vom Autor gesprochene Hörbuchfassung ist ebenfalls grandios unterhaltsam.

Das beste Zitat

"Das mit Phosphor bestückte Projektil traf Jason am Hals, bohrte und brannte sich seinen Weg nach oben. Durch den zum Schrei geöffneten Mund illuminierte das Leuchten des Geschosses mit flackerndem Schein den weiterhin dunklen Flur. Es war ein grauenerregender, aber auf perfide Art auch ästhetischer Anblick - und Ortwin Karpskis einst so geliebte Videokamera fing alles ein."

Wertung: 4/5. Text von Dani Fromm

Bela B - Scharnow, Heyne, 416 Seiten, gebunden, 20 Euro

Bela B - Scharnow*

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