laut.de-Kritik

Starker Neustart mit Country, Rock und Psychedelia.

Review von

Mit strahlender Country-Prominenz ist Nashville ins neue Jahr gestartet. Mainstream-Acts wie Brooks & Dunn, Zac Brown Band und Kelsea Ballerini boten über 200 000 Besucher*innen und weitaus mehr Fernsehzuschauer*innen eine Silvesterparty nach Maß. Nicht dabei war Margo Price, die auch sieben Jahre nach ihrem Durchbruch mit dem Third-Man-Records-Debüt "Midwest Farmer's Daughter" eher ein Outlaw-Image in Nashvilles Musikszene pflegt. Trotzdem liefert die Singer-Songwriterin mit ihrem vierten Album "Strays" den interessanteren Neujahrsempfang.

Price hat viel zu erzählen. Vor drei Monaten veröffentlichte sie bereits im Alter von 39 Jahren ihre Memoiren. "Maybe We'll Make It" gibt Einblicke in den langen mühsamen Aufstieg der Musikerin, schildert ihre Traumata und den Kampf mit dem Alkohol. "Strays" führt die biographische Aufarbeitung fort und markiert gleichzeitig einen Neuanfang. Ausgerechnet ein Mushroom-Trip animierte sie vor zwei Jahren dazu, dem Alkohol zu entsagen. Mit neuer Energie und Jonathan Wilson als Produzent (Angel Olsen, Father John Misty, Dawes) nahm sie im kalifornischen Topanga Canyon-Studio ein Album auf, das ihr Americana-Spektrum mit psychedelischem Rock'n'Roll anreichert.

Beide Vorabsingles setzen starke Statements. Eingeleitet durch hypnotische Doors-Orgelklänge errichtet "Been To The Mountain" einen fünfeinhalbminütigen Spiritual-Gipfel, auf dem Price mit Tamburin, Shaker und Cowbell die Vielzahl ihrer leidgeprüften Inkarnationen aufzählt ("Used to be a lover, a queen and a drifter / A cowboy devil, a bride and a boxer"). Bald darauf liefert "Change of Heart" eine messerscharfe Abrechnung – mit loderndem Western-Riff und Farfisa-Spitzen entsteht eine Petty-eske Heartland-Wucht ("Well, if you break both your legs / Oh don't come runnin' to me / I've had a change of heart").

Price testet die Grenzen von Country-Mustern aus. Aufbauend auf einem virtuosen Arrangement des Heartbreakers-Gitarristen Mike Campbell zwischen akustischem Entrée, elektrifiziertem Rock-Feuerwerk und glimmenden Intermezzi bündelt "Light Me Up" die vielbesungenen Metaphern von Lichtern, Ozeanen und brechenden Dämmen zu einer freimütigen Orgasmusfantasie ("Light me up / Burn me up / Boil from the inside / Deeper than the ocean (...) Rivers quake / Levees break / Make the wind blow"). "Hell In The Heartland" verarbeitet das Thema selbstzerstörerischer Tendenzen über eine elegische Cinemascope-Ästhetik aus Resonatorgitarre, Piano und Kastagnetten und verschnellert sie, bis der Filmkader reißt.

Während das groovende Sharon Van Etten-Gastspiel "Radio" und das schunkelnde Nostalgiestück "Time Machine" eher aus dem Konzept fallen, überstrahlen zwei sechsminütige Balladen das Album. Ohne feste Songstruktur und klare Melodie, wie bei Jewel in ihren besten Tagen, schildert "Lydia" mit einsamer Akustikgitarre und hallenden Streichern die ergreifende Geschichte einer Frau, die sich durch schwerste Umstände kämpft.

Parallel erzählt "County Road" vom tragischen Schicksal eines Freundes und entfaltet rund um ein markantes Piano-Motiv eine kontemplative Classic-Rock-Szenerie. Ein wenig so, als hätte Patti Smith, damals 1977, aus Springsteens reichhaltigem "Darkness On The Edge Of Town"-Material nicht "Because The Night" übernommen, sondern "Racing In The Street".

Vom Unterwegssein, vom Streunen erzählt Price hautnah. "You belong to no one" lautet die Titelzeile in ihrem Booklet-Gedicht. Sie ziert nun auch Margos rechten Oberarm als Tattoo.

Trackliste

  1. 1. Been To The Mountain
  2. 2. Light Me Up (ft Mike Campbell)
  3. 3. Radio (ft Sharon Van Etten)
  4. 4. Change Of Heart
  5. 5. County Road
  6. 6. Time Machine
  7. 7. Hell In The Heartland
  8. 8. Anytime You Call (ft. Lucius)
  9. 9. Lydia
  10. 10. Landfill

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