laut.de-Kritik
Von Drogen, Sex, Schmerz und Selbstliebe.
Review von Elias RaatzLola Young ist gerade 24 Jahre alt und trotzdem schon eine der spannendsten Stimmen, die britischer Pop derzeit zu bieten hat. Spätestens seit "Messy" und dem gefeierten Vorgänger-Album "This Wasn’t Meant For You Anyway" gilt sie als musikalische Hoffnungsträgerin zwischen leidenschaftlichem Soul, abwechslungsreichem Indie und ehrlichem Pop. Mit "I'm Only F**king Myself" legt sie nun ein 46-minütiges Album mit 14 Songs nach, das unbequem, (zu) persönlich, kantig, so anzüglich wie emotional ist, und deshalb überzeugt. Hervorzuheben ist, neben inhaltlicher Tiefe, die melodische wie rhythmische Vielfalt in Youngs musikalischem Albumkonzept, das mit Ohrwürmern und experimentierfreudiger Abwechslung zugleich daherkommt.
Eine große Stärke bleibt ihre Stimme: rau, verletzlich, gleichzeitig kraftvoll genug, um jeden Refrain auszufüllen. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Auftakt des Albums macht bereits der Opener "F**K Everyone" Lust auf mehr. Überhaupt zieht sich Lust, wie der Titel bereits vermuten ließ, als zentrales Thema durch das gesamte Album und den ersten Song. Hier singt Young unmissverständlich von freier Liebe: "I just wanna fuck guys who don't like me and don't mind / I just wanna fuck girls who don't love me, they don't mind." Alles garniert mit einer für Young beinahe standardmäßigen Provokation: "I've been smokin' on your father, givin' him head / He's been blowin' up my phone, but I blow him instead."
Genauso inhaltlich anzüglich geht es bei "One Thing" weiter. Der Song groovt angenehm, während Young leidenschaftlich performt: "I wanna take you on a little ride […] / break your bed and then the sofa […] / And I'ma give you that one thing." Mit "d£aler" zeigt sie im Anschluss ihre tiefgründigere Seite, irgendwo zwischen Selbstzweifel, Selbstsabotage, Zerrissenheit und der Zuflucht an einem fremden Ort oder im Substanzkonsum: "I spend all Day, tryna be sober / I drowned in my misery, crawled up on the sofa […] / I wanna get away, far from here, pack my bags, ma drugs, and disappear […] / Pack my bags and tell my dealer I’ll miss him." Bei "Spiders", "Why do i feel better when i hurt you?", "Penny Out Of Nothing" und dem nur von einer Akustik-Gitarre begleiteten "Who f**king Cares?" entsteht durch den spürbaren Schmerz in Youngs Stimme eine gefühlvolle und mitreißende Atmosphäre. Sie klingt teilweise, als würde sie jeden Vers direkt ins Mikro weinen und gleichzeitig die ganze Welt anbrüllen. Das ist nicht immer schön, aber immer echt. Es dreht sich hier weniger um eskapistischen Pop, sondern schonungslos um die Schattenseiten des eigenen Innenlebens.
Ebenso wie im rhythmisch vorgetragenen Song "Sad Sob Story! :)", in dem sie erzähltechnisch ansprechend über die Trennung von dem*der toxischen Ex spricht: "I'm so glad we're over / No more fighting, then trying, then fighting again […] / Best of luck to ya, and I hope you're happy someday / But keep your sad sob story, 'cause I won't read it anyway." "Walk All Over You" und "Post Sex Clarity" sind gute Songs, die auf Youngs herausragendem Album nicht besonders hervorstechen, jedoch mit experimentellem Touch für musikalische Abwechslung sorgen.
"Can We Ignore It? :(" liefert wieder Ohrwurm-Potential: Ein beinahe monumentaler, eingängiger Song, der seine Zuhörer*innen ebenso rockig und treibend wie emotional und mitfühlend in seinen Bann ziehen will. "Not Like That Anymore" zieht dann leicht Indie-rockig angehaucht nach, und ist schonungslos ehrlich, beispielsweise wenn Young zugibt: "I’m a dumb little addict", oder für ihren Ex-Freund singt: "I got a little kick out of declining your call, I guess that means I don’t need your dick at all. And so I’m fucking myself, but not like that anymore."
Musikalisch setzt Young in ihrem neuen Album auf eine Mischung aus souligen Vocals und modernem Sounddesign. Produzenten wie Solomonophonic geben den Songs eine internationale Kante, die mal nach düsterem R'n'B, mal nach Pop-Groove klingt, mal rockig frech daherkommt, mal einer Ballade ähnelt, aber nie steril wirkt. Statt glattgebügelter Streaming-Hits hört man hier Ecken und Kanten und kleine Brüche, die dafür sorgen, dass die Musik lebt. Natürlich: Nicht jeder Track zündet gleich, dafür sind sie zu verschieden. Manche Lyrics wirken sehr direkt, fast schon Tagebuch-artig, wodurch zwischendurch die poetische Finesse fehlt. Doch die gesamte Dramaturgie über einzelne Songs hinweg ist angenehm stimmig. Ihre textlichen Qualitäten verdeutlicht sie abschließend durch "Ur An Absolute Cword" mit einem, wie ein Poetry Slam anmutenden, wunderschönen, lyrischen Zwischenspiel, vorgetragen von Tia Shek: "To feel is to be open / And not everyone is broken […] / I'm lonely and I'm hurtin' and sometimes I feel alive / But it's only in the moments that I feel a little high […] / Feelin' like I'm blessed, but I'm sorry that I'm not […] / The moon shines bright and it makes me feel alright."
Lola Young klingt selten austauschbar, eine gewisse Unvollkommenheit macht "I'm Only F**king Myself" besonders stark. Es ist ein Album, das nicht gefallen will, sondern raus muss. Ein Befreiungsschlag einer Künstlerin, die mit Anfang 20 schon viel durchgemacht hat und das nicht in weichgespülte Phrasen packt, sondern in Musik, die wehtut und tröstet zugleich. So entstehen Momente zwischen furchtloser Ehrlichkeit und rockigem Indie-Groove, zwischen roher Verletzlichkeit und tanzbaren Sehnsuchtsbekundungen, zwischen poppigen Hooks und offenbarter Neurodivergenz. "I'm Only F**king Myself" ist eine Grenzerfahrung mit Herz und so unperfekt wie Lola Young sich selbst sieht. Aber es ist vertrauensvoll direkt, emotional intensiv, stimmlich überragend und deutlich mehr als ein einzelner viraler Hit.
7 Kommentare mit 9 Antworten
Ja, ziemlich gute Scheibe!
So wie unsere Erde
Die Texte sind teilweise schon grenzdebil, doch Produktion und Stimme fantastisch. Soulmusik im Popmantel, sehr schön.
Rotationsellipsoid!
Dieser Kommentar wurde vor 7 Tagen durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Sorry, aber alle deine Kommentare scheinen auf laut.de negativ zu sein. Such dir doch eine andere Beschäftigung als dich auf das negative zu konzentrieren.
Gut zum Joggen, fantastisch zum Kochen, anregend zum Kuscheln - grossartiges Album, das keine Sekunde langweilt.
Als sporthassender Single der nur take-out isst, belasse ich's dann lieber bei Ungehört 1/5.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Tagen durch den Autor entfernt.
Wird dieser Kommentar nicht langsam langweilig? Witzig war der ohnehin nie.
Au contraire, er wird sogar immer witziger.
Nur ❤️ Für Swingboy
„Ein Befreiungsschlag einer Künstlerin, die mit Anfang 20 schon viel durchgemacht hat …“
Hab davon nichts mitbekommen.
Was musste sie denn durchmachen.
Album wirklich stark und abwechslungsreich. Albumcover wirklich gruselig und lässt mich an die Egokacke denken, wo Menschen sich selbst heiraten.
Wunderbares Album. Schön abwechslungsreich, tolle Stimme und einfach herrlich produziert. Und was ich echt selten habe: Die Songs werden ab der Hälfte nochmals einen Ticken besser.