26. März 2020

"Den Sänger wechseln? Uncool!"

Interview geführt von

Neuer Sänger, neuer Drummer, neues Management: Kvelertak trotzen dem Sturm und ziehen weiter durch. Gitarrist Maciek Ofstad über die wechselhafte Vorgeschichte des neuen Albums "Splid".

Kvelertak-Gitarrist Maciek Ofstad erzählt im Interview unter anderem von der Tour mit Metallica, einer Begegnung mit Dave Grohl und den Besetzungswechseln in seiner Band.

Ihr seid in den letzten Jahren mit Kvelertak fast ununterbrochen auf Tour gewesen, könnt ihr die Länder, das jeweilige Publikum, überhaupt noch auseinanderhalten oder gibt es Besonderheiten, in Deutschland etwa, wo man euch von Beginn an wärmstens empfangen hat?

Maciek Ofstad: Verrückt sind sie überall. Ich meine, du musst verrückt sein, wenn du zu einer unserer Shows kommst. Die deutschen Fans gehören eher noch zu den ruhigeren Vertretern. Im Gegensatz zu den Spaniern, die sind crazy crazy. Das deutsche Publikum hört eher zu. Ich meine, nimm' eine Stadt wie Hamburg, wo wirklich absolut jeder spielt, Woche für Woche. Da sind die Zuschauer einfach einiges gewohnt. In anderen Ländern spart ein Fan womöglich auf genau den einen Gig hin, den er sich im Jahr leisten kann. Das ist ein Fest für ihm. Dann beginnen wir zu spielen und die Leute drehen vom ersten Ton an durch und auf dem Level bleibst es, bis das Licht wieder angeht.

Ihr habt mittlerweile mit fast allen großen Bands zusammengespielt, welches sind die intensivsten Erinnerungen?

Ganz zu Anfang haben wir mit den Foo Fighters zusammen in Oslo gespielt, das war schon sehr besonders für uns alle.

Dave Grohl überreichte euch damals einen Preis.

Niemand wusste etwas davon. Total irre. Eine Goldene Schallplatte. Ich meine, wie durchgeknallt ist das. Irgendjemand beim Label hatte wohl einen richtig guten Job gemacht. Ich weiß nicht so genau, ob Grohl uns nun auch schon cool fand oder ihn einfach nur jemand dazu gebracht hatte, uns das Teil zu präsentieren, aber das war wirklich genial. Abgesehen davon haben uns die Touren mit Mastodon ein großes Publikum erschlossen, das uns mit offenen Armen empfing.

Stichwort Empfang: War euch bewusst, wie skeptisch euer Publikum möglicherweise auf die Änderungen im Line-Up reagieren könnte?

Natürlich. Wir sind ja selbst auch Hörer, sind Musikfans. Den Sänger zu wechseln? Not cool, Bro'. Das ist schon klar.

Ich habe euch zusammen mit Mastodon in Hamburg gesehen und ich muss zugeben, dass Ivar mich da noch nicht überzeugt hat.

So ging es wohl einigen, aber das lag letztlich auch weniger an Ivar selbst, als an der Tatsache, dass die Leute eben an Erlend gewöhnt waren und das über Jahre.

Mich hat erst dieser etwas seltsame Auftritt in der norwegischen Talkshow gekriegt. Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich euch fast unbewegt auf der Bühne gesehen habe. Das gab einem die Möglichkeit, sich auch der Sänger-Personalie noch einmal in Ruhe zu nähern.

Das war schon etwas seltsam in dieser Sendung, aber letztlich geht es darum, den Rock'n'Roll in alle Wohnzimmer zu bringen. Dafür machen wir so etwas schon mal. Klar war das ungewohnt. Das war ein Ü50-Publikum, die Themen drehten sich um Gesundheit und Ernährung, und dann kommen wir da plötzlich zur Primetime und drehen auf. Aber das war witzig, wir hatten Spaß, den Zuschauern gefiel es, den meisten jedenfalls, und abgesehen davon, dass es etwas statisch zuging, konnten wir einfach unser Ding machen. Schräg wurde es, als da irgendwelche ganz jungen Leute von Knieproblemen und Rückenschmerzen erzählten. Ich dachte nur, ihr habt ja keine Ahnung, wovon ihr da redet. Tourt mal ein paar Jahre lang, dann wisst ihr, was wirkliche Schmerzen sind. (lacht)

Wenn du den heutigen Mindset mit dem von vor zehn Jahren vergleichst, damals mit dem ersten Album unterm Gürtel, diesmal mit einer neuen Platte, neuem Sänger, Drummer und Management. Was sind die größten Unterschiede?

Vom Band-Aspekt her und der Art und Weise, wie und warum wir die Dinge so machen, wie wir sie machen, hat sich nicht allzuviel geändert. Vielleicht gehen wir fokussierter zu Werke, wir sind erfahrener, wir sind zehn Jahre älter als damals. Natürlich schlägt sich das nieder, darauf gilt es sich einzustellen. Du musst dich vorm Gig warmmachen, es geht nicht mehr, jeden Nacht Party zu machen. Wir wollen das ja auch noch viele Jahre machen, das bedeutet, dass wir heutzutage etwas smarter touren, uns auch Pausen gönnen müssen. Als wir anfingen, spielten wir 300 Shows im Jahr.

Ein Gedanke, den ich mit Blick auf eure Tourpläne immer mal wieder hatte: Wann pennen diese Typen eigentlich mal. Auf der Tour mit Metallica vor zwei Jahren habt ihr noch den letzten Day-off genutzt, um eigene Clubshows einzuschieben.

Das war eine Phase, in der einfach so viel Scheiß passierte. Sicher wäre es damals besser gewesen, mal innezuhalten.

Ich fand es großartig, euch mal in meiner alten Heimat Kiel zu sehen. Gleichzeitig dachte ich, Mann, die sind momentan doch auch unübersehbar im Eimer.

Das waren wir ganz sicher, das ist nicht abzustreiten. Nicht nur die Shows forderten ihren Tribut, wir hatten auch unser Management gefeuert und machten plötzlich alles selbst. Erlend verließ uns dann im Sommer. Das waren einfach viele Baustellen, die Energie kosteten. Aber das war nötig, um überhaupt wieder Kontrolle über uns, über die Band, unsere Finanzen, über unser Leben zu bekommen. Das war eine Art Großreinemachen, anstrengend, auch schmerzhaft, aber unumgänglich, um heute so da zu stehen, wie wir es tun. Alles fühlt sich nach einem neuen Start ein.

War es dir bewusst, dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr rund lief? Hast du eine Art Gezeitenwechsel zum Schlechteren wahrgenommen?

Für mich bedeutet ein neues Album immer: Drei weitere Jahre als Band gesichert. Das ist so meine einfache Faustregel. So war es bei "Meir", so war es bei "Nattesferd". Mit Blick auf "Splid" war das dann nicht mehr so in Stein gemeißelt, auch wenn uns klar war, dass wir letztlich auf jeden Fall weitermachen wollten. Mein Knackpunkt war: Wenn Ivar einsteigt, dann geht es noch einmal so richtig ab, das wäre das Geilste. Als er dann 'Ja' sagte, da hatte ich das Gefühl, dass die Dinge wieder zurück in die Spur kommen, das machte die Zeit danach dann wieder so aufregend.

"Es ist nie cool, wenn einer die Band verlässt"

Hatte Erlend eigentlich davor schon mal mit dem Gedanken gespielt, die Band zu verlassen?

Ach, es gab immer mal Gespräche, das war so ein Hin und Her zuweilen. Wir kannten seinen Wunsch, etwas anderes zu machen, schon länger. Es war also am Ende keine völlige Überraschung. Aber eins ist auch klar: Es ist nie cool, wenn einer die Band verlässt. Wir sind eine Einheit.

Eine Qualität, die Kvelertak immer ausgezeichnet hat: Die Band steht wie eine Wand.

Genau so fühlte es sich für uns auch immer an. Aber eine Tatsache ist auch: Wenn du als diese Einheit dastehen willst, dann gehört auch ein gemeinsames Verständnis, ein ähnlicher Mindset als Grundvoraussetzung dazu. Dazu kann man aber keinen zwingen, das muss aus jedem selbst kommen.

Ivar war der einzige Kandidat?

Ja, wir wollten ihn unbedingt. Er wollte es auch von Anfang an, war aber zunächst nicht sicher, ob er den Posten adäquat ausfüllen könnte.

Kein Wunder, bei dem was Erlend da so über die Jahre vorgelegt hat.

Natürlich, das war uns ja auch bewusst. Aber wir wollten Ivar. Und wir wollten ihn mit seiner Stimme, seiner Range. Es ging nicht darum, eine Kopie von Erlend zu bekommen. Als das klar war, ging es fast von selbst.

Und schnell ging es auch, oder?

Das kann man wohl sagen. Erlend stieg Montag aus, wir riefen Ivar an und sagten: Du hast einen Gig am Freitag und so lautet die Setlist. Das war schon Wahnsinn.

Kein böses Blut bei Ivars alter Band, The Good The Bad And The Zugly?

Nein, null. Wir kennen uns ewig, wir sind gute Freunde. Da gibt es keinen Interessenkonflikt. Ganz ehrlich: Ich denke, es wird ihre Band besser machen.

"Wir haben keine Angst mehr, alles auszuprobieren"

Gutes Stichwort. War es auch bewusst, wie sehr sich dieses Album in einigen Teilen von den anderen unterscheiden würde?

Ich finde es gar nicht so anders. Ich denke, das ist einfach Kvelertak. So ticken wir. Auf der ersten Platte hatten wir diese kompakten Hardcore/Punk-Dinger, "Meir" hatte dann Songs wie "Tordenbrak", "Nattesferd" ging noch mehr in die Breite. Auf "Splid" haben wir jetzt gar keine Angst mehr, alles auszuprobieren. Die poppigen Sachen, die Hardcore-Bretter, die langen Songs, Prog oder Postrock.

Wer hat bei Kurt Ballou angerufen, um Bescheid zu sagen, dass es doch nochmal losgeht?

BJ war das. Wir waren mit Mastodon auf Tour, die Songs waren fast komplett fertig und wir überlegten, wen wir als Produzenten nehmen sollten. Da fielen ein paar Namen, einiges härtere Typen, anderes in kommerziellerer Richtung. Irgendwann dachten wir, Alter, wir sind eine Punkband und in diese Richtung sollten wir denken. Nach den ersten beiden Alben - und dem Break beim dritten - jetzt wieder zu Kurt zurückzukehren, fühlte sich so logisch, so natürlich an. Aber es ist natürlich nicht allein der Vibe, es ist das, was er drauf hat. Er weiß genau, was er tut, er hat so viele coole Ideen, er ist ein total verrückter Typ. Das passt einfach alles.

Und dann gibt es auch noch einen neuen Drummer.

Kjetil wollte schon länger raus. Das wussten wir. Das Leben auf Tour ist eine ganz harte Nummer, das ist eine andere Welt. Das geht nur so und so lange gut für einige Leute. Und Kjetil sehnte sich danach, ein wenig zur Ruhe zu kommen, sich anderen Dingen zu widmen. Das mussten wir respektieren. Dabei hat er aus Verbundenheit zur Band auch noch länger mitgezogen, als er eigentlich wollte. Er wollte es vermeiden, nach Erlends Ausstieg mit seinem Weggang für noch mehr Unruhe zu sorgen. Eines Tages fragte er uns schließlich, ob es jetzt mit uns okay wäre, wenn er ginge. Das war eine sehr, sehr emotionale, tränenreiche Angelegenheit, das kann ich dir sagen.

Håvard Takle Ohr ist der neue Mann.

Wir kennen ihn schon ewig, aus zahlreichen Bands. Der hat noch nie einen Tag normal gearbeitet, immer nur in Bands gespielt. Håvard ist der personifizierte Rock'n'Roll und er passt einfach perfekt zur Band, ganz zu schweigen davon, dass sein Drumming fantastisch ist. Er hatte sieben Tage Zeit für die Tracks auf "Splid", nach drei Tagen war alles im Kasten. Verrückt.

Wird der Eulenkopf jemals wieder auf der Bühne zu sehen sein?

Oh, da bin ich mir nicht sicher. Ich würde eher nicht davon ausgehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Maciek Ofstad

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