laut.de-Kritik

Gerechtigkeit für Kurt Cobain?

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"Es sah aus wie ein Selbstmord, also war es auch ein Selbstmord. Fall geschlossen." Nachdem sich Brett Morgens Dokumentation "Kurt Cobain: Montage of Heck" zwar auf etwas gekünstelte, im Grunde aber durchaus unaufgeregte und entmythologisierende Art und Weise dem Phänomen Kurt Cobain widmete, kommt vom Regisseur Benjamin Stattler nun Futter für all jene, die hinter dem Tod des Nirvana-Sängers 1994 ein Mordkomplott vermuten. "Soaked in Bleach" heißt der Film in Original, auf Deutsch hat man sich etwas ungelenk für "Kurt Cobain - Tod einer Ikone" entschieden.

Der Film soll Hoffnung für die "Justice for Kurt"-Bewegung sein, die seit 1994 nicht an den Freitod des Musikers glaubt und ein Mordkomplott von Cobains Witwe Courtney Love vermutet. Die erzählerische Schlüsselfigur: Privatdetektiv Tom Grant, den Love kurz vor Cobains Tod engagierte, der allerdings schnell misstrauisch gegenüber ihr wurde. Es beginnt mit den TV-Nachrichtenmeldungen zu Cobains Selbstmord, dunkle Farben, dunkle Musik (die Stimmung ist also klar, der Dramatik-Level von Anfang an vorgegeben) - dazu gibt es Tonbandaufnahmen aus dem Archiv. Teils besteht der Film aus Interview-Ausschnitten, einige Schlüsselszenen sind auch geschauspielert.

Bevor es so richtig losgeht, beschwören Kollegen erst mal die unerschütterliche Moral von Tom Grant; dem Zuschauer soll erst mal erklärt werden, dass man Grant ohne weiteres glauben könne, weil er ein tadelloser Kerl und ein guter, unbestechlicher Kriminologe sei. Sympathiegewichtung ist schließlich essenziell für den Narrativ, allerdings für eine seriös angelegte Doku in dem Fall leicht verstörend.

Wie die geschauspielerten Szenen aussehen: Courtney Love empfängt den Privatdetektiv in ihrem Hotelzimmer, sie sieht natürlich völlig aus wie Nancy Spungen (Cobain checkt in Hotels übrigens auch unter "Simon Ritchie", dem bürgerlichen Namen von Sid Vicious ein), trägt ein durchsichtiges Negligé, weiße halterlose Strümpfe und keine Unterwäsche - der Privatdetektiv betont das retrospektiv extra. Nüchtern dürfte sie auch nicht sein. "Wenn sie irgendwas der Presse sagen, verklage ich sie", nölt sie ihm entgegen - sie will ihn engagieren, um Cobain nachzustellen, der ist irgendwie abtrünnig. Im Raum sitzen Loves Junkiefreunde.

Sie ist eifersüchtig, will Cobain alle Kreditkarten sperren, erzählt in Tränen, dass er sich scheiden lassen will. Love, das erfahren wir sofort von Anfang an, ist eine kalkulierende, gefühlskalte und vor allem schwer manipulative Egoistin, auf den eigenen Ruhm bedacht, auf ihr kurz darauf erscheinendes Album. Die emotionale cineastische Marschrichtung ist also von Anfang so plakativ wie klar: Love = böse.

Überraschungen gibt es im Film keine. Die vermeintlichen Widersprüche, die der Mord-Argumentation zu Grunde liegen, sind auch vor dem Film bereits geläufig, werden im Film aber noch mal veranschaulicht und mit Interview-Sequenzen und Nachstellungen von Begebenheiten noch mal betont. Zum Beispiel wird der angebliche Selbsttötungsversuch von Cobain in Rom 1994 angesprochen: dieser sei erst nach seinem Tod von Love als solcher dargestellt worden. Der zuständige Arzt widerspricht der offiziellen Version, Cobain habe 40 Pillen eingenommen. Das Argument: Love suchte nur Beweise, dass Cobain auch schon vorher versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Damals sei das Geschehen sowohl von Love als auch von Cobain selbst als Unfall dargestellt worden.

Auch die Heroin-Theorie ist seit langem geläufig: zum Zeitpunkt seines Todes hatte Cobain 1,52 mg pro Liter Blut. Das ist ungefähr die dreifache lethale Dosis. Schlussfolgerung: mit dem Heroin-Gehalt kann man weder noch eine Schrotflinte in der Hand halten noch einen Abschiedsbrief schreiben. Apropós Abschiedsbrief: dass der letzte Absatz in Cobains Abschiedsbrief (eben jener, der den Brief auch wirklich zu einem Abschiedsbrief macht) anders geschrieben ist, ist auch einem Laienauge ersichtlich. Eine Forensikerin erklärt hierzu, man habe in Loves Handtasche einen Zettel mit Schriftübungen gefunden – Typographien, die mit dem letzten Absatz im Abschiedsbrief deckungsgleich sind.

Es kommen Freunde Cobains zu Wort, Gerichtsmediziner, ehemalige Musikerkollegen – und nicht zuletzt Norm Stamper, damaliger Chef der Seattle-Polizei, der einräumt, dass es auch Polizisten aus seinem Lager gibt, die Zweifel an der Freitod-Version hatten. Dass der Autopsie-Bericht geheim gehalten und Dekaden später noch Fotomaterial vom Tatort gefunden und dennoch geheim gehalten wurde, spricht auch nicht gerade für Transparenz des Falls. Einen Mord an einem Junkie als Selbstmord zu verkaufen, sei etwas vom leichtesten überhaupt, heißt es gegen Ende des Films. - und dass es eine erneute neutrale Untersuchung des Falles geben müsse, an dem Seattles Polizei keinen tragenden Anteil haben dürfe.

Wie auch immer man zu den Geschehnissen und vermeintlich offenen Fragen des Cobain-Todes stehen mag: wirklich Neues bietet der Film nicht. Er arbeitet viel mit Wiederholung und driftet in der Gestaltung immer wieder ins zu Plakative ab. Viel finsterer hätte man die Interview-Umgebungen auch in Trash-Krimiserien nicht machen können. Sicherlich spricht der Film durchaus einige Merkwürdigkeiten an. Ein kriminalistisches Fazit allerdings werde ich mir an dieser Stelle, der Leser/die Leserin wirds mir danken, dann doch sparen.

Trackliste

  1. 1. Kurt Cobain - Tod einer Ikone

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